Alle Beiträge von Sankt Neff

Kein Mucks

Im letzten Teil seines – vor kurzem hier schon erwähnten – Romans „Ein Mann wird älter“ beschreibt Italo Svevo auf Dutzenden von Seiten den Tod von Amalia, der Schwester des Erzählers. Im Delirium sagt sie – in der deutschen Übersetzung von Pietro Rismondo – den Satz:

„Ich werde mäuschenstill sein.“

Hatte ich bis dato noch nie gehört oder gelesen:

„mäuschenstill“.

Kein Mucks davor.

Und es stellte sich ein interessanter Effekt ein. Obwohl das „mucks“ vor „mäuschenstill“ ja eine weitere Steigerung der Stille ist – still, mäuschenstill, mucksmäuschenstill – klingt „mäuschenstill“ in meinen Ohren noch stiller als still und mucksmäuschenstill. Vermutlich, weil dieser Komparativ so ungebräuchlich, unerhört und deshalb unverbraucht ist.

Aber wie dem auch sei, eines steht fest: Die Sterbeszene von Amalia ist eine der eindrucksvollsten und mitleiderregendsten der mir bekannten Literatur und ließ mich mucksmäuschenstill zurück, wenn nicht sogar mäuschenstill.

Was schön ist (15)

Da kommst du an diesem kühlen, hellen Herbstmorgen den Kopf voll frischen Koffeins aus der frischgestrichenen „Bar Italia“,  biegst ein in deinen Hofgarten, bist in Gedanken eigentlich schon bei den anstehenden Verrichtungen des Arbeitstages at home, nimmst aber trotzdem die auf dem Boden liegenden Blätter  wahr, die wohl jemand verloren hat, nimmst dir aber trotzdem die Zeit stehenzubleiben, dich zu bücken und zu erkennen, daß es sich um Noten handelt, und nicht um irgendwelche, sondern um die, wie die Fügung es fügt, der „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg – und stellst fest:

 

Die Morgenstimmung ist gut.

 

(Kehrst dann mittags zum Tatort zurück, um, was du morgens versäumt hast,  die Notenblätter im hellen Herbst  fotografisch zu dokumentieren, und stellst fest: Sie sind vom Winde verweht oder von Menschenhand aufgelesen. Hättest du sie nicht aufgeschrieben, wäre sie spurlos vom Erdball verschwunden, die schöne Fügung.)

Im Worstpielhimmel

Erinnert Ihr Euch noch, wie Prince zeitweilig genannt wurde, als er im Streit lag mit seiner Plattenfirma und deshalb unter seinem eigentlichen Namen nicht mehr firmieren wollte? Genau:

„The artist formerly known as prince“ (kurz Tafkap)

Und erinnert Ihr Euch noch, wie treffend Max Goldt einmal die „Bild“-Zeitung charakterisierte? Genau: als

„Organ der Niedertracht“.

Diese präzise Charakterisierung trifft vermutlich auf die meisten Boulevard-Zeitungen zu. Außer zu Niedertracht sind solche Blätter gelegentlich aber auch zu wirklich kreativen Wortspielen fähig. Ob ich wollte oder nicht – sehr lachen mußte ich vorgestern jedenfalls über diese künstlerisch-journalistische Reaktion auf die Aberkennung sämtlicher royaler Titel im Falle Andrew Mountbatten Windsor:

Wenn Bücher nach Hause kommen (3)

Triest, wo ich mich seit ein paar Tagen – auch wenn mich die Stadt der Winde zunächst regnerisch trist empfangen hat – freudvoll und genußreich aufhalten darf,  ist die Heimat Italo Svevos.

