Verliebt in die Beatles

Ich bin verliebt in die Beatles. In alle fünf.

(Artwork: Elisabeth Brück)

Das liegt daran, daß ich gerade Peter Jacksons Dokumentation „Get back“ geschaut habe. Was für ein Privileg und was für ein Glück,  einige Stunden mit den Beatles im Probenraum verbringen und  kwasi live erleben zu dürfen,

wie Paul am Klavier „Let it be“ oder „The long and winding road“ entstehen läßt,

wie George den anderen morgens den Song „I me mine“ vorspielt, den er sich am Abend vorher ausgedacht hat,

wie Yoko einen Kaugummi halbiert und John die eine Hälfte so lange hinhält, bis er, der eigentlich mit jemand anderem redet, abwesend danach greift – die beiden teilen wirklich alles -,

wie Yoko und John tanzen Walzer,

wie Ringo furztrocken konstatiert, gerade gefurzt zu haben, er habe das  erst verschweigen und die Reaktionen beobachten wollen, sich dann aber anders entschieden,

wie Ringo gemeinsam mit Pauls Tochter Heather Schlagzeug spielt,

wie Ringo seine Hand auf Lindas legt, die auf Pauls liegt,

wie diebisch Paul sich freut, als er die Polizisten wahrnimmt, die das Konzert auf dem Dach des Apple-Gebäudes abbrechen wollen.

Die Dokumentation dauert mehr als sieben Stunden. Auch die scheinbar langweiligen Passagen sind großartig. Immer wieder hören wir neue Versionen von „Get back“, vieles stockt und ist zäh, die Musiker verheddern sich ineinander, fügen sich kleine Verletzungen zu, sind müde, unpünktlich, schlecht gelaunt, trinken Tee, essen Toast, trinken Wein, rauchen so ununterbrochen, daß Disney glaubt, einen Warnhinweis einblenden zu müssen, beginnen Songs, brechen sie ab.

Man spürt die Fliehkräfte, die wenig später zur Auflösung der Band führen werden, von Scheidung ist die Rede („Wer bekommt die Kinder?“), man sieht und hört aber auch, wie wundervoll diese Extremindivudualisten in der Musik immer wieder zueinander finden, vor allem als der leichthändige  Pianist Billy Preston als ambulanter fünfter Beatle dazustößt.

John Lennon legt sein Phlegma ab, wird wach und auf eine brillante Art albern, Paul quillt über vor musikalischen Ideen für alle erdenklichen Instrumente, George ist so scheu und verletzlich wie das Klischee es besagt, in Ringos Gegenwart fühlen sich alle am wohlsten.

Die Farben, die Klamotten, die Überfülle des Talents, die heilige Musik, der Witz, die Liebe, der Schmerz der Vergänglichkeit – das alles zudem noch mit einem 17jährigen teilen zu dürfen, dem sich die Genialität vons Ganze unmittelbar erschließt, der absolut konzentriert mitgeht, um später in seinem Zimmer „Let it be“  zu üben und unter der Dusche „The long and winding road“ zu singen.

Was für ein großes, großes Glück, daß es diese Band für einige Jahre gegeben hat, daß es ihre Musik immer geben wird.

Kater Wiglaf et al.

Als unser kleiner Kater noch keinen Namen hatte, schlug Kollegin Irène mir vor, ihn „Wiglaf“ zu nennen, in Erinnerung an Wiglaf Droste und dessen Affinität zu Katzen.

Der Gedanke, Wiglaf Droste als Kater kwasi zu reinkarnieren, gefiel mir, ließ sich in der Familie aber nicht durchsetzen.

So tauften wir den kleinen Kater auf den Namen

Mido

eine Verkürzung des japanischen Wortes midori = grün – wegen seiner Augenfarbe.

Als Kater-Vater interessiere ich mich jetzt natürlich auch für die einschlägige Literatur. Deshalb nahm ich das bisher ungelesene Katzen-Buch von Wiglaf Droste zur Hand und stellte fest, daß sein Kater

Domi

hieß, eine Verkürzung des Wortes Domino = schwarz-weiß – wegen seines Fells.

Beide Katernamen bestehen also aus den selben Silben, nur in umgekehrter Reihenfolge, bei beiden handelt es sich um die Verkürzung eines Wortes für Farben um zwei Buchstaben.

„Ist es Zufall? Ist es Schicksal?

Fährt der 8-Uhr-Zug durch Bruchsal?“

(Foyer des Arts, „A Su Ma Kra – Vom tieferen Zusammenhang der Dinge“)

Wie dem auch sei. Klar ist aber, daß hier jetzt nochmal das Foto von Wiglaf als Puppe und Kater Domi als er selbst hingehört:

P.S. Gerade eben beim Gang durch die Bergmannstraße gesehen, daß die Besitzerin der dortigen – sehr schönen – Schmuckgalerie

Lucie Schnurrer 

heißt. Was natürlich auch ein großartiger Name für eine Katze wäre.  So richtig mit Vor- und Nach-.

