„´Handelt es sich um das Fahrrad Sankt Neffs?´ fragte er.“
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Mit der Mundharmonika für Europa
Ich bin ein großer Freund der Mundharmonika. Immer wenn ich eine höre, freue ich mich. Sie ist so ein unprätentiöses Instrument. Eine zugleich komische wie anrührende Fallhöhe entsteht, wenn ein Mann mit Schlips und Kragen in einem Parlament auf diesem unprätentiösen Instrument eine Hymne spielt. Der slowenische Abgeordnete Alojz Peterle verabschiedet sich in der letzten Sitzung des Europa-Parlaments vor der Wahl von seinen Kolleginnen und Kollegen:
Für mich ein wirklich beflügelnder Beitrag zur Popularisierung der europäischen Idee. Gut geblasen (und gezogen), Herr Peterle!
Wer zum Teufel ist Sankt Neff? (2)
„Doch weil das Los der Menschen niemals sicher
Laßt uns bedacht sein auf den schlimmsten Fall:
Sankt Neff samt Gurk´ rauscht über unsre Felder.“
Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht
Ich mag Ben Stiller. Wenn er mitspielt, ist es für mich nicht so entscheidend, ob der Film insgesamt gut ist. Hauptsache mit Ben Stiller. Ich schaue ihn einfach gerne an. Ich schaue ihm einfach gerne zu. Kürzlich empfahl mir Kollegin Janin einen Ben Stiller-Film, der mir bis dato entgangen war:
„Nach 7 Tagen – Ausgeflittert“.
Er handelt von einem Mann um die vierzig (Ben Stiller), der ein wenig bindungsscheu ist, dann aber, angetrieben von Vater, bestem Freund und Torschlußpanik, überstürzt heiratet. Schon auf der Autofahrt in die Flitterwochen, beginnt er zu ahnen, daß er die falsche Frau geheiratet hat.
Dieser Erkenntnisprozeß ist sehr komisch inszeniert. Die Frau singt bei jedem Lied, das im Autoradio läuft, inbrünstig mit. Eigentlich süß, aber auf Dauer eben nervtötend. Auch die Hochzeitsnacht, die tagsüber stattfindet, verläuft anstrengend für den Bräutigam. Denn die Braut ist extrem fordernd, frönt unaufhörlich dem dirty talk und verlangt nach ausgefallenen Stellungen. Ziemlich erschöpft schlägt Ben Stiller einen Wechsel zur Missionarsstellung vor. Die Braut schaut etwas verdutzt und sagt dann:
„Okay, wie geht die?“
Im ersten Drittel des Films gibt es also viel zu lachen. Danach verliert er etwas an Fahrt und Witz. Ist aber nicht so schlimm, denn Ben Stiller spielt ja mit. Außerdem sein Vater Jerry Stiller, der auch im Film sein Vater ist. Er mag Frauen mit großen, operierten Brüsten und nervt seinen Sohn mit Fragen wie, wieviele „Muschis“ er denn so in den letzten Monaten „klargemacht“ habe.
Der Film ließ mich trotz der erwähnten Schwäche gutgelaunt zurück. Im Netz las ich noch ein wenig nach und fand heraus, daß sein Original-Titel schlicht
„The Heartbreak Kid“
lautet. Es handelt sich um die Neufassung eines gleichnamigen Films aus dem Jahr 1972, der im deutschsprachigen Raum nicht nur unter dem ziemlich wörtlichen Titel
„Der Herzensbrecher“
kursierte, sondern auch unter dem sehr schön danebenen
„Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht“.
Alles andere als eine wörtliche Übersetzung, eigentlich nicht mal eine sinngemäße, sondern eine frei erfundene, durchaus bewundernswert kreative Nachdichtung. Dankbar aber bin ich dem, der oder denen, der, die oder die sich das ausgedacht haben, daß er, sie oder sie immerhin zurückschreckt ist oder sind vor
„Stutenwechsel in der Hochzeitsnacht.“
Doch, da muß man dankbar sein.
O
Die App, mit der ich versuche, Italienisch zu lernen, bat mich eben, den Satz
„Sie schlafen zu wenig.“
zu übersetzen.
Auf Deutsch ist das ein unauffälliger Satz, auf Italienisch einer von sonorer Schönheit:
„Loro dormono troppo poco.“
Noch nie sooooooooo viel o auf so engem Raum gesehen.
Wer zum Teufel ist Sankt Neff?
„Bei euch, mein Herr, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzu deutlich weist,
Wenn man euch Neff, den heilgen Lügner, heißt.“
Wieder in Wien
Im Museum gewesen,
Bilder geschaut:
viele von Schiele.
*
Gekrümmte Körper,
weit gespreizte Beine.
*
Neben einer bekleideten Frau,
die ich nicht kenne,
auf eine unbekleidete schauen,
die ich auch nicht kenne.
