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KLAN (Erstes Konzert)

Im kleinen Potsdamer „Waschhaus“ zunächst die Vorband: „Jeremias“. Sehr junge Männer, fast noch Jungs, aus Hannover, die mit großer Freude funkige Stücke spielen und dazu deutsche Texte singen. Der Sänger fährt dem ausgelassen hüpfenden Bassmann zwischendurch mal kurz und liebevoll mit der Hand durch die Haare. Die Band veröffentlicht demnächst eine EP, die heißen wird

„Du mußt an den Frühling glauben“.

Schöner Titel. Und zugleich eine Ehrbezeugung für den von der Band „sehrsehr geliebten“ Jazzpianisten Bill Evans und sein Album

„You must believe in spring“.

Erstaunlich, denkt der nicht mehr junge Mann, was diese jungen Männer für einen musikalischen Horizont haben.

Dann kommen „KLAN“. Der Sänger und der Gitarrist sind zwei Brüder aus Leipzig. Plus Bassmann und Schlagzeuger. Der Sänger ist bester Laune und verspricht uns einen wundervollen Abend. Nach einer Stunde aber ist das Programm schon vorbei. Die Band, auch noch jung, hat erst eine Platte gemacht, die allerdings durchgängig gelungen ist. Und live klingen die Lieder nicht weniger gut. Das Publikum ist ausgesprochen textsicher und singt auch ohne explizite Aufforderung gar nicht mal so leichte Stellen mit:

„Man nennt es jugendliche Melancholie

aber heut und hier

ist es wieder so schlimm wie nie“

Zwei besonders schöne Momente gibt es. Der Sänger hebt an zu erzählen:

„Ich hatte neulich Geburtstag und da…“

Und da beginnt das Publikum, ihm ein Ständchen zu singen. Muß aber lachend abbrechen, als es an den Vornamen geht:

„Happy Birthday, lieber…“

Sehr sympathisch: Das Publikum kennt die Texte auswendig, nicht aber den Vornamen des Sängers. Der Bruder hilft aus:

„Er heißt Michael.“

Und Michael sagt:

„Ihr könnt auch singen: ´Happy Birthday, lieber KLAN´.“

Zur letzten Zugabe kommen die Gebrüder Michael und Stefan Heinrich runter von der Bühne. Die Konzertbesucher setzen sich auf den Boden und die beiden stehen da mit Akustikgitarre und Stimme und musizieren unverstärkt.

Wir singen wieder mit, nur leise. Schön ist das. Ein bißchen wie in der Jugendherberge. Und ich darf nochmal dabei sein.

Ein generelles Arggghh (2)

Vor einigen Jahren (19. August 2014) zitierte ich hier aus einem Interview, in dem der Schauspieler Robin Williams Auskunft gab  über Depressionen,  Angst und Alkohol:

Robin Williams: Es ist buchstäblich Furcht. Und du denkst, oh, das wird die Sache erträglich machen. Aber das tut es nicht.

Fragensteller: Angst wovor?

Robin Williams: Vor allem. Es ist einfach ein generelles Arggghh.

Daran mußte ich denken, als ich am Samstag in der ´Süddeutschen Zeitung´ einen Artikel von  Johanna Adorján über den inzwischen 86jährigen Zeichner Sempé las, darin auch diese Interview-Passage:

Johanna Adorján: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Sempé: Natürlich. Ich habe Angst vor Schmetterlingen, die mich böse ansehen. Ich habe Angst vor Ameisen, die mich beißen wollen. Ich habe Angst vor Bienen, die mich stechen wollen. Ich habe vor allem Angst.

Als ich das las, saß ich im Café. Mir gegenüber mein Töchterchen. Ich erzählte ihr von den Schmetterlingen, die böse schauen. Woraufhin sie sich in meinem Notizbuch gleich an einer Skizze versuchte:

Abspann

Merkürdiges Wort: Abspann.

Nicht weniger merkwürdig die Plurale:

Abspanne oder – laut Duden – auch:  Abspänne.

Der Abspann jedenfalls – eine Binse – ist Teil des Films.  Deshalb gehört es sich im Kino, während des Abspanns sitzen zu bleiben und die anderen, die in Ruhe ihre Tränen trocknen wollen oder Ausschau halten nach dem Namen von der einen Nebendarstellerin oder dem Titel von dem einen Musikstück, nicht durch Aufbruch und Durchsbildlaufen zu stören.

