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Spinat-Zitat

Der Marmorkuchen-Satz läßt mich nicht los. Warum? Weil: Alles ist mit allem wunderlich verwoben. Gerd Müller mit Thomas Bernhard und Thomas Bernhard mit Peter Altenberg.

Also: Gerd Müller schreibt in seiner Autobiographie:

„Marmorkuchen, den ich sehr gerne esse, bäckt meine Frau, sooft ich Appetit darauf habe.“

Die einnehmende Schlichtheit des Ausdrucks und des Geschmacks führt uns zu Thomas Bernhard. Der verbrachte viel Zeit mit seinem Nachbarn Karl Ignaz Hennetmair: vor dem Fernseher, beim Essen. Am Gründonnerstag des Jahres 1972 hält Hennetmair in seinem Tagebuch einen gemeinsamen Vorsatz fest:

„Wir haben uns vorgenommen, öfter Spinat mit Spiegelei zu essen, denn es schmeckt so gut.“ 

Für Bernhard war Spinat also offenbar eine Köstlichkeit. Für seinen Vorfahren, den österreichischen Schriftsteller Peter Altenberg, noch mehr, kwasi eine göttliche Erscheinung.

„Der Spinat fühlt: ´Was bin ich für eine wunderbare Anordnung von lebendigen Zellen, was für ein Mysterium von geheimnisvollem Leben und Walten!?´ Aber der Koch macht ein einfaches Püree daraus, und der Mensch frisst es ohne Phantasie!“ (Peter Altenberg, „Das macht nichts:  Neues Altes aus dem Kaffeehaus“, S. 119)

Der Spinat in der Weltliteratur. Wenn Ihr andere Spinat-Zitate kennt: immer her damit.

Solche Sätze

Eins weiter unten habe ich – wahrheitsgemäß – behauptet, der Marmorkuchen-Satz von Gerd Müller verdichte ein komplettes Leben.

Solche Sätze konnte auch der Hamburger Komiker Heino Jaeger. Für seine Figuren hat er sie sich zuhauf ausgedacht. In einer Nummer ruft eine ältere Frau bei der Telefonberatung an und eröffnet das Gespräch mit Worten, die einen wahren Schicksals-Abgrund aufreißen:

„Wir wohnen am Waldrand und sind kinderlos geblieben.“ 

Und noch einmal für Gerd Müller

Mein Nachbar in Bad Belzig, DDR-sozialisiert, den ich gestern am Zaun traf, zeigte mir auf seinem Handy die Eilmeldung zum Tod von Gerd Müller und sagte:

„Traurig, oder?“

Ja, traurig.

Das Finale der WM 1974 ist meine erste Erinnerung an Fußball im Fernsehen, an Männer, die jubelnd über das Tor von Gerd Müller aufsprangen und mit dem Kopf an die Lampe im Wohnzimmer von Walterscheids knallten. Dort schauten wir alle gemeinsam, denn Walterscheids hatten den einzigen Farbfernseher der Straße.

So singulär Gerd Müller als Fußballer war, so schlicht und gutmütig, war er, nach allem, was ich gesehen und gehört habe, von Gemüt. Ein schlichtes und gutmütiges Gemüt, das sich auch in seinen kulinarischen Vorlieben zeigte: In fast allen Nachrufen ist von Kartoffelsalat als Leibgericht die Rede, gelegentlich auch von Wurstsalat. In seiner Autobiographie „Tore entscheiden“  erwähnt  Gerd Müller noch ein drittes:

„Marmorkuchen, den ich sehr gerne esse, bäckt meine Frau, sooft ich Appetit darauf habe.“

Ein syntaktisch wie inhaltlich ewigkeitswürdiger Satz, in dem sich ein komplettes Leben verdichtet. Vor fünf Jahren habe ich ihn hier schon mal zitiert – Gerd Müller zu Ehren. Heute muß das nochmal sein.

(Foto: Panini-Sammelbild 1973/74)

P.S. tags drauf: Heute in der ´Süddeutschen´ dann noch ein Interview mit Hermann Gerland, der Gerd Müller als Gegenspieler kannte und später mit ihm ein Trainer-Gespann bildete. Ein Interview, aus dem die reine Liebe spricht. Außerdem erfahren wir von einer weiteren kulinarischen Vorliebe Müllers:

„Wenn wir Eis essen waren – Gerd wollte immer Eis essen! – hat er es immer so eingerichtet, dass er bezahlt hat. Ich hab gesagt, Bomber, du weißt schon, dass ich beim FC Bayern auch Geld verdiene? Da hat er nur gelacht.“

Und enden tut das Interview noch herzergreifend pathetischer:

„Gerd war als Fußballer unvorstellbar gut, aber ich sage Ihnen jetzt mal was: Als Mensch war er noch besser! Ich würde das auch nicht glauben, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte. Der Bomber war der Allergrößte.“ 

Nochmal Nudeln

Einmal, lange her, saßen wir mit fünfsechs Leutchen mittags in einem kleinen italienischen Restaurant und gaben unsere Bestellungen auf – ausschließlich Pasta-Gerichte, was die Kellnerin zu der gutgelaunten Zusammenfassung

„Nudeln für alle!“

veranlasste.

