200 Jahre Flaubert

Heute vor 200 Jahren wurde geboren wer?

Gustave Flaubert!

Diesen miesen Vers hat nicht verdient wer?

Gustave Flaubert!

Nein, diese miese Lyrik hat der große Prosa-Stilist, der wochenlang an kleinsten Verbesserungen feilte, wahrlich nicht verdient. Deswegen lasse ich ihn jetzt lieber selbst zu Wort kommen, das erste Zitat aus einem Brief zart und weise und voller Einsicht in den Sinn vons Ganze:

„Die großen Naturen, die die guten sind, sind vor allem verschwenderisch und fürchten nicht, sich auszugeben. Man muß lachen und weinen, lieben, arbeiten, genießen und leiden, das heißt in seiner ganzen Ausdehnung so weit wie möglich in Schwingung sein. Das ist, glaube ich, das wahrhaft Menschliche.“

(1866  an George Sand)

Das zweite kraftvoll komisch in seiner Misanthtropie:

»Ich möchte die Menschheit in meinem Gekotzten ertränken.«

(1871 an Ernest Feydau)

Eugène Giraud: Gustave Flaubert, um 1856

Der große Dezember

Und wieder ein Weihnachtslied der Band „Erdmöbel“. Beim ersten Hören dachte ich: Diesmal gefällt es mir nicht so. Beim zweiten Hören dachte ich: Vielleicht doch ganz schön. Nach dem etwa achten Hören weiß ich: Auch diesmal ist es zauberhaft.

– die Stimme von Markus Berges, die mich in ihrer Brüchigkeit gelegentlich an Elvis Costello erinnert und die sich so wohltuend abhebt von denen jener, die ihre gepimpten Fähigkeiten scham- und sinnlos ausstellen

– der seine ganz eigene Melodie singende Bass

– die Posaune, die mich wie alle Posaunen immer sofort kriegt

– die grandiose Zeile:

„Der große Dezember zeigt seine leeren Hände.“

Sowas muß man erstmal schreiben.

Und hier jetzt alles zusammen:

Müllmänner wie wir

Von meiner kindlichen Begeisterung für Müllmänner und die Rituale der Müllabfuhr in unserer Straße habe ich in „Sonst war nichts“ erzählt.

Daran mußte ich denken, als ich vor ein paar Tagen morgens den Müll zur zentralen Sammelstelle in Riehmers Hofgarten brachte. Davor stand ein Müllauto. Die Müllmänner waren offenbar schon fertig mit der Abholung. Einer von ihnen, gerade auf dem Weg zur Fahrerkabine, sah mich und rief mir zu:

„Schmeiß ma hinten rin!“

Also schmiss ich hinten rin. Will sagen: Ich ging auf die Rückseite und warf den prallen Sack in den Schlund des Müllautos, in dem die Malmwerkzeuge malmten.

Ein Kindheitstraum ward wahr.

Freigeister

Ich fang mal mit zwei Beispielen an:

Die Tochter einer Bekannten, frisch fertig mit der Schule, Veganerin, hat sich einen Job gesucht und arbeitet jetzt wo? Bei „Curry 36“, der Kreuzberger Zentrale des schnellen Fleischverzehrs. Diese Freiheit des Geistes lob ich mir.

Und zweitens Freund Andreas, der jahrelang Taxi fuhr, nie aber ein eigenes Auto besaß. Später landete er dann doch bei einer Fahrradfirma und nutzte deren Produkte begeistert. Einmal holte er mich am Kölner Hauptbahnhof ab mit einem Tandem samt Anhänger. Darin verstaute er mein Gepäck. Ich durfte hinten Platz nehmen, mußte fast gar nichts machen, außer ein bißchen treten. Und schaute mich frohgemut um im sommerabendlichen Köln.

Wieder in Wien (3)

Nicht nur ich, auch Freundin Beatrix war kürzlich in Wien. Und auch sie entdeckte ein denkwürdiges  Fachgeschäft:Beatrix schreibt dazu:

„Hast Du gesehen, dass auch dieser Laden maßanfertigt? Das Schild im Schaufenster ist mir erst gestern aufgefallen. Man stelle sich vor, perfekt sitzender Bademantel zu perfekt sitzenden Schuhen.“

Ja, so werde ich es machen beim nächsten Wien-Besuch: Erst Maßschuhe fertigen lassen bei „MASZSCHUHE“ (siehe weiter unten), dann einen Udo-Jürgens-Gedächtnis-Bademantel samt Einstecktuch bei „Wäscheflott“. Und so gewandet abends flott auf einen Sprung ins Café Anzengruber, um große Biere zu stürzen. Ich freu mich.

