Alle Beiträge von Sankt Neff

Schlechter Sex

Anfang Dezember wird wieder der  „Bad Sex in Fction Award“ vergeben.  Ausgelobt hat ihn vor mehr als 20 Jahren die britische Zeitschrift ´Literary Review´ für die schlechteste Beschreibung  einer Sex-Szene.  Das sehr vernünftige Anliegen dieses Preises ist dem  früheren Chefredakteur Auberon Waugh  zufolge,

„die Aufmerksamkeit auf die kruden, geschmacklosen, oft nachlässig geschriebenen und redundanten sexuellen Passagen in ansonsten achtbaren zeitgenössischen Romanen zu lenken, um solche künftig zu verhindern“.

Gewonnen haben den „Bad Sex in Fiction Award“ seit 1993 überwiegend Männer, Tom Wolfe zum Beispiel, Norman Mailer – lustigerweise posthum – oder Jonathan Littell, aber auch einige Schriftstellerinnen. In diesem Jahr ist unter anderem der australische Autor Richard Flanagan nominiert. Für seinen Roman „The Narrow Road to the Deep North“ wurde er gerade mit dem renommierten Man Booker Preis prämiert. Die inkriminierte Passage lautet:

„He kissed the slight, rose-coloured trench that remained from her knicker elastic, running around her belly like the equator line circling the world. As they lost themselves in the circumnavigation of each other, there came from nearby shrill shrieks that ended in a deeper howl.“

Ebenfalls auf der Liste der für den „Bad Sex in Fiction Award“ Nominierten ist Haruki Murakami. Qualifiziert hat er sich mit seinem jüngsten Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“, in dem er  meinte behaupten zu müssen, das Schamhaar einer jungen Frau,  mit der der Held Sex hat, sei

„so feucht wie der Regenwald“.

Vorbildlich diskret dagegen der hier schon zwiefach gerühmte Dichter Thomas Kapielski. In seinem Roman „Je dickens, destojewski!“  umgeht er, bzw. der als Erzähler fungierende  sogenannte „Pohle“,  so konsequent wie elegant die Peinlichkeit unbeholfener Darstellung von Sexualität. Bevor es konkret und eben im Zweifelsfall peinlich wird, verpflichtet er sich selbst zu Verschwiegenheit:

„Stopp! Da wir (der Pohle usw.) zur Einsicht in die Sache genug gesagt zu haben meinen, sei der Ausleuchtung weiterer delikater Vorhaben (und vor allem Vollstreckungen) Einhalt erteilt!

Also: Licht aus und kein Wort weiter! (…)

Der Leser kann es sich ausmalen –

Wir aber schweigen fürderhin.“

Ich nun aber notiere das alles mit leichten bis mittelschweren Schuldgefühlen, denn auch mein kürzlich veröffentlichter Gedichtband „Ein Leichtes“ enthält ja einige, wenn auch vergleichsweise wenige, leicht bis mittelschwer versaute Texte.  Ob sie in Frage kommen für einen noch ins Leben zu rufenden „Bad Sex in Poetry Award“? Entscheidet einfach selbst.

Nochmal Helge

Bei seinem jüngsten und zumindest vorläufig letztem Gastspiel in Berlin kokettierte Helge Schneider immer wieder mit dem unmittelbar bevorstehenden Ruhestand.  Kurz vor Ende des in seiner Qualität durchaus schwankenden Konzertes richtete er aber dann einen Satz an das Publikum,  für den allein der ganze Abend sich schon gelohnt hätte:

„Ohne euch wäre ich genauso arm geblieben – (Pause) – wie ihr.“

Ich hatte damit gerechnet, daß der Satz nach der kleinen Zäsur enden würde mit „wie vorher“. In der tatsächlichen Form aber handelt es sich um die letztgültige Zusammenfassung des Showbusiness schlechthin, mit der eigentlich jeder wahrhaftige Unterhaltungskünstler ab sofort seine Auftritte beenden sollte:

„Ohne euch wäre ich genauso arm geblieben wie ihr.“

Talent und Genie

Auf Anraten von Schwester Sabine schaute ich mir den gleich folgenden Ausschnitt aus einer Fernsehshow zum 80. Geburtstag von Udo Jürgens an.  Jamie Cullum singt ein Lied, das Jürgens komponiert hat und das Sammy Davis jr. jahrelang zum Abschluss seiner Konzerte sang:

Cullums  Auftritt ist ein schöner Live-Moment. Wie Schuppen von den Ohren aber fiel mir der Unterschied zwischen Talent und Genie, als ich beim Weitersurfen dann dieses Dokument hier aufrief:

Stimme, Timing, Gestik – all das fegte mich geradezu vom Stuhl und ließ mich kopfschüttelnd zurück angesichts dieser anbetungswürdigen Beseeltheit und Lässigkeit  – Ihr wißt gewiß, was ich meine.