*
Die Frau meines Freundes
tät gut hierher passen
mit ihrer Physiognomie,
die gefallen ist aus der Zeit
– tiefliegende Augen, leicht asymmetrisches Gesicht –
und ihren dunklen, lockigen Haaren.
Von Klimt gemalt oder von Schiele,
üppig gekleidet,
tät gut sie herpassen.
*
Je länger ich verweil im Museum,
desto häufiger wende ich den Blick
weg von den Bildern
hin zu den Besuchern.
Nicht der Eigensinn, Mario Barth,
ist es, der Ihnen zufolge den Männern fehlt, auch nicht das Eigenheim, die Eigensucht oder der Eigenurin. Vielmehr hätten Männer, so Sie, im Unterschied zu Frauen, keinen „Eigenhumor“. Was man daran erkennen könne, dass Männer auf Witze über Männer „eher sauer“ reagierten. Stimmt das denn wirklich? Ich habe mich und einige andere Männer gefragt. Die Antwort lautete durchgängig: Nein, wir haben viel, sehr viel Eigenhumor, verfügen sogar teilweise über Eigenironie, können richtig ausgelassen lachen über Witze, die auf unsere oder Kosten anderer Männer gehen. Eher sauer reagieren wir nur dann, wenn diese Witze, wie sollen wir sagen, nicht gut sind, ungut, erwartbar, sprachlich unbeholfen, abgedroschen, dumpfbackig, die immergleichen Klischees bedienend. Sie wissen sicher, was wir meinen. Und nehmen diesen Hinweis mit dem selbst Ihnen eigenen Eigenhumor. Nichts für ungut.
PeterLicht (Drittes Konzert)
Selten so gelacht bei einem Pop-Konzert. Eher: nie.
Schon das Bühnen-Outfit war komisch: Fellbesetzte Cap, Brille auf der Nase, Kopfhörer um den Hals, ein psychodelisch gemustertes Hemd und eine schwarzweiß gepunktete Pluderhose.
PeterLicht ist eben kein normaler Mensch, sondern eine Kunstfigur. Die oft unfreiwillige Komik von Pop-Posen ist ihm sehr bewußt. Er nutzt sie trotzdem für sich und das ist dann eben freiwillig komisch. Er reckt die Arme in die Höhe und wir im Publikum müssen lachen und uns freuen.
Das Konzert beginnt mit ruhigen, innigen, lyrischen Liedern. Wenig braucht es. Diese junge, warme, helle Stimme, Gitarre, Klavier.
Dann wird es rhythmischer, künstlicher, komischer. PeterLicht schöpft die lustigen Möglichkeiten der Stimmverfremdung voll aus. Steigt hinab zu uns, singend, sprechend, einen fetten Stapel kopierter Zettel mit Text drauf großzügig verteilend. Hier bekommt das Konzert Performance-Charakter, aber unpeinlich. Und dann singen wir alle gemeinsam die „Emotionale“:
„Wacht auf, Verschlammte dieser Erde!
Dieses Land ist unser Land!
Singt übergriffige Lieder
Die ihr euch selber nicht erklären könnt!“
PeterLicht ist eine Kunstfigur, aber keine keimfreie, sondern eine aus Fleisch und Blut. Er hat Freude an Albernheit und Ausgelassenheit. Das verbindet ihn mit seinem Publikum. Die slapstickartigen Tanzbewegungen könnten an Helge Schneider geschult sein. Das muß man sich als ernsthafter Pop-Künstler erst mal trauen.
Möglicherweise traut er es sich auch in dem Bewußtsein, schon viele großartige Songs geschrieben zu haben, einige davon auch wieder auf dem neuen Album. Zum Beispiel das sehr gradlinige Lied „Menschen“, dessen Verse mich ganz inniglich berühren:
„Und hab mich abgemüht mit Menschen
Was hab ich versucht sie zu verstehen!
Und manchmal hab ich einen angefasst
Was hab ich versucht ihn zu verstehen“
PeterLicht singt das und plötzlich verstehe ich, wie unerhört schwer und anstrengend es ist, andere Menschen zu verstehen, wie unerhört merkwürdig, daß wir uns gelegentlich wechselseitig anfassen. Für mich ist das wahre Dichtkunst.
Schön, daß so viele Menschen gekommen sind, um sich im Festssal Kreuzberg erheben zu lassen durch die Kraft der Worte, der einfachen, aber nicht banalen Melodien, erlösen von der kathartischen Kraft der Komik.
