Satire als Notwehr

 „Satire ist Notwehr.“

Wenn ich mich recht erinnere, stammt dieser sehr wahre Satz ursprünglich von der Autorin Simone Borowiak, die inzwischen ein Autor ist und Simon Borowiak heißt.

Eine archaische Form der satirischen Notwehr erfüllt mich immer wieder mit Freude, so auch jetzt  im Berliner Wahlkampf: die Entstellung von Personen auf Wahlplakaten mit einfachsten Mitteln. Ein dicker schwarzer Filzstift reicht, um sich gegen die penetrante Präsenz von Politiker-Gesichtern zu wehren, wie dieses Beispiel aus Kreuzberg belegt:

Wahlplakat 2

Ein paar schwarze Zähne – schon kann und muß die Frau keiner mehr ernst nehmen. Die Aufdringlichkeit ihrer Gegenwart löst sich auf in wohlgefälliges Lachen oder zumindest Lächeln auf Seiten des Betrachters.  Eine harmlose, aber wirkungsvolle Form der Notwehr. Funktioniert garantiert bei Politikern aller Parteien.

Ein schönes Ferienerlebnis

Aber eben auch viel Schönes. In der Welt.

Mir zum Beispiel widerfuhr vor einigen Tagen Folgendes:

Ich besuchte Freund Andreas in Köln. Am späteren Abend brach ich wieder auf und nahm die U-Bahn vom Neumarkt zum Hauptbahnhof.  Das sind nur zwei Stationen, dachte ich, es reicht also, wenn du dir am Hauptbahnhof die Fahrkarte Richtung Siegburg kaufst. Die U-Bahnfahrt wäre damit quasi rückwirkend abgedeckt. Moralisch alles einwandfrei. Und um diese Zeit kontrolliert ja eh keiner.

Kurz vor Erreichen des Hauptbahnhofs stellte ich mich an den Ausgang des U-Bahn-Waggons und nahm zuerst zu meiner Rechten eine sehr sympathisch aussehende junge Frau möglicherweise asiatischer Herkunft, dann zu meiner Linken eine Kontrolleurin der Kölner Verkehrsbetriebe wahr, die sich  bedrohlich näherte und just mit Erreichen des Bahnhofs nach unseren Fahrkarten fragte.

„Ich fürchte, ich habe keine.“

So ich.

„Warte mal, ich habe einen Studentenausweis. Falls ich ihn finde“.

So die junge Frau zu meiner Rechten.

Gemeinsam verließen wir die U-Bahn: die Kontrolleurin, die junge Frau und ich. Während ich über die Höhe des zu gewärtigenden Bußgeldes und das Verpassen meines Anschluß-Zugs nachdachte, wühlte die junge Frau in ihrer Handtasche und klaubte schließlich den gesuchten Studentenausweis heraus. Sie hielt ihn der Kontrolleurin vor die Nase, deutete dann mit einer Kopfbewegung auf mich und sagte:

„Ich nehm ihn mit.“

Die Kontrolleurin akzeptierte das und ging ihrer Wege. Ich bedankte mich verdutzt, aber herzlich bei der jungen Frau.  Und murmelte ihr wie verzaubert hinterher:

„Unglaublich entzückend.“

Meine Retterin drehte sich noch einmal um, zwinkerte mir zu – und entschwand.

Alles aufs gleiche

Früher, wenn ich gemeinsam mit meiner Mutter die „Tagesschau“ o.ä. sah, pflegte sie schlechte Nachrichten seufzend mit dem Satz zu kommentieren:

„Es ist viel Leid in der Welt.“

Damals erschien mir dieser Satz banal. Heute denke ich: Besser und allgemeingültiger kann man es eigentlich nicht sagen. Angesichts der belastenden Ballung von Terror, Trump, Türkei ließe sich das Hauptwort „Leid“ bei Bedarf auch durch „Haß“ oder „Dummheit“ variieren. Läuft letztlich aber alles aufs gleiche hinaus.

Sänger gefunden

Vor einigen Wochen suchte ich hier, also weiter unten, einen Sänger, der bereit ist, Andreas Göbels Vertonung meines Gedichts „Die Hälfte des Lebens in drei Variationen“ zu singen. Er hat sich gefunden. Der Held und Tenor heißt Jaakko Sirén und hat Augen so blau wie die von Terence Hill:

Gernhardt-Gedenken in Göttingen

Heute vor zehn Jahren ist Robert Gernhardt gestorben. Einer meiner liebsten Reime des nicht nur in Reimangelegenheiten ziemlich unerreichbaren Dichters ist der gleich zu Beginn des Gedichts „Nachdem er durch Metzingen gegangen war“:

„Dich will ich loben: Häßliches,

du hast so was Verläßliches.“

An diesen Geniestreich mußte ich denken, als mir auf Umwegen folgende Fotos aus Göttingen zugespielt wurden:

Gernhardt 1

Gernhardt verbrachte große Teile seiner Kindheit und Jugend in Göttingen, weshalb die Stadt ihn vor ein paar Jahren mit einem eigenen Platz ehren zu müssen meinte bzw. sich selbst damit schmücken zu dürfen glaubte. Und das tat sie, wie Christoph Dresslers Fotos belegen, mit feinem Gespür dafür, welche Ecke besonders gut zu Gernhardts Werk passen könnte.

Gernhardt 2

Nicht zu seinem Gesamtwerk, sondern zu eben jenem Gedicht, das ich für meine Zwecke vorübergehend umtaufen möchte:

 

Nachdem er durch Göttingen gegangen war

 

Dich will ich loben: Häßliches,

du hast so was Verläßliches.

 

Das Schöne schwindet, scheidet, flieht –

fast tut es weh, wenn man es sieht.

 

Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit,

und Zeit meint stets: Bald ist´s soweit.

 

Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer.

Das Häßliche erfreut durch Dauer.

 

(aus Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte,  S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005)

Zwischen Brodsky und Fried

Regal Nina Siegers

In meiner unverstellt egomanischen Reihe „Wo stehe ich eigentlich?“ blicken wir heute in das Regal von Nina Siegers. Sie hat dieses Foto freundlicherweise unverlangt eingesandt und so  kommentiert:

„Also bei mir stehst Du selbstverständlich unter den Dichtern. Zwischen Dich und Gernhardt hat sich leider eine Jugendsünde von mir geschoben…  Es ist was es ist.“

Mein All