Alle Beiträge von Sankt Neff

Wiglafs Wigwam (7)

„Sprachkritik, die nur recht haben will, ist uninteressant. Das gleichermaßen mäkelige wie auftrumpfende Einteilen in richtig und falsch mag die Ambitionen von professionellen Rotstiften oder Amateurdeutschlehrern befriedigen. Das ist piesepömpelig und kleinlich, ärmlich und latent peinlich. Man soll kein Rechthaber der Sprache sein, sondern ihr Liebhaber. Und also das unverbindliche und hässliche Vokabular meiden und das schöne, bildhaft sprechende, treffende suchen oder erfinden.“

(Wiglaf Droste, „Will denn  in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?“, S. 26)

Eben leben in Ebeleben

Ich weiß nicht sehr viel über Martin Luther. Außer das mit den Thesen und dem Tintenfaß und dem Teufel. Und daß im Jubiläumsjahr 2017 Margot Käßmann Luthers Stellvertretreterin auf Erden war. Achso, seinen Geburts- und Sterbeort kenne ich natürlich auch:

Geboren 1483 in Eisleben, gestorben 1546 ebenda.

Eisleben: Ich konnte mir das deshalb so gut merken, weil ich immer gedacht habe: Da hat er aber Glück gehabt, der Luther, daß er nicht in Scheißleben geboren und ebenda gestorben ist.

Den Ortsnamen Scheißleben gibt es nicht. Könnte es aber geben. Das weiß jeder, der mit offenen Augen durch Ostdeutschland reist. Denn in Ostfalen, im Thüringer Becken und auch in Brandenburg hat es keinen Mangel an Ortsnamen, die geeignet sind, den Blick auf das irdische Dasein zu verfinstern. Wanderer, kommst du nach Bösleben oder Haßleben, nach Aschersleben, Sargleben oder Grabsleben, mach, daß du schnell wieder wegkommst, wenn dir dein Leben lieb ist.

Das Leben aber ist eben nicht lieb, sondern neigt zur Düsternis und zum Zynismus: Wohl gibt es in Berlin die Ortslage Witzleben rund um den Lietzensee, einen Weiler namens Liebesleben aber sucht man im deutschsprachigen Raum vergeblich.

Nicht ganz unverlockend als Reiseziel erscheint mir allenfalls die kleine Gemeinde namens Ausleben, die in der Nähe von Oschersleben gelegen ist. Was viele nicht wissen: Am 1. Juli 1950 wurden die Orte Ottleben und Warsleben in Ausleben eingemeindet. Wer aber denkt, daß sich in Ausleben die Swinger-Clubs und SM-Studios knubbeln, hat sich getäuscht. Vielmehr gibt es in allen vier Ortsteilen evangelisch-lutherische Kirchen. Sie gehören übrigens zum Kirchspiel Hamersleben. Aber das nur nebenbei.

So ungut die Assoziationen sind, die viele der Ortsnamen mit –leben hintendran vermitteln, einige von ihnen erheitern immerhin durch Klang:

Pripsleben, Irxleben, Elxleben, Erxleben, Merxleben.

Mein Lieblings-Leben-Ortsname aber ist Ebeleben. Zum einen wegen seines e-basierten Wohlklangs. Zum anderen, weil er mich an ein lustiges Gedicht von Dorothy Parker erinnert. Es handelt von Selbstmord und geht so:

 Rasierklingen ritzen

Flüsse sind naß

Säuren spritzen

Gift macht blaß

Schlingen muß man knoten

Schüsse gehn daneben

Sprengstoff ist verboten

Bleibste eben leben

Lakonischer läßt sich ein fröhlicher Fatalismus doch nicht auf den Punkt bringen als in diesen drei Worten: Bleibste eben leben. Und sei es eben in Ebeleben.

Ansichtskarte aus Italien

Auch diesmal fand ich vieles schön im viel gelobten Land:

Zum Beispiel diese Pinien als Wegweiser zum Strand.

Noch schöner fast der Volleyballerinnenfuß im Sand.

Vielleicht am schönsten: Geckoschatten auf der Bruchsteinwand.