„Sonst war nichts“ bei Edgar Selge

Eine Kollegin fragte mich vor einiger Zeit, ob ich schon Edgar Selges Roman „Hast du uns endlich gefunden“ gelesen habe, er habe sie ein wenig an „Sonst war nichts“ erinnert.

Und tatsächlich gibt es einige Berührungspunkte, auch wenn Selges Buch formal ganz anders funktioniert und im Jahr 1960 spielt, also vor meiner Zeit. Es ist sehr lesenswert: komisch, traurig, subkutan wirkend. Ich belasse es mal bei diesen drei Hilfsausdrücken.

Was mich aber besonders entzückt hat, war – aus Gründen – diese Passage hier, in der Selge die Wirkung einer Narkose auf den zwölfjährigen Edgar beschreibt:

„Ich lag auf Wüstensand und schaute in den nachtblauen, von Sternen übersäten Himmel. Sonst war nichts. Aber der Weltraum war erfüllt: von Glück.“

Und es ward Licht

Von diesem denkwürdigen Erlebnis kurz vor Weihnachten möchte ich Euch noch berichten:

Am Bahnhof Kaiserdamm fährt die U-Bahn ein. Die Waggons sind komplett dunkel, offenbar ein Problem mit der Stromversorgung. Wir fahren los, im Tunnel dann natürlich noch dunkler. Nächster Halt Sophie-Charlotte-Platz. Ein großer Mann steigt schwankend ein, große Flasche in der Hand, und grölt mit russischem Akzent durch den dusteren Waggon:

„Mach die Licht an!“

Und was soll ich sagen: Es ward Licht. Just in diesem Moment. Der große Mann sah es wie selbstverständlich und ließ sich zufrieden auf seinen Sitz plumpsen.

Und wieder ein Gottesbeweis, wo man ihn nicht vermuten würde.

Du musst an den Frühling glauben

Am dunkelsten Tag des Jahres möchte ich Euch daran erinnern, daß es wieder heller und auch im nächsten Jahr vermutlich einen Frühling geben wird. Man kann das manchmal gar nicht glauben.

„Du mußt an den Frühling glauben“ – der Titel meines Gedichts ist geklaut: von der Band „Jeremias“, die sich wiederum bei dem von ihr verehrten Jazzmusiker Bill Evans bedient hat: „You must believe in spring“. Klingt in beiden Sprachen toll.

Das noch ziemlich frische Gedicht als poetische Lebenshilfe und Ausblick aufs nächste Jahr, in dem möglicherweise sogar ein neuer Gedichtband auf die Welt kommen wird:

 

Du mußt an den Frühling glauben

 

Du mußt an den Frühling glauben,

glaub mir, weil er sonst nicht kommt.

Laß dir nicht den Glauben rauben.

Februar und März – und prompt

 

kommt der Frühling zwitschernd, singend,

pfeifend schwingst du dich aufs Rad,

raus mußt du und zwar sehr dringend,

inhalierst das Konzentrat:

 

Frühling, Lüfte, Düfte. Kühe

grüßen dich auch heute nicht.

Wäre viel zu viel der Mühe,

muhen nicht für ein Gedicht.

 

Du mußt an den Sommer glauben,

ja, ich weiß, ist manchmal schwer.

Laß dir nicht den Glauben rauben,

denn sonst kommt kein Sommer mehr.

 

Und schon ist das Freibad offen

und der Sprungturm auf.

Du mußt auf den Sommer hoffen

und den Sommerschlußverkauf.

 

Wind winkt durch den Weizen Wellen,

unter Bäumen steht ein Pferd,

krachend kaut es Mirabellen.

Ist das nicht bemerkenswert?

 

Auch den Herbst sollst du ersehnen,

denn du weißt, er tut dir gut,

darfst im Wald die Seele dehnen.

Macht das glücklich? Absolut.

 

Laub macht glücklich. Laub auf Haufen.

Laub in praktisch jeder Form.

Und auch durch das Laub zu laufen,

hebt die Laune echt enorm.

 

Mit Kastanien in der Tasche,

Erde an den Schuhn nach Haus,

öffnest eine grüne Flasche,

trinkst sie ohne Eile aus.

 

Langsam auf den Winter warten,

denn der läßt sich gerne Zeit,

schaust durchs Fenster in den Garten,

übst dich in Genügsamkeit.

 

Heizung bullert, wärmt das Zimmer,

draußen ist es naß und kahl.

Kaum ein Vogel und kein Schimmer.

It´s so hard to say: egal.

 

Laß dich nicht vom Winter stören.

Bis zum ersten Schmetterling

kannst du doch Bill Evans hören,

yes, you must believe in spring.

 

Du mußt an den Frühling glauben,

glaub mir, weil er sonst nicht kommt.

