Alle Beiträge von Sankt Neff

Gutes Wort

Immer noch soll man irgendwelche großartigen neuen Serien auf Netflix oder so oder wo kucken, dabei ist die Blütezeit der großartig erzählten neuen Serien nach meinem Eindruck doch längst vorbei. Ich jedenfalls freue mich inzwischen wieder sehr und mehr über gut erzählte Geschichten in Spielfilm-Länge.  Davor, danach und daneben bleibt dann sogar noch Zeit für ein Vollbad oder sonstwie Medienfernes.

Trotzdem habe ich mich aber jetzt gefreut, von Barmann Alex ein Wort gelernt zu haben, das kurz und lautmalerisch die Enge beschreibt, in die uns all die Empfehlungen für großartige neue Serien treiben:

Kuckdruck.

SZ

Ich hab Euch noch was mitgebracht aus Wien. Schaut doch mal bitteauf dieses fast furchteinflößend seriöse Schuhgeschäft in der Dorotheergasse. Reingetraut habe ich mich natürlich nicht. Durch eines der beiden kleinen Fenster aber konnte ich in den Ladenraum spinksen. Der ist sehr klein: nur ein Zweisitzer, auf dem die Kunden Platz nehmen und ihre Füße vermessen lassen, später dann die MASZSCHUHE anprobieren können, dahinter eine steile Stiege, die vermutlich in die Werkstatt führt. Alles bißchen dunkel, unheimlich, abweisend. Ein Schauplatz wie von Thomas Bernhard erdacht.

Wieder in Wien (2)

Gleich zwei erlesene Austriazismen in nur einer Durchsage der Wiener U-Bahn:

„Seien Sie achtsam: Andere Fahrgäste brauchen Ihren Sitzplatz vielleicht notwendiger.“

Das weicheste Wienerisch der Welt kam mir übrigens zu Ohren, als ich nach einem Besuch des Zentralfriedhofs ein Restaurant suchte, das mir wegen seines „guaden Schnitzels“ empfohlen worden war. An Tor 2  sprach ich einen Fiaker-Fahrer an. Er trug  Melone, eine runde Metallbrille, im Mund eine Zigarette, die nicht mehr glomm, einen dicken Pullover, Stoffhose, gute Schuhe – und war sehr freundlich. Er kenne das Restaurant nicht, habe aber Internet und schaue gleich nach. Vorher müsse er seinen Pferden noch die Augen mit Hauben abdecken. Dann suchte er mit Hilfe seines Telefons, wir plauderten derweil. Und ich durfte meine Ohren baden im weichesten Wienerisch der Welt.

Wien wort auf mi

Zur Einstimmung auf meine nächste kleine Reise nach Wien höre ich im Moment fast täglich das Lied „Wien wort auf di“ von Granada. Es handelt sich um eine sehr eigene, sehr wienerische  Coverversion von Billy Joels „Vienna“. Ich mag den Dialekt, ich mag die exaltierte Art zu singen, ich mag das Akkordeon und ich mag Wien.

Viel Wien mit Fiaker und Pipapo steckt im dazugehörigen Video. Für mich sieht es so aus, als sei es ohne Schnitt gedreht. Deshalb hat auch der Sänger meine komplette Bewunderung dafür, daß er es schafft, sich während der kurzen Akkordeon-Passage eine Zigarette aus der Jacke zu fingern, sie an der frischen Luft  zu entzünden und pünktlich zum Weitersingenmüssen den ersten Zug zu exhalieren. Sehrsehr lässig. Wiener halt. Schaut her:

Truckspotting (4)

Bei Wind und Wetter standen (erst) und saßen (dann) Bademeister Matthias, Trauma-Anne und ich auch in dieser Saison wieder morgens vor der „Bar Italia“. Wobei Anne am schnellsten zieht: nämlich ihr Handy, um damit gespottete Trucks

gleich dokumentieren zu können. Hier noch

ein paar besonders schöne beschriftete

oder rätselhaft benannte Lastwagen,

die nur Menschen mit Hang zu albernen Synonymen gerne „Brummis“ nennen:

(Alle Fotos: Anne Janzen)

Schön verlesen

Am Kiosk fette Schlagzeile einer Boulevard-Zeitung:

„BERLINER WAHRSAGERIN SCHMEISST HIN!“

In Wirklichkeit ist es die Berliner „Wahl-Versagerin“, die hingeschmissen hat, meint: Die Landeswahlleiterin ist zurückgetreten. Meine Lesart aber natürlich viel phantasiebeflügelnder.

