Alle Beiträge von Sankt Neff

Die Last des Wissens

Freund Andreas war es, glaube ich, der mir mal diesen alten, Tai Chi praktizierenden Chinesen schenkte. Ich mag ihn sehr.

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Zur Zeit steht er ganz oben auf meinem Bücherregal. (So weit oben – dies zur Entschuldigung -, daß dort nicht regelmäßig Staub gewischt wird.) Zwischen einem Literaturlexikon und einer Vladimir Nabokov-Ausgabe.  Der alte Chinese tut so, als würde er die dicken Bücher stützen. In Wirklichkeit aber

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ist das Lexikon viel zu schwer für ihn. Sobald das Regal stärkeren Erschütterungen ausgesetzt ist – etwa durch menschliche Turn- und Tai Chi-Übungen in der Nähe – besteht sogar die Gefahr,

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daß der alte Chinese unter der Last des Wissens begraben wird.

Was schön ist (7)

Da sitzt du im ICE und rast regungslos leise durch Westfalen, den Kopf auf die Hand gestützt, den Ellbogen auf den Fensterrahmen, schaust raus und merkst dann, daß du gar nicht rausschauen mußt, denn im Glas spiegelt sich zweifach, leicht versetzt, dein Ehering, und auf diesen beiden schmalen Projektionsflächen zieht von rechts nach links sehr zügig vorüber die Welt, auf der zu sein manchmal mehr als schön ist, die westfälische Welt im Miniaturformat, Bäume, Licht und Felder.

Was von der Nacht übrig blieb

Ein Magen-Darm-Infekt führt nachts zu einem slapstickhaften Auftritt. Das Söhnchen kommt im Dunkeln zum Bett des Vaters gewankt und sagt:

„Mir ist schlecht.“

Der Vater antwortet:

„Dann lauf schnell ins Badezimmer.“

Das Söhnchen läuft los – und übergibt sich im Flur.  Diese Szene wiederholt sich im Laufe der Nacht noch zwei weitere Male: immer eben jener Dialog, immer die exakt selbe Stelle im Flur.
So gut es die müdigkeitsbedingte Überforderung erlaubt, wischen Mutter und Vater jeweils anschließend auf, kratzen aus den Ritzen zwischen den Holzdielen.
Anderntags, mit etwas Abstand erfreuen sie sich der Komik des Geschehenen, der joy of repetition, die ja Kindern wesentlich zu eigen ist, ergänzt noch durch die Entdeckung eines bis dato übersehenen, sehr malerischen Motivs an besagter Stelle im Flur:

Kotzespritzer auf Lederschuh.

Kein Kaiser´s mehr

Der Kaiser´s bei uns unten an der Ecke heißt seit ein paar Tagen „Rewe City“. Wie gut, daß ich die lachende Kaffeekanne noch schnell fotografiert habe. Sie ist nämlich jetzt für immer weg, aus dem Stadtbild verschwunden.

Kaiser´s

Ein ehrendes Andenken bewahrt wird der Supermarkt-Kette auch in meinem Gedicht

 

Kleines Panoptikum

 

Frauen, die auf Hummeln fliegen,

Männer, die im Dunkeln bügeln,

Puppen, die in Pfützen liegen,

Krähen, die die Angst beflügeln,

 

Ferkel, die an Brüsten trinken,

Schwäne, die auf Schienen gleiten,

Mützen, die im Sumpf versinken,

Gabeln, die mit Messern streiten,

 

Riesen, die auf Stelzen laufen,

Zwerge, die die Wände weißen,

Bettler, die bei Kaiser´s kaufen,

Mäuse, die in Mettwurst beißen,

 

Möbel, die sich selbst verrücken,

Häschen, die im Rollstuhl sitzen,

Kühe, die Kamillen pflücken,

Spatzen, die die Ohren spitzen,

 

Jogger, die beim Joggen rauchen,

Knöpfe, die von Hosen springen,

Taucher, die ein Streichholz brauchen,

Klingen, die in Körper dringen,

 

Kinder, die Absinth bestellen,

Füchse, die die Schuhe schnüren,

Glieder, die zur Unzeit schwellen,

will ich euch vor Augen führen.

 

Das ist hiermit auch geschehen.