Ähnliches gilt auch für diesen Auftritt hier, der den Vorzug hat, das sich beim Betrachten Heiterkeit angesichts des spektakulären  Outfits und Ergriffenheit zu  Lachrührung mischen:

Um den Ausflug in die vergleichende Musikwissenschaft zu runden, schließlich noch eine schön rührselige  Performance Michael Jacksons zum 60. Geburtstag von Sammy Davis jr. :

Meide den Künstler!

Wer beruflich oder persönlich häufiger mit Schauspielerinnen, Schriftstellern oder Sängern zu tun hat,  der weiß, was ich meine, wenn ich sage:

„Liebst du die Kunst, dann meide den Künstler.“

Weil es doch eben sehr ernüchternd sein kann, den Menschen nahe zu kommen, die als Künstler Einzigartiges geschaffen haben, und von denen man in naiver Verehrung annahm, hinter dem großen Werk müsse sich auch ein großartiger Mensch verbergen.  Nicht selten, wenn nicht häufig oder sogar meistens: mitnichten.

Mit anderen Worten, nämlich denen Arno Schmidts:

„Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht.“

*

Wer sich jetzt fragt, von wem wohl eigentlich das einigermaßen geniale Zitat vom zu meidenden Künstler stammt – so ging es mir auch. Ein Kollege von mir benutzt es gern, wenn die Sprache auf egozentrischste Schriftsteller und zickigste Schauspielerinnen kommt. In der Annahme, daß ein einschlägiger Aphoristiker wie Oscar Wilde dahinterstecke, befragte ich das weltweite Netz. Und siehe da: nichts. Nicht zu finden, nichts zu machen.

Ich stellte den erwähnten Kollegen zur Rede, der den Urheber des Zitats aber auch nicht kannte, sondern nur wußte: „Das habe ich vom Kollegen Alexander Lück gehört.“ Also stellte ich auch Alexander Lück zur Rede:

„Von wem stammt denn nun der sehr wahre Satz ´Liebst du die Kunst, dann meide den Künstler´?“

„Der ist von mir.“

Ich schaute ungläubig und Lück ergänzte:

„Den habe ich mir zusammen mit dem Kollegen Daniel Finkernagel ausgedacht, als wir gerade versuchten, mit einer extrem kapriziösen Sängerin zusammenzuarbeiten.“

Ich blieb  baff zurück und voller Bewunderung für die aphoristischen Fähigkeiten des Duos Finkernagel/Lück – und auch der Freude darüber, daß mal etwas im Netz NICHT zu finden ist.  Eine beglückende Leerstelle.  Die  mit diesem Eintrag hier zu füllen ich mir aber nicht verkneifen kann.

Ruhestörungen in Berlin und Little Britain

Auch nach all den Jahren habe ich mich noch nicht daran gewöhnen können, daß um mich herum ständig telefoniert wird. Neulich im Café war es mir unmöglich zu lesen, weil der Typ am Nebentisch mit schmerzfreier Ausdauer unausgesetzt Geschäftliches in sein Mobiltelefon hineinramenterte.  Am liebsten hätte ich jemanden angerufen, um ihm mitzuteilen, wie sehr mich das ankotzt.

*

Christian Zaschke war vor mehr als 20 Jahren ebenso wie ich Lokal-Reporter des Bonner General-Anzeigers in Siegburg. Inzwischen hat er es zum Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung in London gebracht. Als solcher schrieb er zwei Jahre lang für die Wochenendbeilage eine Kolumne namens „Little Britain“. Die besten Texte sind jetzt in einem Buch versammelt, in dem auch ich die Ehre habe, mit einem kleinen Gast-Auftritt (S. 79f.) vertreten zu sein. Es heißt „Little Britain“ und ist im Goldmann-Verlag erschienen.  Sehr lachen mußte ich in der Badewanne über folgende Episode, die ich mit freundlicher Genehmigung des verdammt gut aussehenden Autors  jetzt und hier veröffentlichen darf:

