Zu viel Zeug.
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Resümee
ist ein Wort, bei dem ich mir immer ein wenig unsicher bin, wie es geschrieben wird. So wie oben ist es richtig.
Die meisten Gedichte von Dorothy Parker gibt es bislang nicht in deutscher Übersetzung. Weil ich sie trotzdem lesen wollte, suchte ich mit Hilfe des nützlichen ZVAB nach einer amerikanischen Ausgabe – und wurde in einem New Yorker Antiquariat fündig.
Wenige Tage später erhielt ich per Post ein sehr ansehnliches – und trotzdem erschwingliches -, gebundenes Buch mit den Collected Poems von Dorothy Parker aus dem Jahr 1937. Darin auch dieses kleine Meisterwerk hier:
Résumé
Razors pain you;
Rivers are damp;
Acids stain you;
And drugs cause cramp.
Guns aren´t lawful;
Nooses give;
Gas smells awful;
You might as well live.
Und so hörte es sich an, wenn Miss Parker das Gedicht persönlich vorlas:
Vermutlich weil es recht bekannt und besonders schön ist, gibt es von „Résumé“ eine deutsche Übersetzung, noch dazu eine vortreffliche, nämlich von Claus Sprick. Veröffentlich wurde sie vor vielen Jahren im Literaturmagazin ´Der Rabe´. Ich möchte mich sogar zu der Behauptung versteigen, daß der Schluß des Gedichts in der deutschen Übersetzung besser ist als im Original. Doch lesen Sie selbst:
Resümee
Rasierklingen ritzen
Flüsse sind naß
Säuren spritzen
Gift macht blaß
Schlingen muß man knoten
Schüsse gehn daneben
Sprengstoff ist verboten
Bleibste eben leben
Lakonischer läßt sich ein fröhlicher Fatalismus doch nicht auf den Punkt bringen als in diesen drei Worten: „Bleibste eben leben“.
Und wo wir kurz vor Jahresende resümierend schon beim Thema Selbstmord sind, möchte ich nicht verabsäumen, auch eines meiner liebsten Lieblingslieder zu verlinken. Nämlich jenes, das zu Beginn jeder Folge der im Korea-Krieg angesiedelten Fernsehserie „M*A*S*H“ zu hören war:
Und wieder eine wundervolle Schlußzeile:
„And you can do the same thing if you please.“
Von Frau Astrid aus dem Stegreif elegant so übersetzt:
„Und du kannst, wenn du willst, das selbe tun.“
Fromme Wünsche
Komm, lieber Gott, und mache
die Erde wieder schön,
denn Haß, Neid, Gier und Rache
sind nicht mitanzusehn.
Komm, lieber Gott, und schalte
dich mal hier unten ein.
Sei tatkräftig und walte
– wir schaffens nicht allein.
Komm, lieber Gott, und heile
die Kranken auf der Welt
und anschließend verteile
gerecht Brot, Wasser, Geld.
Komm, lieber Gott, und schütze
die zart sind, schwach und klein.
Gib denen auf die Mütze,
die roh sind und gemein.
Komm, lieber Gott, und mache,
daß alle Welt sich liebt.
Und dann noch eine Sache:
Mach auch, daß es dich gibt.
Aus dem Leben eines Lehrers
Freund Martin berichtet von seinen Erfahrungen als Lehrer für Deutsch und Musik:
Den “Taugenichts” hab ich mal mit einer neunten Klasse gelesen, hinterher kam die gefürchtete Frage, was das denn jetzt gebracht habe – auf die weiß ich meistens keine Antwort … (In Musik ist es natürlich noch schlimmer, da antworte ich inzwischen: “Musik bringt überhaupt nichts! Man kann sehr gut ohne Musik leben!” Danach ist der nassforsche Frager meistens still.)
Ja, was hat es gebracht? Die Frage darf man nicht stellen. Bzw. wenn man sie stellt, ist vermutlich eh schon alles zu spät. Festhalten aber darf sich, wer will, an dieser Parole hier:
Die Kunst, sie tut nichts bringen.
Und trotzdem sollst du singen!
Leuchten
Mein liebster Klappentext ist der auf Flann O´Briens Roman „Der dritte Polizist“:
„Handelt es sich um ein Fahrrad?“, fragte er.
Mehr steht da nicht auf der Rückseite des nadelwaldgrünen Suhrkamp-Taschenbuches. Ich las diesen einen Satz damals in der Bonner Buchhandlung Bouvier, kaufte das Buch sofort – und wurde nicht enttäuscht.
Sehr gut aber auch der Klappentext auf diesem leuchtend gelben Buch:
Das Kind beteuert, sein geliebtes Stofftier habe eine Seele und lebe! – „Ja, wie denn und woher?“ – „Vom Liebhaben!“
Gleichermaßen wünschte es, einmal ´den Edel´ eines Edelsteins ganz rein, ohne Stein, schauen und begreifen zu dürfen. – „Wie stellst du dir denn diesen Edel vor?“ – „Durchsichtig, wie Licht!“
Wie Thomas Kapielski, der Mann, aus dem die leuchtenden, einleuchtenden, luziden Texte dieses Buches stammen, bei Licht betrachtet aussieht – das läßt sich am Sonntag um 17 Uhr im Kreuzberger K-Salon besichtigen. Soviel aber sei hier schon verraten: Es handelt sich um einen feinen Mann.
