Vor einer Woche endete das Leben von Kurt Scheel.
Meine Verehrung für ihn reicht mehr als 20 Jahre zurück. Freund Martin machte mich auf „Kurt Scheels Lichtspiele“ aufmerksam, Texte, die er in der ´taz´ über Filme und Kino veröffentlichte: klug, unverquast, handfest, witzig, albern, mit kindlicher Freude an fast allen Spielarten des Kinos. Diese und andere Aufsätze erschienen dann als Buch: „Ich und John Wayne“ – einer der schönsten und treffendsten Titel aller Zeiten, denn hier sprach ein bescheidener Mann in aller Unbescheidenheit über sich und das Kino und tat nicht so, als könne man da irgendwas objektivieren. Es ging um Liebe.
Ich nahm Kontakt mit ihm auf und bat ihn, fürs Radio einen Text zum 100. Geburtstag von Spencer Tracy zu schreiben. Er sagte zu. Der Beitrag begann mit den Worten
„Spencer Tracy war klein.“
Dieser Satz in seiner schlichten und deshalb schönen Konkretheit war es, der mich vollends für Kurt Scheel einnahm, ja entflammte.
Ich konnte ihn als regelmäßigen Mitarbeiter gewinnen und so kam es, daß Kurt Scheel den Hörern vier Jahre lang jeden Freitag einen Spielfilm empfahl, der am Wochenende im Fernsehen zu sehen war. Das Spektrum seiner Begeisterungsfähigkeit reichte von „Rambo“ und „E.T.“ bis zu Woody Allen und den Quasselfilmen von Eric Rohmer.
In dieser Zeit lernten wir uns auch privat kennen. Kurt Scheel lud mich ein. Und das ging so: In meinem Briefkasten landete ein Umschlag, darin die Eintrittskarte für ein Spiel der Hertha. Ich fand mich also Samstag nachmittags im Olympiastadion ein und traf auf Kurt Scheel und einige seiner Freundinnen und Bekannten: Igor Arslan und Ulrike Richter, Wolfgang Herrndorf und Kathrin Passig. Wir schauten das Spiel, das meist nicht so dolle war, weil Hertha, danach orderte Scheel ein Taxi, das uns zu einem Restaurant brachte. Wir aßen und gingen anschließend zu ihm nach Hause, wo er Getränke reichte und irgendwann noch einen Film einlegte. Großzügiger ging es nicht. Ich fühlte mich geehrt.
Nach vier Jahren war es Kurt Scheel, der mir wie en passant eröffnete, er wolle seine regelmäßige Mitarbeit fürs Radio nun beenden. Über Filme zu sprechen und dafür auch noch Geld zu kriegen, das sei für ihn gewesen, als würde er fürs Vögeln bezahlt. Jetzt aber habe er das Gefühl, so ziemlich alle sehr guten Filme vorgestellt zu haben, es reiche wohl.
Wir blieben uns verbunden und begannen, uns gelegentlich gemeinsam mit seinem Freund Michael Rutschky zu Kino-Besuchen zu verabreden. Das ging so über Jahre. Im Januar noch waren wir im „International“ und schauten den Churchill-Film mit Gary Oldman, anschließend wie immer auf zweidrei Biere ins „Xantener Eck“. Ein letztes Mal zu dritt – Herr Rutschky war schon sehr krank.
Ende Juni bestritten Kurt Scheel und ich eine Lesung in der „Bar Italia“. Ich mochte seine funkensprühenden, zur sprachlichen Ausgelassenheit neigenden und trotzdem leicht melancholisch grundierten Texte über morgendliche Fahrrad-Ausflüge in den Grunewald sehr und hatte ihn eingeladen, ein paar davon vorzulesen.
Es war ein heißer Tag, Unter den Augen John Waynes auf einem großen Filmstill plauderten wir übers Schwitzen, den Lobpreis der Schöpfung in seinen Texten und Sophia Loren. Nach der Lesung tranken wir noch ein Glas. Dann verabschiedete er sich von mir: „Wir gehen mal wieder ins Kino.“
Am nächsten Tag erhielt ich eine Email. Kurt Scheel hatte unseren Auftritt ruckzuck literarisch verarbeitet und fragte, ob die Veröffentlichung so für mich in Ordnung sei. Ich las, freute mich und gab meinen Segen.
Brief an Kohlhammer
Einen Monat später endete das Leben dieses klugen, wissenden, witzigen, großzügigen, liebenswürdigen Mannes.
Es ist unbegreiflich. Er ist unerreichbar.