Laß dir nicht den Glauben rauben.

Februar und März – und prompt.

Und hier noch der Link zur gesprochenen Version des Gedichts:

„Du musst an den Frühling glauben“ im Radio

200 Jahre Flaubert

Heute vor 200 Jahren wurde geboren wer?

Gustave Flaubert!

Diesen miesen Vers hat nicht verdient wer?

Gustave Flaubert!

Nein, diese miese Lyrik hat der große Prosa-Stilist, der wochenlang an kleinsten Verbesserungen feilte, wahrlich nicht verdient. Deswegen lasse ich ihn jetzt lieber selbst zu Wort kommen, das erste Zitat aus einem Brief zart und weise und voller Einsicht in den Sinn vons Ganze:

„Die großen Naturen, die die guten sind, sind vor allem verschwenderisch und fürchten nicht, sich auszugeben. Man muß lachen und weinen, lieben, arbeiten, genießen und leiden, das heißt in seiner ganzen Ausdehnung so weit wie möglich in Schwingung sein. Das ist, glaube ich, das wahrhaft Menschliche.“

(1866  an George Sand)

Das zweite kraftvoll komisch in seiner Misanthtropie:

»Ich möchte die Menschheit in meinem Gekotzten ertränken.«

(1871 an Ernest Feydau)

Eugène Giraud: Gustave Flaubert, um 1856

Der große Dezember

Und wieder ein Weihnachtslied der Band „Erdmöbel“. Beim ersten Hören dachte ich: Diesmal gefällt es mir nicht so. Beim zweiten Hören dachte ich: Vielleicht doch ganz schön. Nach dem etwa achten Hören weiß ich: Auch diesmal ist es zauberhaft.

– die Stimme von Markus Berges, die mich in ihrer Brüchigkeit gelegentlich an Elvis Costello erinnert und die sich so wohltuend abhebt von denen jener, die ihre gepimpten Fähigkeiten scham- und sinnlos ausstellen

– der seine ganz eigene Melodie singende Bass

– die Posaune, die mich wie alle Posaunen immer sofort kriegt

– die grandiose Zeile:

„Der große Dezember zeigt seine leeren Hände.“

Sowas muß man erstmal schreiben.

Und hier jetzt alles zusammen:

Müllmänner wie wir

Von meiner kindlichen Begeisterung für Müllmänner und die Rituale der Müllabfuhr in unserer Straße habe ich in „Sonst war nichts“ erzählt.

Daran mußte ich denken, als ich vor ein paar Tagen morgens den Müll zur zentralen Sammelstelle in Riehmers Hofgarten brachte. Davor stand ein Müllauto. Die Müllmänner waren offenbar schon fertig mit der Abholung. Einer von ihnen, gerade auf dem Weg zur Fahrerkabine, sah mich und rief mir zu:

„Schmeiß ma hinten rin!“

Also schmiss ich hinten rin. Will sagen: Ich ging auf die Rückseite und warf den prallen Sack in den Schlund des Müllautos, in dem die Malmwerkzeuge malmten.

Ein Kindheitstraum ward wahr.

Freigeister

Ich fang mal mit zwei Beispielen an:

Die Tochter einer Bekannten, frisch fertig mit der Schule, Veganerin, hat sich einen Job gesucht und arbeitet jetzt wo? Bei „Curry 36“, der Kreuzberger Zentrale des schnellen Fleischverzehrs. Diese Freiheit des Geistes lob ich mir.

Und zweitens Freund Andreas, der jahrelang Taxi fuhr, nie aber ein eigenes Auto besaß. Später landete er dann doch bei einer Fahrradfirma und nutzte deren Produkte begeistert. Einmal holte er mich am Kölner Hauptbahnhof ab mit einem Tandem samt Anhänger. Darin verstaute er mein Gepäck. Ich durfte hinten Platz nehmen, mußte fast gar nichts machen, außer ein bißchen treten. Und schaute mich frohgemut um im sommerabendlichen Köln.

Wieder in Wien (3)

Nicht nur ich, auch Freundin Beatrix war kürzlich in Wien. Und auch sie entdeckte ein denkwürdiges  Fachgeschäft:Beatrix schreibt dazu:

„Hast Du gesehen, dass auch dieser Laden maßanfertigt? Das Schild im Schaufenster ist mir erst gestern aufgefallen. Man stelle sich vor, perfekt sitzender Bademantel zu perfekt sitzenden Schuhen.“

Ja, so werde ich es machen beim nächsten Wien-Besuch: Erst Maßschuhe fertigen lassen bei „MASZSCHUHE“ (siehe weiter unten), dann einen Udo-Jürgens-Gedächtnis-Bademantel samt Einstecktuch bei „Wäscheflott“. Und so gewandet abends flott auf einen Sprung ins Café Anzengruber, um große Biere zu stürzen. Ich freu mich.

Mein All