Joe Jackson (Zweites Konzert)

Seit der Adoleszenz ist er einer meiner Hausgötter. Mehrfach schon durfte ich ihn live erleben. Jetzt aber lange nicht mehr. Ich hatte ihn ein wenig über. Die Hausgötter können da gar nicht unbedingt etwas dafür. Sie machen eben, was sie machen müssen als Künstler. Können sich, anders als Werbedoofis es suggerieren, auch nicht alle naslang neu erfinden. Und wir Empfänger verlieren im Laufe der Jahre möglicherweise etwas an Empfänglichkeit, an Begeisterungsfähigkeit. So entsteht eine leise Ermüdung, ein zarter Überdruß.

Jetzt aber hatte ich mal wieder Lust auf eine leibhaftige Begegnung und kaufte mir eine Karte für den Admiralspalast. Die lag bei uns neben dem Telefon und mein Sohn entdeckte unter der Angabe des Sitzplatzes den wirklich sehr klein geschriebenen Warnhinweis „stark sichtbehindert“.

Nach der Arbeit und vor dem Konzert hatte ich noch etwas Zeit und Hunger und Durst. Ich kehrte also in die „Ständige Vertretung“ ein, die wie immer sehr voll war. Der Platzanweiserin sagte ich, ich hätte nicht reserviert, wolle aber auch nur schnell einen Flammkuchen essen und zwei Kölsch trinken. Die rheinisch-resolute Frau antwortete:

„Das sind mir die liebsten.“

Und platzierte mich an einem kleinen Tisch, an dem schon ein Pärchen saß. Ich aß also einen Flammkuchen, trank zwei Kölsch, bezahlte, wünschte dem Pärchen noch einen schönen Abend und machte rüber in den Admiralspalast.

Im oberen Rang fand ich den Zugang zu meinem Platz und stellte erfreut fest, daß ich zwar tatsächlich nicht viel sah von der Bühne, in meiner Sichtachse aber genau das Keyboard stand, an dem gleich Joe Jackson sitzen würde.

Der große Saal unter der mächtigen Deckenlampe füllte sich allmählich. Vor mir zum Beispiel nahm jetzt ein Pärchen Platz, das ich mit leichter Zeitverzögerung als das identifizierte, neben dem ich eben einen Flammkuchen gegessen und zwei Kölsch getrunken hatte. Keiner der beiden blickte sich um und auch ich gab mich nicht zu erkennen.

Just in dem Moment, als ich dachte, ganz schön viele Männer ab 50 aufwärts hier, setzte sich eine etwa 23jährige Frau neben mich. Joe Jackson und seine Band betraten die Bühne und die junge Frau ging sofort entflammt mit. Das freute und rührte mich. Leider fiel mir keine unpeinliche Art ein, wie ich sie hätte fragen können, was sie in dieses Konzert führte. Also ließ ich es.

Joe Jackson ist immer noch gut und voll da: Blauer Anzug, weißes Hemd, großer Mann mit markantem Kopf und einem merkwürdig alterslosen Gesicht.

Der Künstler meidet jedes Popstar-Klischee, ist aber trotzdem nicht unnahbar. Er tanzt im Sitzen. Oder er sitzt da mit verschränkten Armen und singt. Lustige Pose.

Außer Joe Jackson noch am Start: ein wahrhaft fettes Schlagzeug, eine Gitarre, die fast schmerzhaft in meine Ohren schneidet, der präzise und melodiöse Bass von Graham Maby.

Joe Jackson hat Lieder aus vier Jahrzehnten ausgewählt. Sie sind gut gealtert, nämlich gar nicht. Auch die schnellen, harten Stücke von ganz früher kommen schnell, hart und unpeinlich. „Steppin´out“ spielen sie in historischer Aufführungspraxis: mit dem selben Drum-Computer, mit dem Joe Jackson das Stück Anfang der achtziger Jahre aufgenommen hat.

Zur Zugabe kommt der große Mann noch einmal auf die Bühne geschlakst, hält den Kopf schräg und sich selbst dabei die Ohren zu wegen der Lautstärke des Applauses.

Immer noch gut. Aber nie wieder wird er mich flashen wie früher. Er kann nichts dafür, ich auch nicht. Schuld daran ist nur das Leben.

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