Komische Schmerzen

Daß es die ´Titanic´ weiterhin geben wird, ist für alle Menschen mit Sinn für satirische Aufklärung, Nonsens, Cartoons und Comics ein Segen, für mich darüber hinaus aber auch, weil so erstmals ein Text von mir in der Rubrik „Humorkritik“ erscheinen konnte, nachzulesen im aktuellen Heft oder eben hier:

Komische Schmerzen

Im 19. Jahrhundert an Syphilis zu erkranken, war sicher nicht lustig. Deshalb fallen Alphonse Daudets Notizen über sein Leiden und Sterben an dieser „Lustseuche“ und „Franzosenkrankheit“, auf deutsch veröffentlicht unter dem Titel „Im Land der Schmerzen“, nicht primär ins komische Fach. Trotzdem hält der schmale Band einige Gründe zu – überwiegend mitfühlendem – Grinsen bereit, etwa wenn der für sein vielseitiges Sexualleben bekannte Autor von einem Traum erzählt, in dem ihn das Jüngste Gericht wegen des „Verbrechens der Sinnlichkeit“ zu dreitausendfünfhundert Jahren in der Hölle verurteilt. Um der schmerzhaften irdischen Strafe zu entkommen, unterzog sich Daudet mindestens eigenwilligen Behandlungsmethoden: ließ sich ein aus Meerschweinchen gewonnenes Wundermittel spritzen, bis dem Arzt die Meerschweinchen ausgingen, und baumelte in der trügerischen Hoffnung auf Linderung minutenlang an einem Kiefergurt.

Die Komik der Notizen ist auch in der gnadenlosen Präzision begründet, mit der Daudet die Aufenthalte in diversen Heilstätten und seine Leidensgenossen beschreibt. Die nur eingeschränkt möglichen Gespräche: „Man erinnert sich an keinen einzigen Namen; ständig sucht man; viele Gesprächspausen in der Unterhaltung. Bis zu zehn, um auf das Wort ´industriell´ zu kommen.“ Und die Mahlzeiten: „Es war mir verhaßt, meinen Tischnachbarn beim Essen zuzusehen; die zahnlosen Münder, das entzündete Zahnfleisch, die Spitze der Zahnstocher in den Tiefen der Backenzähne, die einen kauen auf einer Seite, die anderen rollen ihren Bissen hin und her, und dann die Wiederkäuer, die Nager, die Reißzähne!“

Die zumindest antiquarisch immer noch greifbare Ausgabe des Bremer Manholt-Verlags bietet als Bonus ein Vorwort und zahlreiche Fußnoten von Julian Barnes, die very british an keiner kuriosen Anekdote vorbeikönnen. Barnes zitiert den für seine unverblümten Diagnosen berüchtigten Arzt Jean-Martin Charcot: „Ihre Lage ist die eines Mannes, der in der Scheiße sitzt, während sich über seinem Kopf ein Säbel hin- und herbewegt. Sie können entweder ganz in die Scheiße eintauchen oder sich enthaupten lassen.“ Und er ergänzt die Erinnerungen des kranken Mannes um eine denkwürdige Episode: „Daudet war so kurzsichtig, daß er einmal in dem festen Glauben, es handele sich um Edmond de Goncourt, eine Viertelstunde mit einer über den Stuhl geworfenen Decke redete.“

Immerhin komische Nebenwirkungen also. Und selbst die unlustigen, langwierigen Qualen des Syphilitikers bekommt Daudet noch pointiert gepackt: „Man muß viele Tode sterben, ehe man stirbt.“

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