Thomas Kapielski ist leider erkrankt. Die Lesung kann deshalb an diesem Sonntag nicht stattfinden.
Gedicht, das noch zu Ende geschrieben werden will
Ich liebe dich mit Mundgeruch,
mit Schnupfen und mit Husten,
mit vollgerotztem Taschentuch,
ich bin bereit zu pusten,
wenn du mal wieder Aua hast…
Marmorkuchen (für Gerd Müller)
Freund Andreas und ich schleppen einen alten Herd samt Backofen aus dem Keller nach oben. Unterwegs frage ich ihn japsend:
“ Warum ist das Teil denn so schwer?“
Darauf er:
„Vielleicht ist noch ein Marmorkuchen drin.“
*
„Marmorkuchen, den ich sehr gerne esse, bäckt meine Frau, sooft ich Appetit darauf habe.“
(Gerd Müller in seiner Autobiographie „Tore entscheiden“)
Zwei Liebesbeweise
Ein Achtjähriger zu seinem Vater:
„Ich erzähle dir jetzt mal einen Blondinen-Witz. Aber ich erzähle den mit Chinesen, weil ich das sonst gemein finde gegen Mama.“
*
Wolfgang Herrndorf schrieb in seinem Blog „Arbeit und Struktur“, daß sich gleich mehrere Menschen bereiterklärt hätten, ihm beim Sterben zu helfen,
„in erster Reihe meine Mutter“.
Was für ein herzabschnürender Liebesbeweis: das Kind, das man selbst zur Welt brachte, im Notfall auch wieder aus dieser hinauszugeleiten.
Sie kam in einem Zelt zur Welt.
Natürlich schreibt nicht das Leben die schönsten Geschichten, sondern immer noch die Literatur. Das Leben ist aber manchmal auch nicht schlecht. Dachte ich, als ich vor ein paar Tagen eine dpa-Meldung las. Darin ging es um das jüngste Erdbeben in Mittelitalien und das Schicksal einer 101jährigen Frau. Das man – etwas anders sortiert – ungefähr so erzählen könnte:
Anna Rocco di Paolo kam in einem Zelt zur Welt. Das war im Jahr 1915. Italien befand sich im Ersten Weltkrieg. Ein schweres Erdbeben erschütterte die Mitte des Landes und kostete 30 000 Menschen das Leben. Viele Häuser wurden zerstört oder waren zumindest unbewohnbar. Auch Annas hochschwangere Mutter und ihr Vater mußten in eine Notunterkunft ausweichen. Hier wurde Anna geboren.
Irgendwann konnten die Eltern mit dem Baby wieder in ihr Heimatdorf Pieve Torina in den Marken zurückkehren. Dort lebte Anna die folgenden 101 Jahre. Mädchen, Frau, alte Frau. Ihr Dorf verließ sie in dieser Zeit kein einziges Mal. In den letzten Jahren auch das Haus nicht mehr. Bis jetzt die Erde wieder bebte und die Erschütterung die Greisin fast aus dem Bett fallen ließ.
Einsatzkräfte retteten Signora Rocco die Paolo aus ihrem Haus und brachten sie in eine 80 Kilometer entfernte Notunterkunft an die Adriaküste. Die alte Frau sah erstmals in ihrem Leben das Meer.
Ihre drängendste Frage aber war: „Wann kehren wir nach Hause zurück?“
Defekt (7)
Freund Claudio weist mich darauf hin, daß es Dinge gibt, die „zwar nicht kaputt, aber dafür auch nicht defekt“ sind, und belegt diese feine Beobachtung mit folgendem Dokument:
Der Zettel liest sich fast wie Lyrik. Und auch das verpackte Urinal gemahnt an Kunst. Wer sich, wie ich, länger in dieses Ensemble versenkt, taucht wieder auf mit einer Handvoll Fragen:
Klingt das gewählt wirken sollende „Urinal“ nicht eigentlich viel ekliger als „Pinkelbecken“?
Was wollen uns die drei Ausrufezeichen sagen? Vielleicht: „Nimm diesen Hinweis ernst, du kleiner Pisser! Ich behaupte das nicht einfach nur so!! Es handelt sich um die wirkliche und tatsächliche Wahrheit!!!“
Warum hat der Autor so wenig Zutrauen in die Macht der Worte und der Satzzeichen, daß er das Urinal sicherheitshalber auch noch mit Folie abkleben zu müssen glaubt?
Woran liegt es, daß die Ankündigung „Mangel wird bearbeitet“ auf mich keine beruhigende, sondern eher eine furchteinflößende Wirkung hat?
Wieso muß ich mich an einem kostbaren freien Tag mit so einer Scheiße befassen müssen?
Schluß jetzt und auf ins „Knofi“ auf eine schmackhafte Linsensuppe.