Windmühle von weitem

Gut tut es, im Fläming zu wandern, beispielsweise von der Bockwindmühle in Borne zur Brautrummel, unterwegs einerseits nur sehr wenige Menschen zu treffen und andererseits besagte Bockwindmühle aus immer wieder neuen Perspektiven erblicken zu können, nach ein paar Stunden zurückzukehren auf den Parkplatz unterhalb der Bockwindmühle,  auf dem genau zwei Autos stehen, gleich neben Deinem noch ein anderer Kangoo, dessen Fahrerin bei Deiner Ankunft auch gleich die Tür öffnet und Dir begeistert entgegenruft:

„Schönes Auto!“

Denn wir Fahrerinnen und Fahrer etwas betagterer, aber umso charaktervollerer Autos mögen uns und halten zusammen gegen das Böse in der Welt.

Das Leben ist.

Zum heutigen Jubiläum – hier kommt der 400. Eintrag! – schenke ich Euch eines meiner liebsten Zitate. Es stammt von Lou Reed und lautet:

„Das Leben ist ein Sanskrit-Text, den man einem Pony vorliest.“

Ja, zum Beispiel.

Was das Leben noch alles ist, sein kann oder sein könnte, lest Ihr bei Bedarf bitte hier, in einem Gedicht, das ich vor zehn Jahren schrob:

 

Das Leben ist ein Omnibus.

Der Bus fährt nur im Kreis.

Du fragst dich ständig „Wann ist Schluß?“

und oft „Was soll der Scheiß?“

 

Das Leben ist ein Campingzelt,

die Heringe nicht gut,

weswegen auch das Zelt nicht hält,

was es versprechen tut.

 

Das Leben ist ein Freudenhaus,

ein gutbesuchter Puff.

Man gibt viel Geld für Liebe aus

und macht am Ende „Uff!“.

 

Das Leben ist ein Folterknecht,

der keine Gnade kennt.

Der Folterknecht ist stets im Recht

und Schmerz sein Element.

 

Das Leben ist ein Überfall,

ein hundsgemeiner Trick.

Dagegen hilft ein großer Knall,

ein Auspuff oder Strick.

 

Das Leben ist ein Hirngespinst,

ist Halluzination.

Wir taumeln durch die Nacht. Gott grinst.

Das war es dann auch schon.

 

Das Leben ist ein Haderlap,

ein dickes, doofes Ding.

Das Leid ist groß, die Zeit ist knapp,

das Honorar gering.

 

Das Leben ist ein Tintenfaß

und ganz schön schnell ganz leer.

Das Schreiben macht mir trotzdem Spaß.

– Im Grunde ist es fair.

 

Das Leben ist – ja was denn nun?

Die Antwort ist: Es ist.

Die Blumen blühn. Die Kühe muhn.

Ich bin. Wir sind. Du bist.

Gutes Wort

Immer noch soll man irgendwelche großartigen neuen Serien auf Netflix oder so oder wo kucken, dabei ist die Blütezeit der großartig erzählten neuen Serien nach meinem Eindruck doch längst vorbei. Ich jedenfalls freue mich inzwischen wieder sehr und mehr über gut erzählte Geschichten in Spielfilm-Länge.  Davor, danach und daneben bleibt dann sogar noch Zeit für ein Vollbad oder sonstwie Medienfernes.

Trotzdem habe ich mich aber jetzt gefreut, von Barmann Alex ein Wort gelernt zu haben, das kurz und lautmalerisch die Enge beschreibt, in die uns all die Empfehlungen für großartige neue Serien treiben:

Kuckdruck.

SZ

Ich hab Euch noch was mitgebracht aus Wien. Schaut doch mal bitteauf dieses fast furchteinflößend seriöse Schuhgeschäft in der Dorotheergasse. Reingetraut habe ich mich natürlich nicht. Durch eines der beiden kleinen Fenster aber konnte ich in den Ladenraum spinksen. Der ist sehr klein: nur ein Zweisitzer, auf dem die Kunden Platz nehmen und ihre Füße vermessen lassen, später dann die MASZSCHUHE anprobieren können, dahinter eine steile Stiege, die vermutlich in die Werkstatt führt. Alles bißchen dunkel, unheimlich, abweisend. Ein Schauplatz wie von Thomas Bernhard erdacht.

Wieder in Wien (2)

Gleich zwei erlesene Austriazismen in nur einer Durchsage der Wiener U-Bahn:

„Seien Sie achtsam: Andere Fahrgäste brauchen Ihren Sitzplatz vielleicht notwendiger.“

Das weicheste Wienerisch der Welt kam mir übrigens zu Ohren, als ich nach einem Besuch des Zentralfriedhofs ein Restaurant suchte, das mir wegen seines „guaden Schnitzels“ empfohlen worden war. An Tor 2  sprach ich einen Fiaker-Fahrer an. Er trug  Melone, eine runde Metallbrille, im Mund eine Zigarette, die nicht mehr glomm, einen dicken Pullover, Stoffhose, gute Schuhe – und war sehr freundlich. Er kenne das Restaurant nicht, habe aber Internet und schaue gleich nach. Vorher müsse er seinen Pferden noch die Augen mit Hauben abdecken. Dann suchte er mit Hilfe seines Telefons, wir plauderten derweil. Und ich durfte meine Ohren baden im weichesten Wienerisch der Welt.

Mein All