Der komische, ekstatische Höhepunkt des Abends: PeterLicht bittet uns, mit ihm gemeinsam das Lied „Benimmunterricht“ zu singen: ein sperriger Text, der auf einer Zeitungsmeldung basiert, wonach die Arbeitgeberverbände Benimmunterricht an Schulen fordern. Dazu eine exzentrische E-Gitarren-Melodie. Geht nicht, das mitzusingen, denken wir. Geht aber doch. Der Künstler singt vor, wir singen nach:
„Einfache Regeln des Zusammenlebens fehlen den Schulabgä-hä-hä-hä-hä-hä-hängern.“
Die letzten Silben singen wir in Endlosschleife und PeterLicht windet sich dazu mit Gitarre auf dem Bühnenboden.
Selten so gelacht bei einem Pop-Konzert. Eher: nie.
Joe Jackson (Zweites Konzert)
Seit der Adoleszenz ist er einer meiner Hausgötter. Mehrfach schon durfte ich ihn live erleben. Jetzt aber lange nicht mehr. Ich hatte ihn ein wenig über. Die Hausgötter können da gar nicht unbedingt etwas dafür. Sie machen eben, was sie machen müssen als Künstler. Können sich, anders als Werbedoofis es suggerieren, auch nicht alle naslang neu erfinden. Und wir Empfänger verlieren im Laufe der Jahre möglicherweise etwas an Empfänglichkeit, an Begeisterungsfähigkeit. So entsteht eine leise Ermüdung, ein zarter Überdruß.
Jetzt aber hatte ich mal wieder Lust auf eine leibhaftige Begegnung und kaufte mir eine Karte für den Admiralspalast. Die lag bei uns neben dem Telefon und mein Sohn entdeckte unter der Angabe des Sitzplatzes den wirklich sehr klein geschriebenen Warnhinweis „stark sichtbehindert“.
Nach der Arbeit und vor dem Konzert hatte ich noch etwas Zeit und Hunger und Durst. Ich kehrte also in die „Ständige Vertretung“ ein, die wie immer sehr voll war. Der Platzanweiserin sagte ich, ich hätte nicht reserviert, wolle aber auch nur schnell einen Flammkuchen essen und zwei Kölsch trinken. Die rheinisch-resolute Frau antwortete:
„Das sind mir die liebsten.“
Und platzierte mich an einem kleinen Tisch, an dem schon ein Pärchen saß. Ich aß also einen Flammkuchen, trank zwei Kölsch, bezahlte, wünschte dem Pärchen noch einen schönen Abend und machte rüber in den Admiralspalast.
Im oberen Rang fand ich den Zugang zu meinem Platz und stellte erfreut fest, daß ich zwar tatsächlich nicht viel sah von der Bühne, in meiner Sichtachse aber genau das Keyboard stand, an dem gleich Joe Jackson sitzen würde.
Der große Saal unter der mächtigen Deckenlampe füllte sich allmählich. Vor mir zum Beispiel nahm jetzt ein Pärchen Platz, das ich mit leichter Zeitverzögerung als das identifizierte, neben dem ich eben einen Flammkuchen gegessen und zwei Kölsch getrunken hatte. Keiner der beiden blickte sich um und auch ich gab mich nicht zu erkennen.
Just in dem Moment, als ich dachte, ganz schön viele Männer ab 50 aufwärts hier, setzte sich eine etwa 23jährige Frau neben mich. Joe Jackson und seine Band betraten die Bühne und die junge Frau ging sofort entflammt mit. Das freute und rührte mich. Leider fiel mir keine unpeinliche Art ein, wie ich sie hätte fragen können, was sie in dieses Konzert führte. Also ließ ich es.
Joe Jackson ist immer noch gut und voll da: Blauer Anzug, weißes Hemd, großer Mann mit markantem Kopf und einem merkwürdig alterslosen Gesicht.
Der Künstler meidet jedes Popstar-Klischee, ist aber trotzdem nicht unnahbar. Er tanzt im Sitzen. Oder er sitzt da mit verschränkten Armen und singt. Lustige Pose.
Außer Joe Jackson noch am Start: ein wahrhaft fettes Schlagzeug, eine Gitarre, die fast schmerzhaft in meine Ohren schneidet, der präzise und melodiöse Bass von Graham Maby.
Joe Jackson hat Lieder aus vier Jahrzehnten ausgewählt. Sie sind gut gealtert, nämlich gar nicht. Auch die schnellen, harten Stücke von ganz früher kommen schnell, hart und unpeinlich. „Steppin´out“ spielen sie in historischer Aufführungspraxis: mit dem selben Drum-Computer, mit dem Joe Jackson das Stück Anfang der achtziger Jahre aufgenommen hat.
Zur Zugabe kommt der große Mann noch einmal auf die Bühne geschlakst, hält den Kopf schräg und sich selbst dabei die Ohren zu wegen der Lautstärke des Applauses.
Immer noch gut. Aber nie wieder wird er mich flashen wie früher. Er kann nichts dafür, ich auch nicht. Schuld daran ist nur das Leben.