Gleich an mehreren Orten wird hier auch gebührend an ihn erinnert. Zum Beispiel im Giardino Pubblico:

Und vor dem Literaturmuseum an der Piazza Attila Hortis, die Svevo auf dem Weg zur Bibliothek oft und vermutlich fast immer mit einer letzten Zigarette in der Hand überquerte:Ich weiß nicht, wie viele Menschen in Triest noch Svevo lesen. Viele werden es vermutlich nicht sein. ICH JEDENFALLS hatte natürlich einen seiner Romane dabei, las immer wieder darin, versuchte das aber in der Regel nicht so  ostentativ zu tun, wie es auf diesem Foto wirkt:

Damit Ihr auch was davon habt, sei hier einer der vielen schönen Sätze aus dem Roman „Senilità“/“Ein Mann wird älter“ notiert, den schon der große Svevo-Verehrer Eckhard Henscheid seinem ersten Roman „Die Vollidioten“ als Motto voranstellte:

„Obwohl er bereits blind vor Liebe war, gefiel er sich immer noch in der Rolle eines scharfsichtigen Beobachter.“  

Zementmischer (24)

Tina genießt das Privileg, regelmäßig und ausgiebig auf den Lago Maggiore blicken zu dürfen. Aus ihrer dortigen Nachbarschaft schickt sie mir für meine Sammlung diesen Zementmischer samt Schubkarre, die idyllischer ja wohl kaum platziert sein könnten:

Neulich in Kreuzberg (13)

Am frühen Abend unterwegs zum Gleisdreieck, um dort laufen zu gehen. An der Fußgängerampel hält neben mir ein Junge auf einem E-Roller.

Er schaut mich an und sagt „Hi.“

Ich schaue ihn an und sage „Hi.“

Er ist vielleicht zwölf, hat sehr schwarze Haare und ein liebes Gesicht. Ich kenne ihn nicht, glaube ich, frage aber sicherheitshalber nach.

Ich: Kennen wir uns vielleicht von irgendwo her?

Junge: Nö.

Ich: Nur so?

Junge: Ja.

Ich: Find ich gut. Schönen Abend!

Junge: Dir auch.

Es wird grün. Ich gehe, er rollt weiter.

Kein Druck mehr

Heute letztmals Druck. Zukünftig nur noch am Wochenende.

Jetzt in verständlich: Heute ist die letzte Ausgabe der ´tageszeitung´ als Tageszeitung in gedruckter Form erschienen. Ab morgen gibt es nur die Wochenendausgabe noch am Kiosk, von Montag bis Freitag müssen wir mit dem E-Paper oder dem Online-Auftritt vorlieb nehmen.

Das geschieht nicht aus Not, sondern lange geplant. Die ´taz´ weiß, was sie tut, und sie tut es mit Drive. Das ist beruhigend – und für Menschen wie mich trotzdem ein wenig traurig.

Froh bin ich, daß noch vor wenigen Tagen eines meiner Gedichte auf der gedruckten Wahrheitsseite erschienen ist. Denn E-Paper und Online-Auftritt schön und gut – es geht aber doch wenig über ein Foto, eine Schlagzeile oder eben ein Gedicht, das du ausschneiden und an den Kühlschrank pinnen kannst:

Die Zukunft ist ein Link:

https://taz.de/Die-Wahrheit/!6115444/

Diane und Woody.

Sagt mal, liebe Leute, muß  das sein, daß ich eine Woche, nachdem ich den Tod des eigentlich unsterblichen  Robert Redford beklagt habe, heute schon wieder Diane Keaton hinterherweine?

Just in dieser Woche habe ich alle drei Teile des „Paten“ geschaut, mit Diane Keaton als Kay, als Frau von Michael Corleone, die sich frei macht von den verbrecherischen Verstrickungen ihres Mannes und der „Familie“.

Ans Herz gewachsen aber ist mir Diane Keaton natürlich als Partnerin von Woody Allen in der Blütezeit seiner sentimentalen New Yorker Komödien, als wir sie noch ungetrübt von unguten Verdächtigungen feiern konnten.

