Heute wurde ich gefragt, ob ich am Sonntag am Berlin-Marathon teilnehmen werde. Auf diese Frage gibt es eigentlich nur eine angemessene Antwort. Katz und Goldt haben sie vor Jahren in einem Cartoon formuliert:
„Mal gucken.“
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Meine Nichte war vielleicht fünf Jahre alt, als ich sie in Kreuzberg mit an die Marathon-Strecke nahm. Wir waren sehr früh und rechtzeitig dort und sahen deshalb noch die komplette Spitzengruppe an uns vorbeisprinten – ausnahmslos Afrikaner. Was meine Nichte zu dieser im Grunde sehr naheliegenden Frage veranlaßte:
„Kriegen die Neger eigentlich Vorsprung?“
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Sehr berührend und fantasiebeflügelnd fand ich, was der aus Äthiopien stammende frühere Marathon-Läufer Haile Gebrselassie einmal dem ´Zeit-Magazin´ erzählte:
„Seit meinem ersten Schultag war ich zur Schule gelaufen. Die Schule lag zehn Kilometer von unserem Dorf entfernt in der nächsten Stadt. Also lief ich jeden Morgen um sechs Uhr los. Zehn Kilometer hin und zehn Kilometer wieder zurück. Mein Weg führte durch eine wunderschöne Landschaft, ich lief durch einen Wald, durchquerte einen Fluss und sah viele Tiere, vor allem Vögel und Gazellen. Im Winter, wenn es morgens noch dunkel war, mussten wir uns zu mehreren Kindern zusammentun, denn im Dunkeln trafen wir häufig auf Hyänen. In der linken Hand hielt ich die Bücher. Das sieht man noch heute an meinem Laufstil. Mit der linken Hand hole ich weniger weit aus als mit der rechten.“
Die Familie meiner Nichte macht mich darauf aufmerksam, daß sie sich anders zu erinnnern meint: Nicht von „Negern“, sondern von „Ausländern“ sei damals die Rede gewesen. So könnte es auch gewesen sein. Ich erzähle die Anekdote aber schon seit Jahren mit „Negern“. Falls ich mich also nicht nur politisch, sondern auch faktisch inkorrekt erinnere, bitte ich vielmals um Entschuldigung. Bei meiner kleinen Nichte.