Alle Beiträge von Sankt Neff

Spätsommerfrühherbst

´Heute mal kein Stress´, dachte der Fuchs, als er im Park über die Wiese lief. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er nachts nichts als geschlafen. Soeben war die Sonne aufgegangen. Der Fuchs spürte den Tau im Gras und freute sich an der Abwesenheit von Menschen.

Dann erreichte er die Stelle unterhalb seines Lieblingsbaumes. Der Fuchs glaubte, daß sich speziell in diesem Baum Gott verkörpere. Ein guter Ort also, um Tai Chi zu üben. Der Fuchs hatte so oft Menschen dabei beobachtet, wie sie diese fernöstliche Bewegungskunst praktizierten, daß er sie inzwischen selbst beherrschte. Er stellte sich auf die Hinterbeine und begann mit den Vorübungen, indem er die Vorderbeine von oben nach unten und von unten nach oben schwingen ließ. Sein Schwanz schmiegte sich währenddessen ins feuchte Gras.

Als der Fuchs das Tai Chi-Programm beendet hatte, schaute er auf die Armbanduhr. In fünf Minuten würde sein Lieblings-Café öffnen. Entspannt und gut durchblutet machte er sich auf den Weg. Den Abhang hinunter genoss er es, der Schwerkraft ihren Lauf zu lassen.

(aus einer noch unveröffentlichten Fabel)

Neulich in der Tram

Mit der Tram auf dem Weg zum Kollwitzplatz. An der Haltestelle Bernauer Straße stehen zwei arabische Jungmänner mit anrasierten, schwarzglänzenden Haaren in dicken Daunenjacken. Was machen die hier auf dem Trambahnsteig? Warum cruisen die nicht in einem Mercedes und mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt? Haben die eine Fahrkarte? Halten sie es für nötig zu bezahlen? Wie werden sie reagieren, wenn sie erwischt werden?

Das sind so meine Gedanken, während die beiden die Bahn betreten, um sich dann unvermittelt an mich und die anderen zu wenden:

„Die Fahrscheine, bitte!“

Da lacht der Argentinier

Im ICE-Großraumwagen immer viele Geräte am Start: Handys, Ipads, Ipods, Notebooks, Kopfhörer, Kabel mit Knoten.

Aber hier und da auch Bücher. Und überwiegend kein Scheiß: Rilkes „Malte Laurids Brigge“ sehe ich im Vorbeigehen, Houellebecqs „Karte und Gebiet“ auf französisch,  Juli Zehs „Unterleuten“. Der vielleicht 12jährige Sohn des Mannes, der Houellebecq im Original liest, wechselt ab zwischen „Die drei ??? Kids: Fußballweltmeister“  und  einer Mozart-Partitur, die er unter Anleitung seines Vaters studiert.

Da bin ich fast froh, daß wenigstens die Frau neben mir einen Groschenroman alter Schule in Händen hält. Ich spinxe unauffällig rein und finde auf Anhieb einen Satz, der mir inhaltlich wie klanglich große Freude bereitet:

„´Ach was´, lachte der Argentinier.“

Und wieder eine Lektion in Demut (2)

Beim Laufen übers Gleisdreieck kommt mir ein Jogger entgegen, auf den ich wegen seiner Moppeligkeit und seiner merkwürdigen Doppelstoßatmung herabschaue: ´Der Moppeljogger, wie komisch der atmet!´

Man trifft sich im Leben stets zweimal, they say. So auch wir. Einige Minuten später: Ich gehe, weil ich gerade nicht mehr kann. Der Moppeljogger joggt unverdrossen weiter, ohne Pause an mir vorbei mit seiner offenbar sehr gut funktionierenden Doppelstoßatmung.

Zwei Durchsagen

Freiwillig komische Durchsage im ICE kurz vor Hannover:

„In Kürze erreichen wir Hannover Hauptbahnhof. Dort erreichen Sie alle, aber auch wirklich alle vorgesehenen Anschlußzüge.“

Unfreiwillig komische Durchsage kurz nach Hannover und nach dem Personalwechsel:

„Sehr geehrte Fahrgäste, unsere Gastronomie freut sich auf Ihren Besuch. Der Mittagstisch ist für Sie gedeckt. In unserem gemütlichen Bordbistro empfehlen wir Ihnen heute besonders unser Käse-Schinken-Baguette.“

Er konnte auch anders. – Noch eine Erinnerung an Kurt Scheel

Es war in der „Kurbel“. Die Herren Scheel, Rutschky, Brück saßen, wie immer im Kino, mittig weit vorn.  Der Film lief schon ein Weilchen, da drehte sich Scheel zu seinem Hintermann um und sagte mit entschiedener Höflichkeit:

„Könnten Sie bitte aufhören, mir ihren Fuß permanent in den Rücken zu rammen.“

Ein paar Minuten lang passierte nichts. Dann stand Scheel, für mich unvermittelt, auf, und bahnte sich seinen Weg durch unsere Reihe. Irritiert schauten wir ihm nach und sahen, wie er hinter seinem Hintermann Platz nahm und mehrfach schnell und hart mit dem Fuß gegen dessen Lehne trat. Dann stand er wieder auf und kam zu uns zurück.

Den ganzen Film über hatte ich Sorge, was geschehen würde, wenn wir später am Ausgang  auf Scheels Feind träfen.  Doch der verdrückte sich, wie sich herausstellte, sang und klanglos.

Er hatte vermutlich gespürt, daß aus einem eigentlich sehr zivilen und dezenten Herrn durch anhaltende Peinigung ein zu allem bereiter, bedingungslos entschlossener, John Wayne-hafter Kerl geworden war, mit dem man sich besser nicht anlegt. Denn er konnte auch anders, wenn man ihm krumm kam.

Wenn Bücher nach Hause kommen (2)

Weil Schwester Sabine mit dem Gedanken spielt, sich in der Toskana häuslich niederzulassen, schenkte ich ihr einen dicken Band mit Robert Gernhardts Aufzeichnungen aus Montaio und Umgebung. Sie nahm das Buch auch gleich mit auf ihren nächsten Erkundungs-Trip und brachte es so kwasi nach Hause. Hier liegt es, wo es hingehört:

Wenn Bücher nach Hause kommen

Wie weiter unten schon erwähnt, reiste ich im Frühjahr nach Bergamo und las dort zum zweiten Mal Eckhard Henscheids Roman „Dolce Madonna Bionda“, der nämlich hauptsächlich ebenda spielt.  So fügte es sich manchmal, daß ich vor einer Bar saß und las und die Hauptfigur Bernd Hammer schritt im Buch genau über jenen Platz, auf den ich gerade schaute.

Ein schöner Neben-Effekt der Lektüre eines Romans, den man sehr ausgeruht und mit reichlich Koffein intus lesen sollte, um ihn in voller Pracht goutieren zu können.  Ich schrieb Kurt Scheel statt einer Postkarte  ein paar Reise- und Lese-Eindrücke per Email und er antwortete wie immer mit wertvollen Worten, die er mir, hoffe ich, hier wiederzugeben erlauben würde, wenn er es denn noch könnte:

Lieber Herr Brück,

vielen Dank für den Postkartenersatz. Ich habe den Bergamo-Roman zum dritten Mal vor etwa fünf Jahren gelesen und so bei mir gedacht, dass dies vielleicht doch das allergrößte Werk unseres verehrten Meisters sei, so komisch und weh und wahr, dass es eigentlich zwischen Himmel und Erde, Leben und Tod entstanden sein muss; jedenfalls ist es nicht mehr ganz von dieser Welt.

Herzlich

Ihr Kurt Scheel