48 Zähne

Ich blickte auf die Landschaft, die in erhabener Schönheit vorbeizog. „Im Zug“, brüllte die Amerikanerin, „ich bin im Zug.“ Sie meinte nicht mich, denn ich wusste bereits, dass sie sich im Zug befand. Ich saß ihr Gegenüber. Die Amerikanerin war in Newcastle zugestiegen, und ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl gehabt. Als Bahnfahrer entwickelt man mit der Zeit ein fast unfehlbares Gespür für Leute, die einem auf der weiteren Reise schwer auf die Nerven fallen werden. Ich weiß nicht, ob es der ins Tumbe changierende, selbstgefällige Gesichtsausdruck ist, der Blackberry oder das miese Karma. Jedenfalls sind sie zu erkennen.

Ich hatte mich in den so genannten „Ruhewagen“ gesetzt. In diesem sollen Handys nach Möglichkeit nicht benutzt werden. Ruhewagen zählen neben gebranntem Wasser und dem Buchdruck zu den großen Erfindungen der Menschheit. „Nein“, schrie die Amerikanerin in ihr Telefon, „es ist nichts Wichtiges. Ich wollte nur mal hören.“

Sie sprach mit Sarah. Desweiteren wusste ich bereits, dass sie selbst Sheryl hieß und bis London durchfuhr. Das hatte ich den vorangegangenen Anrufen bei Sharon und Rachel entnommen. Beim Gespräch mit Sarah war leider die Verbindung nicht so gut. Ich erhielt davon Kenntnis, als Sheryl in ihr Telefon grölte: „Sehr schlechte Verbindung“, und dann, nach zwei Sekunden, noch etwas lauter: „Ich sagte, dass die Verbindung sehr schlecht ist.“ Ich schenkte Sheryl mein schönstes Lächeln und zeigte auf das Symbol mit dem durchgestrichenen Handy. Sheryl lächelte zurück (wie viele Amerikaner verfügte sie über achtundvierzig sehr große, sehr weiße Zähne). Dann wählte sie Paulas Nummer. Ich wusste, dass es sich um Paulas Nummer handelte, weil Sheryl nach wenigen Sekunden anhob: „Paula! Hier ist Sheryl! Störe ich gerade?“ In einem seltenen Anfall von Schlagfertigkeit sagte ich: „Ja, das tun Sie.“ Sheryl röhrte: „Nein, es ist nichts Wichtiges, ich wollte nur mal hören. Ich bin im Zug.“ Ich wusste, was sie als Nächstes sagen würde: „Im ZUHUUG. ICH BIN IM ZUG.“

Ich schaute mich um und blickte in rund zwanzig Gesichter, in denen sich Hass, Empörung und vereinzelt auch Mitleid widerspiegelten. Mir war klar, dass niemand etwas sagen würde, denn das ist hier nicht üblich. Sheryl war dann beim neunten oder zehnten Anruf, ich hatte mich an das Gebrüll fast gewöhnt, als sie plötzlich einen spitzen Aufschrei tat: „Stephens Party?“ Fünf Sekunden vergingen, dann jaulte Sheryl: „Warum war ich da nicht eingeladen?“ Es war ein sehr englischer Moment, als fast das gesamte Abteil kurz wissend auflachte und dann umgehend den Blick wieder mit unbewegter Miene auf die vorbeiziehende Landschaft richtete.

Haenchen und Helmchen und Mörchen

Wie wenig es braucht, um mich lachen zu machen: Kürzlich nahm die Morgen-Moderatorin in meinem Radio kurz hintereinander zwei Namen in den Mund, die gesprochen natürlich noch lustiger sind, als sie sich lesen: Zunächst dirigierte:

Hartmut Haenchen.

Wenig später spielte Klavier:

Martin Helmchen.

Fehlte als Dritter im diminutiven Bunde nur noch der weiter unten schon gewürdigte:

Raoul Mörchen.

Der leider von Berlin nach Köln abgewanderte Klassik-Moderator Daniel Finkernagel hätte sich in allen drei Fällen wohlmöglich zu der Bemerkung hinreißen lassen: „Ein Name, den ich mir nicht auf den Oberarm tätowieren lassen würde.“

Die Steigerung des Superlativs

Von den Jungen lernen, heißt steigern lernen. Zwei zwölfjährige Jungs namens Franz und Nikolai erklärten mir gestern, daß nicht länger der Superlativ, sondern heute vielmehr der „Ultralativ“ das Maß aller Dinge sei:

Positiv: schnell

Komparativ: schneller

Superlativ: am schnellsten

Ultralativ: scheiße-schnell

Die Jugend von heute ist auch nicht mehr so doof, wie sie mal war.