Moment – jetzt weiß ich, was ich wohl am allerschönsten fand:

Ja, das war die Libelle auf dem Kaffeetassenrand.

– Italien, deine Schönheit ist des Glückes Unterpfand.

Wer zum Teufel ist Sankt Neff? (5)

„Sehen wir einen Mönch, der still zum Himmel aufblickt und einen Löwen bei sich hat, so wissen wir, das ist der heilige Markus. Sehen wir einen Mönch mit Buch und Feder, der still zum Himmel aufblickt und nach einem Wort grübelt, so wissen wir, das ist der heilige Matthäus. Sehen wir einen Mönch auf einem Felsen sitzen, der still zum Himmel aufblickt, nur einen menschlichen Schädel neben sich und ohne sonstiges Gepäck, so wissen wir, das ist der heilige Hieronymus. Sehen wir einen Mönch mit einer Gurke in der Hand, so wissen wir, das ist der heilige Neff.“

(Mark Twain, „Die Arglosen im Ausland“)

Nochmal Realität

Früher mal, also weiter unten, versammelte ich hier unter der Überschrift „Viermal Realität“ einige Zitate von Künstlern zum schwierigen Verhältnis von beflügelter Phantasie zur schnöden Wirklichkeit. Beim Immerwiederhören der zum Immerwiederhören sehr gut geeigneten CD „13 Wohnzimmer“ von Eric Pfeil ist mir ein neues Fundstück untergekommen.  So wie es in den Texten dieses bemerkenswerten Songwriters von Fundstücken zu allem möglichen überhaupt nur so wimmelt. Das hier stammt aus dem Lied „Ein Lied ist wie ein nackter Mann“:

„Mir ist die ganze Sache mit der Realität

auch am Ende gar nicht mal so wichtig.

Aber wenn ich mich verliebe und wenn ich mich besaufe,

dann mach ich das auch richtig.“

Eric Pfeil ist ein Sänger, der nicht so richtig gut singen kann und dem ich – vielleicht auch deshalb –  extrem gerne zuhöre. Ich lernte ihn durch Zufall kennen. Im vergangenen Jahr spielte er mit seiner Band „Die Realität“ als Vorgruppe für „Erdmöbel“. Ich war auf Anhieb verzaubert von seinem Witz und Charme und guten Aussehen. Nach dem Konzert kaufte ich ihm persönlich eine CD ab und begann, mich in sein Werk zu vertiefen. Falls Ihr es mir gleichtun wollt: Hier kommt ein Video, das uns an mehrere Schauplätze in Köln führt, u.a. die „Bar Celentano“, die auch ich immer aufsuche, wenn ich mich mit Freund Claudio treffe:

Seither und fürderhin – Fünf Jahre „Mein All“

„´Liebe Gemeinde,

im Anfang war das Wort.

Und es lautete: Haufen.

Soviel zu Beginn und fürderhin mehr.

Euer Sankt Neff´

Mit diesem Eintrag ging es los vor ziemlich exakt fünf Jahren.

Und? Hatte ich zuviel versprochen. Ich denke: nein.

Denn es gab seither mehr :

Wörter. Bilder. Töne.

Kühe. Zementmischer. Seufzer.

Wiglaf. Brigitte. Harry.

Alles was eben Platz findet in so einem All.

Und all das soll es auch von heute aus betrachtet fürderhin geben. Schaut doch so zwischendurch und nebenbei mal wieder rein und tragt weiter bei, wenn Ihr wollt. Besonders schöne Kommentare werden, wie Ihr wißt, üppig belohnt.

 Ich danke für Eure Aufmerksamkeit.

Schöne Grüße – Immer Euer Sankt Neff“

Diese Nachricht mailte ich rum vor einer Woche. Und gleich hagelte es Reaktionen. Wie aus der Pistole schoss zum Beispiel Grit zurück:

„Haufen? Schön und gut, aber wann wieder Salon?“

Berechtigte Frage. Und die Antwort lautet: am 27. Oktober.  Zu Gast sein im K-Salon wird der mehr als  gute Schriftsteller Albrecht Selge.