Damals beschlossen wir: Falls wir jemals eine politische Partei gründen würden, sollte das unser Wahl-Slogan sein:

„Nudeln für alle!“

Auch heute noch würde ich mich freuen, diesen Slogan auf einem Plakat zu lesen. Mal schauen, was sich bis zum 26. September so tut an den Laternen in Berlin und Brandenburg.

Ich mag nicht nur Nudelgerichte fast aller Art, sondern auch das Wort „Nudel“ und die „nudeldicke Dirn“, die gemeinsam mit dem spannenlangen Hansel im Garten die Birn schüttelt.

Während mir „Pasta“ als Synonym im Deutschen immer etwas unpassend, weil angeberisch vorkommt:

„Wir haben gestern Pasta gegessen.“

Klingt wie aus dem Wortschatz der Besseresser mit sehr teuren Küchen.  Katz und Goldt haben es in einem Cartoon so pointiert:

„Ab wieviel Bildung muß man eigentlich Pasta sagen statt Nudeln?“

Wenn Nudeln nach Hause kommen

Die Firma Martelli produziert ihre guten Nudeln in der kleinen toskanischen Stadt Lari, um sie von dort zitronengelbverpackt und stilvollschwarzbeschriftet in die Welt zu liefern. Zum Beispiel in die Berliner „Bar Italia“. Dort kaufte ich eine Kilo-Packung Spaghettini, nahm sie im Koffer mit nach Pisa und brachte sie Schwester und Schwager als Gastgeschenk in ihr Haus in der Toskana.  Denn auch hier sind diese wirklich guten Nudeln nicht leicht zu finden. Über den Umweg Berlin kamen sie also wieder nach Hause –

und wurden umgehend verbraten und verzehrt. Gustosissimo!

Liegen lernen (7)

„Liegen lernen“ – unter dieser Überschrift habe ich mich, Ihr werdet Euch sicher erinnern, auch schon in den letzten Jahren in den Sommer verabschiedet. Was hat es damit eigentlich auf sich? Ja, es gab diesen Film „Liegen lernen“. Und der beruhte auf dem Buch „Liegen lernen“ von Frank Goosen. Und dessen Titel wiederum ging zurück auf eines von Robert Gernhardts Katzengedichten:

„Von einer Katze lernen,
heißt siegen lernen.
Wobei siegen ´locker durchkommen´ meint,
also praktisch: liegen lernen.“

Ich brauche nur diese paar Verse zu lesen und bekomme sofort Sehnsucht nach dem großen Gernhardt, der uns Schönheit, Klarheit, Heiterkeit, Helligkeit und Schnelligkeit lehrte.

Auch Kurt Scheel kannte und verehrte ihn. Deshalb freue ich mich, die beiden Katzenliebhaber und guten Geister, die uns im Sommer 2006 und 2018 verließen,  jetzt in einem Eintrag gemeinsam auftreten lassen zu dürfen. Gernhardt mit Versen über Katzen, Scheel mit Katze Lieschen auf Foto:

Katze liegt auf Mensch. Mensch sitzt und raucht. Schaut zärtlich auf die Katze. So sieht gelingendes Leben aus.

Für das liebenswürdige Hervorkramen und Zurverfügungstellen dieses – Kurt Scheel würde sagen: –  zauberhaften Fotos danke ich  Harume Hayashi, Siegfried Kohlhammer und Igor Arslan.

Am Bach

Wer mit dem Fahrrad im Hohen Fläming rund um Bad Belzig unterwegs ist, sollte sich einen Abstecher nach Schwanebeck nicht nehmen lassen. Das Dorf ist genauso idyllisch wie es heißt, hat ein besonders niedliches kleines Feuerwehrhaus, natürlich eine Feldsteinkirche und eine Kreuzung, die mein Herz erfreute:

Teichoskopie beim Spiel Deutschland – Ungarn

Wenn es wirklich gerade sehr spannend zugeht bei der Europameisterschaft und die deutsche Mannschaft gegen das Ausscheiden ankämpft, dann ist es nicht gut, wenn der internet-abhängige Fernseher sich aufhängt, das Bild einfriert und der Vater fluchend versuchen muß, die janze elende Chose wieder ans Laufen zu bringen. Gut hingegen ist es, wenn der Sohn geistesgegenwärtig reagiert, in sein Zimmer rennt, ein Fernglas holt, sich damit neben dem Fernseher ans Fenster stellt, das Spiel auf dem großen Bildschirm der Nachbarn verfolgt und dem verzweifelt an diversen Geräten rumfummelnden Vater den weiteren Verlauf inklusive Ausgleich, nochmals Rückstand und abermals Ausgleich reportiert.

Die Sache ging gut aus. Und mit ein bißchen Abstand fiel dem Vater auf, daß sich der Sohn einer Technik des antiken Schauspiels bedient hatte: der Mauerschau, der Teichoskopie. Jemand schildert aus einer erhöhten Position, was die Zuschauer nicht sehen können, was aber angeblich hinter der Mauer vor sich geht. In der Antike war das allerdings nur ein dramaturgischer Trick. Beim Sohn nicht.  Der hat dank Geistesgegenwart und Fernglas tatsächlich mehr gesehen als der Vater. Und ihn freundlicherweise dran teilhaben lassen.