Ein Vierjähriger erzählt die Weltgeschichte nach:
„Zuerst waren die Dinosaurier. Dann die Drachen und die Ungeheuer. Dann die Ritter. Dann der Krieg und die Soldaten. Und dann wir.“
Ein Vierjähriger erzählt die Weltgeschichte nach:
„Zuerst waren die Dinosaurier. Dann die Drachen und die Ungeheuer. Dann die Ritter. Dann der Krieg und die Soldaten. Und dann wir.“
Früher war nämlich doch alles besser. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, in meiner Kindheit jemals einen so ekligen Satz gehört zu haben wie neulich auf dem Spielplatz in Kreuzberg:
„Clara! Valentin! Kommt, wir müssen gehen, Oma macht Sushi.“
Heute vor zehn Jahren ist Robert Gernhardt gestorben. Einer meiner liebsten Reime des nicht nur in Reimangelegenheiten ziemlich unerreichbaren Dichters ist der gleich zu Beginn des Gedichts „Nachdem er durch Metzingen gegangen war“:
„Dich will ich loben: Häßliches,
du hast so was Verläßliches.“
An diesen Geniestreich mußte ich denken, als mir auf Umwegen folgende Fotos aus Göttingen zugespielt wurden:
Gernhardt verbrachte große Teile seiner Kindheit und Jugend in Göttingen, weshalb die Stadt ihn vor ein paar Jahren mit einem eigenen Platz ehren zu müssen meinte bzw. sich selbst damit schmücken zu dürfen glaubte. Und das tat sie, wie Christoph Dresslers Fotos belegen, mit feinem Gespür dafür, welche Ecke besonders gut zu Gernhardts Werk passen könnte.
Nicht zu seinem Gesamtwerk, sondern zu eben jenem Gedicht, das ich für meine Zwecke vorübergehend umtaufen möchte:
Nachdem er durch Göttingen gegangen war
Dich will ich loben: Häßliches,
du hast so was Verläßliches.
Das Schöne schwindet, scheidet, flieht –
fast tut es weh, wenn man es sieht.
Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit,
und Zeit meint stets: Bald ist´s soweit.
Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer.
Das Häßliche erfreut durch Dauer.
(aus Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005)
In meiner unverstellt egomanischen Reihe „Wo stehe ich eigentlich?“ blicken wir heute in das Regal von Nina Siegers. Sie hat dieses Foto freundlicherweise unverlangt eingesandt und so kommentiert:
„Also bei mir stehst Du selbstverständlich unter den Dichtern. Zwischen Dich und Gernhardt hat sich leider eine Jugendsünde von mir geschoben… Es ist was es ist.“
Mitte Mai habe ich hier (s.u.) mein Gedicht „Die Hälfte des Lebens in drei Variationen“ veröffentlicht – und im Rubbeldidupp hat der Pianist Andreas Göbel es vertont:
Für die, die mit Blick auf die Noten die anmutige kleine Melodie noch nicht hören können, hat der Komponist höchstselbst die Klavier-Fassung eingespielt:
Die Hälfte des Lebens – Klavier
Was nun noch fehlt, ist eine intonationssichere, nach Möglichkeit männliche Stimme, die den Text dazu singt. Ewiger Ruhm und immerwährende Dankbarkeit jetzt schon garantiert.
Nicht daß ich mich sonderlich auskennte im Boxsport und im Leben Muhammad Alis. Daß aber dieser schöne und starke Mann auch ein Mann des gesprochenen Wortes und der Poesie war, ist mir dank des furiosen Dokumentarfilms „When We Were Kings“ aus dem Jahr 1996 nicht verborgen geblieben.
„Float like a butterfly, sting like a bee.
Your hands can’t hit what your eyes can’t see.“
Wer den eigenen Box-Stil so rhythmisch und bildmächtig und ohrwurmträchtig in Worte zu fassen vermag, läßt manchen hauptamtlichen Dichter samt seiner blutarmen Verse schon ein bißchen alt aussehen.
