Hätte Sehnsucht Gewicht

Nein, das „Nachthemd“-Lied haben „Erdmöbel“ am Sonntag nicht gesungen und gespielt, dafür aber viele andere Juwelen aus ihrem wahrhaft hochkarätigen Songbook. Und wir im Publikum durften wieder mitsingen, gerne auch an Stellen, die gar nicht so einfach mitzusingen sind – wie beim Refrain des „Lieds über gar nichts“:

„Ich wünsche mir ein Lied

Über gar nichts

Eins das fällt und verglüht

In der Finsternis

Über gar nichts

ein kaputter Satellit.“

Große Dichtung auch der Text des noch ziemlich neuen Liedes „Das Vakuum“:

„Ihr stellt FragenWie ich mich einer Blinden beschreiben würdeOb ich ein Lebensmotto habeEinstein sagteAls die Schülerzeitung fragteZwei Dinge sind unendlichDie Dummheit und

 

Das UniversumIst meine große LiebeUnd die PhysikVerehre ich wie meine MutterHab sie nur kurz gekanntSie hinterließ mir so ein warmes GefühlFür den leeren Raum, für das Vakuum“

 

Ich habe dieses Lied schon sehr oft gehört und trotzdem muß ich bei der lapidaren Zeile

„Hab sie nur kurz gekannt“

immer wieder und immer noch ein bißchen weinen.

Die Stimmung beim Konzert war heiter bis ausgelassen, obwohl viele der Songs so melancholisch sind und sehnsuchtsvoll:

„Hätte Sehnsucht Gewicht –

Wieviel Zentner wöge ich.“

Der Refrain des Liedes „Wette unter Models“ zielt mitten ins Herz und ist sprachlich virtuos: Die poetische Vorstellung, man könne Sehnsucht wiegen, die elegante w-Alliteration, der ausgefallene Konjunktiv, der altmodische und zugleich lustig übertriebene Zentner – eine bittersüße Symphonie der Worte.

Auf dem vor kurzem erschienenen Jubiläums-Album gibt es eine neue Einspielung dieses Liedes. Bitte beachtet das magische Bass-Motiv, das sich durch den kompletten Song zieht:

Was „Erdmöbel“ auch sehr gut können, sind Cover-Versionen. Auf dem neuen Album ist wieder eine.

Jackson Browne hat den Song „These Days“ geschrieben, bekannt gemacht hat ihn die aus Köln stammende Sängerin Nico. Erstmals begegnet ist er mir in Wes Andersons Film „The Royal Tenenbaums“:

Sehnsucht allerorten, wenn auch hier eher luftigleichte als zentnerschwere.

Was ich an meinem Wohnort schätze

Einer meiner Lieblings-Songtitel ist

„Was ich an deinem Nachthemd schätze“

der Kölner Band „Erdmöbel“.

Was ich an meinem Wohnort am Fuße des Kreuzbergs schätze, ist, daß es von dort aus früher mal möglich war

zu Fuß zum Flughafen

zu gehen. Genau einmal nutzte ich diesen Standortvorteil, zog mein Köfferchen nach Tempelhof, um von dort im Rahmen einer Dienstreise nach Dortmund zu fliegen. Damals tat man das noch, ohne groß drüber nachzudenken.

Was fast noch toller ist: Ich kann, wann immer ich will,

mit dem Fahrrad zur Philharmonie

radeln.

Ich tat das schon häufiger und heute Abend werde ich es wieder tun:

um die Band „Erdmöbel“ gemeinsam mit dem „Kaiser Quartett“ im Kammermusiksaal der Philharmonie zu erleben.

Bin sehr gespannt, ob sie auch den „Nachthemd“-Song singen und spielen werden.

Sonntags im Kalender

Heute ist Sonntag. Und ich bin im Kalender.  Also nicht ich, sondern eines meiner Gedichte. Und nicht in irgendeinem Kalender, sondern im

Der Raben-Kalender kam ursprünglich aus dem für meine literarische Sozialisation entscheidenden Haffmans-Verlag. Jahr für Jahr hing er bei mir an der Wand und Tag für Tag schaute ich auf Zitate verehrter Autorinnen und Cartoons bewunderter Zeichner. Später verlor ich ihn ein wenig aus den Augen. Bis mich im vergangenen Jahr Tini Haffmans anschrieb. Sie hatte mein Gedicht „Seufzer des Weniggereisten“ in der ´taz´ gelesen und fragte, ob sie es für den nächsten Raben-Kalender verwenden dürfe.