In der Wortspielhölle

Freund Andreas schreibt mir per SMS:

„Mitarbeiterin von Fahrradhersteller berichtete, dass sie nebenher noch Spezialumbauten für kleinstwüchsige Menschen macht.  Schlug vor die Firma

Ergnomie

zu nennen.“

Wenn schon Wortspielhölle, dann aber bitte auch

Zwergonomie

in die engere Wahl nehmen. Und für die Winzigsten unter den Kleinstwüchsigen eine Kombination aus beiden:

Zwergnomie.

*

Wer sich in die Wortspielhölle begibt, der hat – siehe oben – entsprechende Qualen zu gewärtigen. Eines der wenigen mir bekannten gelungenen, nicht peinvollen Wortspiele ersann einst die Firma Swatch. Nachdem sie Mitteleuropa mit bis dato nicht dagewesenen Plastikuhren überschwemmt hatte, machte sie eine Rolle rückwärts,  erweiterte ihre Produktpalette um sage und schreibe Uhren aus Eisen und nannte diese Linie konsequenterweise

Irony.

Bienchen. Blümchen. Sex.

Aus Nordrhein-Westfalen erreicht mich dieses spektakuläre Dokument:

Bienen. Blumen. Sex.

Und erinnert mich an einen Witz, den ich in dem Roman „Alles, was ist“ von James Salter gelesen habe:

»Kennst du den von dem ungarischen Herzog?«, sagte Eddins. »Also, da gab es diesen Herzog, und eines Tages kommt seine Frau und sagt, dass ihr Sohn jetzt erwachsen würde, und ob es nicht Zeit sei, ihm von den Bienchen und den Blümchen zu erzählen. Gut, sagte der Herzog, und nimmt den Jungen mit auf einen Spaziergang. Sie gehen also zum Fluss und stehen auf der Brücke und sehen den Bauernmädchen zu, die am Fluss unten Wäsche waschen. Der Herzog sagt, deine Mutter will, dass ich dir von den Bienchen und den Blümchen erzähle. Ja, Vater, sagt der Sohn. Also, siehst du die Mädchen da unten? Ja, Vater. Und erinnerst du dich, was wir vor ein paar Tagen mit ihnen gemacht haben? Ja, Vater. Also, das ist, was die Bienchen und die Blümchen tun.«

Dreimal Marathon

Heute wurde ich gefragt, ob ich am Sonntag am Berlin-Marathon teilnehmen werde. Auf diese Frage gibt es eigentlich nur eine angemessene Antwort. Katz und Goldt haben sie vor Jahren in einem Cartoon formuliert:

„Mal gucken.“

*

Meine Nichte war vielleicht fünf Jahre alt, als ich sie in Kreuzberg mit an die Marathon-Strecke nahm. Wir waren sehr früh und rechtzeitig dort und sahen deshalb noch die komplette Spitzengruppe an uns vorbeisprinten – ausnahmslos Afrikaner.  Was meine Nichte zu dieser im Grunde sehr naheliegenden Frage veranlaßte:

„Kriegen die Neger eigentlich Vorsprung?“

*

Sehr berührend und fantasiebeflügelnd fand ich, was der aus Äthiopien stammende frühere Marathon-Läufer Haile Gebrselassie einmal dem ´Zeit-Magazin´ erzählte:

„Seit meinem ersten Schultag war ich zur Schule gelaufen. Die Schule lag zehn Kilometer von unserem Dorf entfernt in der nächsten Stadt. Also lief ich jeden Morgen um sechs Uhr los. Zehn Kilometer hin und zehn Kilometer wieder zurück.  Mein Weg führte durch eine wunderschöne Landschaft, ich lief durch einen Wald, durchquerte einen Fluss und sah viele Tiere, vor allem Vögel und Gazellen. Im Winter, wenn es morgens noch dunkel war, mussten wir uns zu mehreren Kindern zusammentun, denn im Dunkeln trafen wir häufig auf Hyänen. In der linken Hand hielt ich die Bücher. Das sieht man noch heute an meinem Laufstil. Mit der linken Hand hole ich weniger weit aus als mit der rechten.“