Sehr schnell reagiert hat auch der stets sehr schnelle Pianist und Komponist  Andreas, der mein Schaffen besser kennt als ich selbst:

„Lieber Sankt Neff,

da möchte ich Dir natürlich herzlich gratulieren und dies zum Anlass nehmen, um danke zu sagen für so viele anregende Gedanken, Worte, Sprachraffinessen und vieles mehr. Nein, Du hattest damals nicht zu viel versprochen, und die Welt wäre ein ganzes Stück ärmer ohne diesen wunderbaren Fundus.
Ich will nicht mit leeren Händen kommen, und so habe ich kurzerhand Deinen ersten Eintrag vertont. Es ist allerdings kein Stück für unseren Chor geworden, sondern doch eher im Bereich der zeitgenössischen Musik angesiedelt. Es ist für einen Bariton mit kräftiger, klingender Höhe geschrieben. Beim Schreiben hatte ich Christian Gerhaher vor dem inneren Ohr. Er wird Dir das sicher mühelos vorsingen können…

Herzliche Grüße und auf fürderhin noch viel mehr Texte

Andreas“ 

Weiß nicht, aber möglicherweise ist das eine Welturaufführungspremiere, daß ein Blog-Post vertont wird. Alle mal herschauen: 

Auch nicht auf den Mund gefallen: Barmann Alex mit einer leicht verrätselten Gratulation. Das Verständnis wird erleichtert, wenn man weiß, daß drei seiner  Hausgötter Leroy Sané, Niels Frevert und Franz Josef Wagner sind:

„Congrats!

Bin ja eher selten dort (= hier, Anm. Sankt Neff), weil ich natürlich priorisiert auf dem Troittoir nach Ascheresten von Franz Josef Wagner Ausschau halte. Das, lieber Sankt Neff, wirst Du verstehen. Aber immerhin erfahre ich nun, das Du auch an Höhenangst leidest, und ich mithin nicht mehr die einzige Höhenangstvollflitzpiepe bin.

Würdest Du das Werk von Franz Josef Frevert schätzen, könntest Du in Deinem Blog eine Rubrik implementieren, wo man außergewöhnlich lange Worte eintragen darf, aus denen dann später Menschen wie Franz Josef Frevert oder Leroy Frevert Songs mit außergewöhnlich langen Songtiteln  fabrizieren könnten.

Könnte so sein. Ist aber nicht so.

Trotzdem.

Congrats!“

Auch Wolfgang Kaes gehört, was mir zur Ehre gereicht, zu den Lesern dieses Blogs. Früher mal war er mein Chef. Als würde das nicht reichen für die Vita, wurde er später noch  „Journalist des Jahres“, Henri-Nannen-Preisträger und Autor aufwendig recherchierter Kriminalromane.  Er revanchiert sich mit einem bemerkenswerten Fundstück und folgender kurzer Erklärung:

„Lieber Sankt Neff:

Gesehen in Remagen am Rhein. Neben dem Kik. Für Königspinguine wird nix reserviert.“

„Reserviert für Königshähnchen“ – falls ich mal einen Roman schreibe: so soll er heißen.

Seufzen

ist ein schönes Wort – klanglich wie inhaltlich. Es bezeichnet einen wohltuenden Vorgang. Doch wie ihn definieren? Der Online-Duden hilft nicht weiter, aber das „Deutsche Universal Wörterbuch“ aus dem selben Hause:

„als Ausdruck von Kummer, Sehnsucht, Resignation, Erleichterung o.ä. hörbar tief und schwer ein- u. (mit klagendem Ton) ausatmen, oft ohne sich dessen bewußt zu sein“

Als ich diese Definition las, war ich voller Bewunderung und Dankbarkeit dafür, daß es Menschen gibt, die auf so etwas Mühe verwenden.