Momenteindrücke – Sonst war nichts

Vor einem guten Jahr ist „Sonst war nichts“ erschienen. Beim Wiener Schriftsteller Peter Altenberg fand ich jetzt eine Selbstbeschreibung, die auch auf mein autobiographisches Erzähl-Projekt angewendet werden könnte:

„So also schauen meine Lebenserinnerungen aus, mit denen ich in einem großen Blatte aufwarten soll?!? Ich sage es ja immer: Dieser Peter Altenberg ist nur für Momenteindrücke auf die Welt gekommen!“

(Peter Altenberg, „Das macht nichts: Neues Altes aus dem Kaffeehaus“, S. 225)

Nicole, Hitchcock und ich

Freundin Nicole ist eine Fachfrau für Traum-Angelegenheiten. Deswegen hat sie auch gleich auf meinen vorletzten Blog-Eintrag zu den nächtlichen Erlebnissen von Hitchcock und mir reagiert – und eine eigene Erfahrung beigesteuert, die für sie sehr schlimm, für alle anderen aber sehr lustig ist. Doch lest selbst:

„Sankt Neff, ich bin total beeindruckt! Du bist der erste Traumaphoristiker, den ich kennenlernen durfte. Allerdings würde ich gerne mehr über diesen Traum erfahren. Wie kommt es zu diesem Satz? Vielleicht kläre ich das in meinem nächsten Klartraum. Dann berichte ich dir.

Ich muss dir jetzt auch was erzählen: Vor einigen Wochen habe ich nachts von einer unglaublichen Erfindung geträumt. Als ich morgens aufgewacht bin, war mir klar, dass ich mir das sofort patentieren lassen muss und dass ich wahrhaft etwas erfunden habe, was es so noch nicht gibt, aber jeder Mensch braucht. Ich war von mir selbst schwer beeindruckt, bin beschwingt in die Küche, habe gutgelaunt das Frühstück zubereitet und meiner Familie von dieser einzigartigen Idee erzählt. Und jetzt kommts!

Ich weiß nicht mehr, was es war! Seit Tagen grüble ich, aber es will mir nicht mehr einfallen. Und das noch Schlimmere: meine Familie hört mir schon gar nicht mehr zu, wenn ich wieder einen Traum erzähle – sie wissen von nichts! Ich bin sehr verzweifelt. Da kann ich mich jahrelang an jeden noch so albernen Traum erinnern und jetzt, wo es mal wirklich wichtig wäre, versagt mein Traumerinnerungsvermögen.“

Abgesehen von Nicoles verständlicher persönlicher Enttäuschung, frage ich mich: Gibt es das, Dinge, die jeder Mensch braucht, die aber noch nicht erfunden wurden? Was meint Ihr?

80 Jahre Henscheid

Wann hast du es als Schriftsteller geschafft? Nobelpreis? Natürlich nicht. Geschafft hast du es als Schriftsteller, wenn sich schon zu deinen Lebzeiten eine Kneipe nach dir benennt.

„Henscheid“

– so heißt seit ein paar Jahren eine Gastwirtschaft in Frankfurt. Zu Ehren eines großen Mannes, der genau heute genau 80 Jahre alt wird.