Guten Tag. Auf Wiedersehen.

Dreimal Karneval

Meine Initialisierung in die hemmungslosen Freuden des Karnevals fand an einem Weiberfastnacht-Donnerstag in einer Kölner Kneipe statt.  Freund Andreas und ich, beide noch jung und ungebunden, kamen gerade vom Klo und trafen auf eine Nonne. Andreas stellte sich ihr in den Weg und sagte:

„Bitte segne mich!“

Die Nonne zögerte keine Sekunde, schnappte sich den Bittsteller, legte ihm einen Arm um den Hals, zog ihn an sich und küßte ihn so fest wie langanhaltend auf den Mund.  Wenn das so ist, möchte ich ein Teil davon sein, dachte ich, machte mit und wurde ein Teil davon.

*

Ein oder zwei Jahre später waren wir an Weiberfastnacht wieder gemeinsam unterwegs, feierten, verloren uns aber im rauschhaften Laufe des Tages und der Nacht im Getümmel aus den Augen. Mobiltelefone hatten wir nicht.  Anders als geplant übernachtete ich nicht bei Andreas, sondern woanders. Erst am nächsten Nachmittag kehrte ich in seine Wohnung zurück. Mir bot sich ein Bild der totalen Kapitulation vor dem Kater:  Der Mann lag im Bett und sah im Fernsehen „Pippi Langstrumpf“.  Kraftlos schaute er mich an und fragte:

„Wo warst du denn die ganze Nacht? Ich hab schon bei der Feuerwehr angerufen. Aber die haben gesagt: ´Brück? Hamma  nit jefohre.´“

*

Inzwischen sind wir älter und Andreas meidet Alkohol wie Karneval.  An Weiberfastnacht erlebt er aber immer noch Lustiges. Doch lest selbst:

„Die Liebste und ich gehen am Weiberfastnachts-Nachmittag traddidsjenell  gerne in die Sauna.  Und obwohl die im Mauritius-Hotel direkt hinter meinem  Haus liegt, heißt es trotzdem immer wieder Tasche packen, anziehen, umziehen  und alles.  Gestern habe ich gedacht – och, sind doch eh alle verkleidet, da ziehe ich  mir den Bademantel und die Latschen schon zuhause an und geh  einfach so rüber. Ist auch keinem aufgefallen, haha.  War ganz normal.
Auf dem Rückweg ist mir dann noch einer begegnet, der als VERKLEIDUNG einen  Bademantel und Schlafanzug anhatte – da haben wir uns gefreut und mit  Handschlag begrüßt. Hab ihm dann noch gesagt, dass ich gar nicht verkleidet  war, sondern einfach nur aus der Sauna komme. Der hat vielleicht  gelacht.“

Andreas im Bademantel

An Karneval nur so zu tun, als sei man verkleidet: Eine besonders subtile Form der Heiterkeit.

Test by ridicule

Manche Menschen verstehen keinen Spaß.

Warum nicht?

Das ist eine interessante Frage, die sich und der sich Despoten, Autokraten, Heimattümler, religiöse Fanatiker aller Art stellen sollten.

Propagiert hat diesen „Test by ridicule“ der Earl of Shaftesbury um 1700. Thomas Kapielski faßt ihn in seinem Buch „Mischwald“ (S. 186) so zusammen:

„Der Spott sei Test (´test by ridicule´) und Arznei wider den Fanatismus! Wo eine Gesinnung auf dem Probierstein des Spottes cholerisch anspringt, da stehe es ganz übel. Dabei leugnet Shaftesbury keineswegs die Aufrichtigkeit echter religiöser Gesinnung, denn diese, so Shaftesbury, würde Spott, sogar Hohn, immer mild lächelnd ertragen. Geschwollene Würde aber, die sich von vornherein gegen Kritik abzuschirmen trachte, sei Betrug; alle Unaufrichtigekit fürchte nichts mehr als Scherz und Humor.“

Wann immer Euch,  geneigte Leserinnen und  Leser, ein Mensch verdächtig vorkommt: Macht den test by ridicule. Prüft oder stellt Euch vor, wie er oder sie auf Spott reagieren würde.

Dann wißt Ihr,  wo Ihr dran seid.