Kongenial: im Falle von Diane Keaton und Woody Allen passt das etwas ausgeleierte Attribut ausnahmsweise mal. Es gab einen guten Grund, warum Woody Allen den Film, den wir als „Der Stadtneurotiker“ kennen, „Annie Hall“ nannte. Denn Diane Keaton war Annie Hall. Hier haben sich die beiden gerade bei einem Tennis-Match mit Freunden kennengelernt:

Vor acht Jahren verlieh das American Film Institute Diane Keaton den Life Achievement Award. In einer Laudatio bezeichnete Meryl Streep die Preisträgerin wegen ihrer flatterigen Art in vielen Rollen als „humming bird“, als quicklebendiges Kolibri, das unsere Herzen wärmt.

Hier nimmt Diane Keaton die Auszeichnung aus den Händen von Woody Allen entgegen –  in einem Outift, das nur sie tragen konnte.  Keaton kann und will in diesem Moment nicht groß reden. Stattdessen singt sie einen Song aus „Annie Hall“. Was nicht ohne Wirkung bleibt bei den vielen Film-Größen im Saal:

Barbra und Robert. Robert und Barbra.

Robert Redford zu Ehren zeigt das Babylon-Kino in Berlin-Mitte gerade eine Retrospektive ausgewählter Filme.

Am Mittwoch sah ich – erstmals – „The Way We Were“ aus dem Jahr 1973 mit Robert Redford und Barbra Streisand in den Hauptrollen, Regie: Sydney Pollack.

Der Film hat mich schier umgenietet.  Robert Redford sieht und sah ja immer gut aus. Aber hier sieht er UNGLAUBLICH gut aus: in weißer Uniform an der Theke, mit nacktem Oberkörper joggend am Strand: auch 52 Jahre nach Veröffentlichung des Films, am Mittwoch, juchzte vor allem, aber nicht nur das weibliche Publikum vor Begeisterung. Allein: Er sieht nicht nur unglaublich gut aus, er bewegt sich so lässig, er schaut so interessant und nicht immer ergründlich. Kein oberflächlicher Schönling, ein Mann mit Tiefe und Substanz, früher sagte man: mit Klasse.

Und Barbra Streisand neben ihm nicht minder grandios: Ihr Spiel, ihre Blicke schnitten mir ins Herz und machten mich lachen. Und dann singt sie auch noch – Überfülle des Talents – den wunderbaren Titelsong .

Streisand und Redford: mit wieviel Hingabe und Innigkeit und Schattierungsreichtum sie sich hier begegnen und letztlich verpassen.

Der Film ergriff mich auch deshalb so, weil Robert Redford wider Erwarten doch sterblich war, weil diese Blütezeit des amerikanischen Kinos vermutlich vorüber ist, weil das von Streisand und Redford verkörperte gute Amerika so fragil geworden ist.

Memories
May be beautiful and yet
What′s too painful to remember
We simply choose to forget

So it’s the laughter
We will remember
Whenever we remember
The way we were
The way we were

Lieblings-Buchhandlung

Wenn ich an Städte denke, denke ich an Buchhandlungen: in Wien an die Buchhandlung „phil“, in Köln an die Buchhandlung Klaus Bittner und in Bonn an den „buchLaden 46“.

Hier kaufte ich mein erstes Geschenk für Frau A.:

In Max Goldts Buch gibt es einen Witz, der mit den Wörtern „Quitten“ und „Quittung“ spielt. Deshalb freute ich mich damals, am 5. Mai 1993, besonders, daß mir einer der beiden Buchhändler, Klaus oder Holger, eine Quittung ausstellte, auf der „Quitten“ stand.

Der „buchLaden 46“ ist eine Buchhandlung mit besonders schönen Räumen, besonders guter Auswahl und besonders netten Verkäufern, die dir, wenn du Glück hast und lieb bist, besonders geschmackvolle Beutel schenken. Diesen hier

bekam ich vor einzwei Jahren bei einem Besuch in Bonn von Inhaber Holger  geschenkt und halte ihn seither in Ehren.

Diesen hier

bekam gerade Freund Andreas feierlich überreicht, auch deshalb, weil er vor einer Woche zum 50jährigen Bestehen der Buchhandlung ebenda musizierte.

Wie wunderbar, daß es so gute und geistvolle Orte noch gibt. Lange und hoch sollen sie leben!