Von Eckhard Henscheid stammen einige der schönsten Sätze, die je in deutscher Sprache geschrieben wurden. Zum Beispiel die hier aus „Dolce Madonna Bionda“:

„Im Gehen suchte Hammer leis zu weinen. War aber noch zu früh.“

Martin Mosebach hat Henscheid mal als „Erdteil“ bezeichnet. Das ist eine passende Metapher, finde ich. Denn sowohl der Autor als auch sein Werk erscheinen wie ein ganz eigener, völlig unabhängig existierender Kontinent. Nie habe ich einen Menschen kennengelernt, in dessen Kopf sich derart viele Interessens- und Wissensgebiete versammeln: Literatur, Musik, Malerei, Schach, Fußball, Katholizismus, Klatsch und Tratsch. Und natürlich die Freude an allen Spielarten der Komik.

Als ich die Eheleute Henscheid vor fünf Jahren besuchte, freuten sich die beiden wie Kinder darauf, mir zu demonstrieren, daß ihr 29 Jahre alter roter Fiat Panda als einziges Auto Ambergs durch eine sehr enge Gasse der Altstadt paßt.

Tags drauf dann, Karfreitag, unterwegs zu einem Ausflug, will Henscheid mir das Kunststück erneut vorführen –  und schrammt mit dem Panda erst ordentlich links an, nach dem Zurücksetzen dann nochmal volle Kanne krachend rechts.

Was den abenteuerlustigen Mann nicht davon abhält, auf dem Heimweg  unverdrossen abermals die Herausforderung zu suchen – und vor einer Gruppe von staunend schauenden Karfreitags-Gottesdienst-Besuchern zu meistern.

Ein Meister der Komik, aber auch der fast unaushaltbaren Zartheit. Wie hier, am Schluß der Novelle „Maria Schnee“:

„Hermann sah lang in die Luft hoch und ließ endlich die Augen wieder zurückfallen. Im geöffneten linken Parterrefenster war Hubmeiers Rumpf erschienen, mitsamt dem Kopf schon leicht nach draußen hin geneigt. Etwas ertappt nickte dem Wirte Hermann zu. Hubmeier lächelte diskret und hob auch schon den rechten Arm. Mit der flachen fächelnden Hand winkte er Hermann bewegt und freundlich zu und ihm noch lange nach.“

Hitchcock und ich

Alfred Hitchcock hatte das Gefühl, nachts – im Traum oder Halbschlaf – die besten Ideen für Filme zu haben. Also legte er Papier und Bleistift neben sein Bett, um diese Einfälle im Zweifelsfall auch gleich aufschreiben zu können.  Einmal wachte er morgens auf mit der vagen Erinnerung, nachts etwas notiert zu haben. Hitchcock schaute neugierig, vorfreudig auf den Zettel. Und tatsächlich – dort stand:

„Boy meets girl.“

An diese Anekdote mußte ich denken, als ich neulich morgens einen  Zettel neben dem Telefon entdeckte.

In der vorangegangenen Nacht war ich aufgewacht und hatte gedacht:  ´Da habe ich aber gerade etwas Interessantes geträumt.´  Ich ging aufs Klo und memorierte: Im Traum hatte ich ein Buch gelesen und mir darin eine Stelle angestrichen. Weil mir das geträumte Zitat so bemerkenswert vorkam, zwang ich mich trotz großer Müdigkeit dann, den angestrichen Satz auf einen Zettel neben dem Telefon zu notieren. Ging wieder ins Bett und schlief weiter.

Und anders als Hitchcock, wurde ich am nächsten Morgen nicht enttäuscht durch die Banalität des Einfalls.  Denn auf dem Zettel stand in müde-krakeliger Schrift:

Ich habe gelernt, daß das Lachen über Kinderlosigkeit nichts anderes ist als abgelöste Erschöpfung.“

Was immer das zu bedeuten hat: Es klingt anregend rätselhaft. Und ich bin ein bißchen stolz auf die Komplexität meiner Träume. Denn ich habe ja nicht nur geträumt, ein Buch gelesen und eine Stelle angestrichen zu haben. Ich habe das Buch auch selbst geschrieben. Immerhin ein Satz daraus ist hiermit überliefert.