Eine besonders gelungene Variante des vielleicht in diesem Fall eher verwunderten Seufzens über das Indieweltgeworfensein schickte mir Freund Andreas.  Große Dichtkunst, finde ich:

„Das Hiersodaseinso immer.
Tz.“

Abgebrochene Grossprojekte (3)

Vor kurzem habe ich zum zweiten Mal in meinem Leben den schiefen Turm von Pisa besucht. Das erste Mal war in den achtziger Jahren DES VERGANGENEN JAHRHUNDERTS.  Freund Michael und ich hatten uns damals vorgenommen, den Turm auf jeder Etage einmal zu umrunden. Das ging zunächst auch gut. Im vierten oder fünften Stockwerk aber überkamen Freund Michael starke Schwindelgefühle. Und zwar ausgerechnet, als wir den Turm zur Hälfte umrundet hatten. Er sah sich außerstande, die noch verbleibende Wegstrecke bis zum Eingang des Treppenhauses aufrecht zurückzulegen. Was bedeutete, daß sich der Zwei-Meter-Mann auf allen Vieren zwischen den anderen Touristen fortbewegen mußte. Die Außengänge der übrigen Etagen bin ich dann allein abgelaufen.

Inzwischen leide ich selbst unter Höhenangst. Es kostete mich also ein wenig Überwindung, den Gang in den Turm und hinauf anzutreten. ich tat es für die Familie. Oben ging es dann auch leidlich. Ich wagte sogar einen kurzen Blick über die Brüstung. Das letzte Wegstück aber, über eine steile, schmale Treppe in den Glockenturm, ersparte ich mir und überließ es den Jungen.

(Foto: Leo Wehrli, 1931, aus der Sammlung der ETH-Bibliothek)

Was ich bislang nicht wußte:  Zwölf Jahre nach der Grundsteinlegung begann der zu diesem Zeitpunkt dreistöckige Turm 1185 abzusacken. Wikipedia schreibt:

„Daraufhin ruhte der Bau rund 100 Jahre.“

Aus damaliger Sicht wurde das Großprojekt also abgebrochen. Aus heutiger: unterbrochen. Denn nach hundert Jahren ging es weiter mit den Etagen 4 bis 7. Danach gab es nochmal eine lange Zwangspause, bis im Jahr 1372 auch die Glockenstube fertig war.

Detail versus Klischee

Vor einer Woche und einem Tag ist die auch von mir verehrte Schriftstellerin Brigitte Kronauer gestorben. Sie hat bemerkenswerte Romane geschrieben, die ganz eigen sind und  nur für sich stehen: voller Liebe zum Detail, witzig, kunstvoll, prall. Nicht immer konnte ich diesen Reichtum verkraften, manche ihrer Bücher brach ich leicht erschlagen ab. Umgekehrt aber hat zum Beispiel die Lektüre des grandiosen Romans „Teufelsbrück“ über Wochen meine Wahrnehmung der Welt geprägt – untrügliches Zeichen guter Literatur.

Ich habe ein Zitat von Brigitte Kronauer gefunden, das mir sehr aus dem Herzen spricht. Es stammt aus einem Radio-Interview, das sie 2004 gegeben hat:

„Für mich sind die Details einfach die Hoffnung der Welt. Die Klischees sind für mich die Niederbügelung der Welt, die Plattschlagung der Welt. Wenn ich Literatur lese, wo ich nur auf Schablonen stoße, nur auf das, was ich schon kenne, dann kann das zwar im ersten Moment ein gewisses Wohlbehagen erzeugen, aber dann fängt es an, mich nicht nur zu langweilen, sondern mich auch trostlos zu stimmen, als wäre die Welt eigentlich nur eine ewige Wiederholung. Und das stimmt weder mit meinem Empfinden überein, noch möchte ich den Leuten so eine abgelutschte Welt in meinen Büchern darbieten.“

Zwar hat natürlich der Volksmund irgendwie recht mit der Behauptung, der Teufel stecke im Detail. Aber so wird auch – und vielleicht sogar noch mehr –  ein pantheistischer Schuh draus:

Gott steckt im Detail. 

Wie vom Donner der Erkenntnis gerührt war ich, als ich das zum ersten Mal dachte.  Um dann natürlich später wieder demütig feststellen zu müssen, daß auch dieser Gedanke schon von anderen und früher gedacht wurde.  Der Kunsthistoriker Aby Warburg zum Beispiel notierte in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts

„Der liebe Gott steckt im Detail.“

Möglicherweise aber hat sich  Warburg seinerseits diese Maxime  bei Flaubert geliehen oder Leibniz oder Spinoza.  Nicht so wichtig. Der Satz jedenfalls ist klipp und klar und wahr.