Sehr gelegentlich  sind  Abspanne oder – laut Duden – auch: Abspänne  kleine Kunstwerke für sich, bei denen man gar nicht auf die Idee kommt, aufzustehen und zu gehen. Mein Lieblings-Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Abspann des Films „St.  Vincent“ mit Bill Murray in der Hauptrolle. Oft schon sah ich ihn mir an und jedes Mal hob er zuverlässig meine Laune.

Eure auch?

Das hört nie auf.

Der alte, sterbenskranke Mann: Ist schwach, nimmt kaum noch etwas zu sich, liegt viel,  die Augen oft geschlossen.

Wenn dann aber die Cousine, die hilft ihn zu pflegen, sagt: „Ich schau mal, ob noch Markklößchen im Kühlschrank ist.“ entfährt ihm, während die Augen geschlossen bleiben, ein so genervtes wie scharfes

„Sind!“

Kühe (5)

Kleine Wanderung, allein durch Wald und Felder bei Sperenberg, außer mir kein Mensch unterwegs.  Dafür steht eine Herde Kühe um eine Tränke versammelt. Sie nehmen mich wahr, drehen sich alle mehr oder weniger gleichzeitig um, schauen in meine Richtung und setzen sich dann in Bewegung. Etwa 25 Tiere kommen langsam und ernsthaft auf mich zu. Das ist – trotz Zaun und bei aller Liebe zu Kühen  –  ein kleines bißchen furchteinflößend.

Nochmal Zwieback

Heinz Strunks Kolumne „Intimschatulle“ ist für mich einer der wesentlichen Gründe, weiterhin regelmäßig die ´Titanic´ zu kaufen und zu lesen. Seit einiger Zeit beschimpft der Autor Autos, die ihm mißfallen,  fiktive und non-fiktive. Mich erfreut die Maßlosigkeit und Obszönität seiner Tiraden. Nur einmal fühlte ich mich ein wenig gekränkt, als er nämlich auch den mir teuren und lieben Renault Kangoo mit unflätigem Haß überzog – zu Unrecht, wie jeder Mensch weiß, der je einen Renault Kangoo besaß. Auch in der aktuellen ´Titanic´-Ausgabe kennt der Heinzer keine Gnade:

„Drecksschüsseln, die sich bei voller Fahrt am besten durch dickflüssige Ficksahne ihren Weg bahnen: VW Touareg, Citroën Defekt, Ford Zwieback.“

Haiku für Heyko

Mein Freund Andreas bat mich, für seinen Freund Heyko ein Haiku zu schreiben.  Folgendes gab er mir an die Hand:

Jener Heyko sei ein sehr, sehr guter Bassist, überdies geschmackvoll, gebildet, Jazz-Liebhaber. „Außerdem haben wir beide Zahnschiefstand.“ Was er mit diesem Selfie hier belegte:
Ich probierte also ein bißchen herum und fabrizierte dann folgende Heyko-Variationen:

 

Das ist der Bass-Mann.

Er heißt Heyko, nicht Haiku.

Das hier ist für ihn.

 

Am Fluß sitzt ein Mann.

Schaut. Lauscht. Glitzern und Plätschern.

Now´s the time, Heyko.

 

Haiku sind heikel.

Sie klingen schnell nach Kunstkitsch.

Findet auch Heyko.

 

Links grinst Andreas:

Selbstsporträt mit Zahnschiefstand:

Rechts grinst der Heyko.

 

Es heißt von Heyko,

sein IQ sei sehr, sehr hoch.

Man nennt ihn High Q.

 

Heyko und Heike:

Sie machen Liebe all night.

Raus kommt ein Haiku.

 

Es gibt Gedichte,

die mit dem Titel enden:

Haiku für Heyko.

Neulich in Kreuzberg (3)

Sonntag vormittag, kalt.  Ich bringe den Müll weg. Und sehe aus den Augenwinkeln einen jüngeren Mann vor der geschlossenen Zahnarztpraxis im Hof stehen:

Er schaut in die Sonne und putzt sich die Zähne.

Auf dem Rückweg wage ich noch einen Kontrollblick: Ja, er tut es tatsächlich. Ist komplett angezogen, mit Mantel und Rucksack und allem, steht in der Wintersonne und putzt sich die Zähne.