Gefreut habe ich mich auch über die im FAZ-Nachruf erwähnte Angewohnheit des jungen Ali, den Verlauf des bevorstehenden Kampfes in Reimform und möglichst präzise mit Rundenangaben vorherzusagen:
„This guy must be done/I´ll stop him in one.“
„Archie Moore/will be on the floor/in round four“
In die Annalen der Literaturgeschichte eingegangen ist Ali mit einem Auftritt vor Absolventen der Harvard-Universität im Jahr 1975. Ein Zuhörer bat ihn um ein Gedicht. Ali dachte kurz nach und sagte dann:
„Me. We.“
Dieses Poem gilt als das kürzeste der Weltliteratur und läßt viel Spielraum für Interpretation. (Es gibt auch die These, das Gedicht habe „Me? Whee!“ gelautet. Erscheint mir aber weniger plausibel.)
Ali hat sich gewünscht, als anständiger Mensch und großer Boxer in Erinnerung zu bleiben. Doch auch in den Gefilden der Poesie verfügte er über einen sehr respektablen Punch.
P.S. Für die lustvolle Ali-Exegese besonders gut geeignet ist nicht nur der oben erwähnte Film, sondern auch Jan Philip Reemtsmas kluges und weitgehend unverkopftes Buch „Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali“.
P.P.S. Weiterbildung auch per Video möglich. Zum einen Billy Crystals furiose Rede inklusive liebevoller Imitation auf der Trauerfeier für Ali:
Darin erwähnt Crystal auch sein Kurzdrama „15 Rounds“ aus dem Jahr 1979, in dem er Alis Boxer-Leben in zehn Minuten komisch und anrührend auf den Punkt bringt. Dabei Muhammad Ali schönerweise ständig als Zuschauer im Bild:
P.P.P.S. Dem Buch „Rummel im Dschungel – Eine Reportage aus Kinshasa“ von Bill Cardoso entnehme ich nachträglich ein wichtiges Detail: Demnach hatte Ali in seinem langjährigen Betreuer Drew Bundini Brown eine Art Hausdichter und verbalen Sparrings-Partner. In dieser Funktion war Brown maßgeblich an der Entstehung von Kleinkunstwerken wie „Float like a butterfly“ beteiligt.
Junger Vater sitzt mit seiner Mutter und seinem kleinem Sohn im Café. Drei Generationen essen Eis. Der Höhepunkt des überbemühten, durchaus gutgemeinten, für Außenstehende aber qualvollen Familien-Getues ist erreicht, als der junge Vater sein Söhnchen fragt:
„Soll die Oma jetzt auch mal beim Papa probieren?“
Und soll die Oma dem Papa dann gleich auf der Toilette auch den Popo abwischen? Nein, der Papa soll jetzt bitte mal still sein, bitte, einfach nur sein Eis löffeln und das arme Kind mit solchen Scheiß-Fragen verschonen.
Die Hälfte des Lebens in drei Variationen
„Bedenke aber, daß das Leben in dieser Welt
nichts ist als ein Spiel und ein Zeitvertreib…“
(Koran, LVII 19)
I.
Mein Leben rauscht an mir vorbei,
ich schau ihm hinterher.
Seit Jahren denk ich Mitte Mai:
die Hälfte ungefähr.
II.
Mein Leben rauscht an mir vorbei.
Was bleibt, ist nicht sehr viel.
Als Trost vielleicht der Satz, es sei
nur Zeitvertreib und Spiel.
III.
Mein Leben rauscht an mir vorbei,
ich schau ihm hinterher.
Dann brat ich mir ein Spiegelei
– mehr geht heute nicht mehr.
Freund Andreas machte mich auf ein Phänomen aufmerksam: In Bäckereien sei bei unübersichtlichem Andrang zu beobachten, daß die Fachverkäuferinnen ein kreatives neues Tempus verwenden:
„Wer war jetzt?“
Ich freute mich über den passenden Fach-Terminus „Präsens Praeteritum“ und stellte dann fest, daß ich genau diese Zeit-Form auch schon einmal eingebaut habe: in ein Gedicht, das mittlerweile vierzehnzweidrittel Jahre alt ist:
Dreiunddreißigeindrittel
Mein erster Schrei – schnell vorbei.
Kindheit – ruck, Jugend – zuck.
Und plötzlich war jetzt.
Bald bin ich alt.
Dann bin ich dran.
(Spätestens dann.)