Dann kamen die Belegexemplare. Seit dem 1. Januar riss ich wieder Tag für Tag ein Blatt ab, um dort heute – ich erschrak mich fast ein bißchen – mein eigenes Gedicht zu entdecken:

Am Geburtstag des famosen Ror Wolf steht ein Gedicht von mir im Raben-Kalender.  So sollen Sonntage sein.

Witz und Weisheit

Der inzwischen 85jährige Franz Müntefering hat dem Magazin der ´Süddeutschen Zeitung´ neulich ein Interview gegeben. Zwei Stellen darin zeugen von Witz und Weisheit des Alters. Hier sind sie:

SZ: Sie sind 2013 aus dem Bundestag ausgeschieden, haben keine Ämter mehr, sind im Ruhestand. Duschen Sie trotzdem noch jeden Morgen eiskalt und zählen bis 100?

FM: Manchmal sogar bis 150.

SZ: Klingt nach einer Tortur.

FM: Ich kann schnell zählen, wenn es sein muss.

*

SZ: Haben Sie Angst vor dem Tod?

FM: Den Tod gibt es eigentlich gar nicht. Er ist nur ein winziger Augenblick. Das Sterben ist noch ein Teil des Lebens, der letzte. Das möchte ich ordentlich hinkriegen, möglichst menschlich, nicht allein. Dann beginnt das Totsein auf immer. Und zwischen beiden ist kurz und knapp der Tod.

Awesome amazing

Schön ist es im Juni in Jena. Und das Café am Markt ein sehr sympathischer Ort. Weswegen ich mich davor und darin oft aufhielt. Allein auf der Toilette fühlte ich mich umstellt 

und bedrängt von gutgemeinten Imperativen

und aufdringlich aufmunternden Botschaften.

Nicht  mal  beim  Händewaschen  war  ich  sicher  vor  Gratis-Komplimenten:

Ist ja alles nicht bös gemeint, das ganze Awesome-Amazing-Happy- Perfect-Gedöns, aber befremdlich ist es doch.

Bei Schillers unterm Bett

Tags zuvor erneut in Schillers Gartenhaus gewesen. Beim ersten Mal (siehe weiter unten) hatten mich die inmitten des pittoresken Ganzen etwas lieblos arrangierten Fernbedienungen Schillers irritiert. Diesmal wagte ich einen Blick unter sein Bett, das als Stauraum für Kartons genutzt wird.

Aber wird wirklich das Bett als Stauraum genutzt oder nicht eigentlich der Raum unter Schillers Bett? Der als Stauraum genutzte Raum unter Schillers Bett? Egal. Was mag enthalten sein in den Kartons? Bitte denkt darüber nach, während ich schonmal nach draußen gehe in den nach wie vor allerliebsten Garten.

Zementmischer (22)

Wenn man, wird man: Wenn man, wie Frau A. und ich vor einigen Tagen, trotz Schwüle hochsteigt zum Napoleon-Stein oberhalb von Jena, wird man zum einen belohnt mit einem fantastischen Blick über Tal und Hochebene, zum zweiten auf dem Rückweg in die Stadt mit diesem gelben, mit frühlingshaftem Grün drapierten Zementmischer hier:

Wieder Flieder

Im Frühling reimt sich vieles, wenn nicht alles auf Flieder. Findet auch die Katze, die hier besungen wird:

 

Das Kommen und Gehen der Katze im Frühling

 

Hört sie es klappern,

die Katze,

in der Küche,

kommt sie anschlawinert

in der Hoffnung,

daß etwas abfällt für sie,

herabfällt,

von Menschenhand auf den Boden.

 

Sie schnappt sich die Beute,

die Katze,

verschlingt sie

und wartet,

ob da noch etwas abfällt,

herabfällt.

Dann schleicht sie sich wieder

unter den Flieder.