Vor einigen Wochen empfahl Christian Zaschke in seiner ´SZ´-Kolumne „Hell´s Kitchen“ den Roman „Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz“. Geschrieben hat ihn das italienische Autoren-Duo Fruttero & Lucentini Mitte der achtziger Jahre. Christian Zaschke beschrieb das Buch als „schlau, zart, verwegen und komisch auf eine Weise, die einen in den Herzkammern lächeln läßt“.
Dieser Empfehlung konnte ich nicht widerstehen, ich kaufte mir das Buch und las los. Die Zeit zwischen den Jahren fügte es, daß ich nicht nur abends im Bett lesen konnte, sondern auch nachmittags auf dem Sofa: vor der Siesta, nach der Siesta, angefeuert von frischem Kaffee, über Stunden, bis es draußen dunkel wurde.
Lange habe ich kein Buch mehr in Händen gehalten, das mich derartig erfreut und in Bann geschlagen hat. Die Autoren erzählen raffiniert und elegant, wechseln fast unbemerkt die Perspektiven, lassen die Figuren sehr unangestrengt miteinander sprechen. An einigen Stellen ist das Buch auch so komisch, daß ich tatsächlich und wie von Christian Zaschke versprochen in und außerhalb der Herzkammern lächeln, wenn nicht grinsen mußte. Einerseits umschiffen die Autoren beweglich die meisten – auch sexuellen – Klischees, dann aber haben sie unvermittelt sympathische Freude an kleinen Vulgaritäten.
Es gibt auch weise Passagen. Die hier zum Beispiel:
„Der erste Blick, der erste Kuß, die erste Liebesnacht sind nichts im Vergleich zum ersten gemeinsamen Lachen. Das ist der entscheidende Kontakt, der eigentlich Wendepunkt.“
Und bewegende:
„Ja, denkt Mr. Silvera, dem jetzt der englische Ausdruck wieder einfällt, es bricht ihm das Herz. Aber kann man dieses lange Schweigen brechen, um zu sagen, daß alles im Leben heartbreaking ist?“
Ich mag es, in Büchern gelegentlich auf Wörter zu stoßen, die ich noch nicht kenne und deshalb nachschlagen muß. In diesem Roman zum Beispiel begegnete mir eine venezianische Verkäuferin mit „zyklamfarbenen Lippen“, ich durfte in eine „Posamenterie“ spähen und in eine Bar, deren Schäbigkeit Fruttero & Lucentini so skizzieren:
„Es gab keine Stühle, die Jacke des Barmanns wirkte schon von weitem schmutzig, und unter einer Plastikglocke waren ein paar belegte Brötchen aufgereiht, die wie bedrückte Rentner, die nicht mehr am Leben teilhaben, ihr Schicksal erwarteten.“
Wenn schon Vergleiche, dann bitte solche.
In Bann geschlagen hat mich das Buch natürlich auch wegen des Plots und der alles entscheidenden Frage nach der wahren Identität des Helden, eben jenes Mr. Silvera. So wie Christian Zaschke habe ich die Auflösung nicht kommen sehen.
Und tatsächlich bin ich mir auch nicht sicher, wie ich sie finden soll. Möglicherweise ist sie zu groß und schwer für einen so leichtfüßigen Roman. Zwischendurch war ich kurz davor, verstimmt zu sein angesichts dieser Wendung. Das hat sich dann aber schnell gegeben. Das Ende und den Abschied des Liebespaares fand ich wieder großartig.
So großartig, daß ich das Buch gleich in einer antiquarischen Ausgabe für einen Freund bestellt habe. Die ist hoffentlich ansehnlicher als die etwas lieblos gestaltete aktuelle Taschenbuch-Variante.
Demnächst werde ich mir auch die Autobiographie von Carlo Fruttero anschaffen. Zuletzt lebte er in einem kleinen Küstenort der südlichen Toskana. Zufällig war ich im vergangenen Sommer genau dort Eis essen – ohne zu ahnen, daß noch vor ein paar Jahren dieser famose Herr mit Zigarette hier herumspazierte.
Was für eine wunderbare Buchempfehlung. Ich wünsche mir mehr davon.
ja, ganz genau. so habe ich nicht nur „Liebhaber…“ gelesen, sondern auch die anderen romane von diesen beiden wunderbaren autoren.
ja, jetzt weiß ich wieder, dass ich mir die autobiographie von Fruttero schon immer holen wollte, mach ich morgen. buchläden in Berlin sind – lebensnotwendig- offen.