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Was schön ist (4)

Da radelst du am Kanal entlang, den Ipod in der Jackentasche, die Kopfhörer im Ohr und die Musik genau richtig laut: nämlich so, daß du einerseits das verheißungsvolle Intro von Björks Lied „Jóga“, andererseits aber auch noch hören kannst, wie auf der Wiese die Krähen krähen. Kultur und Natur mischen ihre Klänge in deinem Kopf völlig organisch und wie geprobt: Die Vögel verstummen exakt in dem Moment, in dem die Sängerin zu singen beginnt.

Ein Ende finden

Heute mal eine Plauderei aus dem Nähkästchen des Sohns einer Schneiderin.

Über Wochen bemühte ich mich, eine kleine Beobachtung aus dem sommerlichen Süd-Brandenburg in Form zu bringen:

Ich laufe in sonntäglicher Ruhe an einem kleinen Hof zwischen Klausdorf und Sperenberg vorbei, wo lauthalsige Radio-Musik die Gänse bedudelt: „Club Tropicana“ von Wham.

Nach einigen Tagen vergeblicher Versuche, verwarf ich das Haiku als geeignete Form und verlegte mich auf vierhebige Verse mit Paarreimen. Das flutschte dann auch  gut und recht schnell waren sechs Strophen verfertigt:

 

Club Tropicana

 

Ist Sonntag und die Welt liegt still,

so still wie ich sie haben will.

 

Ich laufe leichthin übers Feld

und freue mich der stillen Welt.

 

Erst übers Feld, dann durch den Wald

zu einem Hof. Und dort beschallt

 

ein Lautsprecher den Gänsestall:

George Michael singt, es weht der Schall

 

„Club Tropicana“ übers Land.

Die Gänse wiegen sich charmant.

 

Ich höre lang noch, wie es schwingt

– bis wieder Stille um mich klingt.

 

So weit, so gut. Allein: Die letzte Strophe hinterließ ein zwar nur latentes, aber doch konstantes Unbehagen und Mißfallen. Im Laufe der nächsten Tage entstanden deshalb zehn Varianten des Schlusses:

 

Variante 1

Das Lied begleitet mich ein Stück,

dann kehrt die Stille still zurück.

 

Variante 2

Das Lied begleitet mich ein Stück

– Fade out: Die Stille kehrt zurück.

 

Variante 3

Im Gehen langsames Fade out,

dann wird die Stille wieder laut.

 

Variante 4

Ich nehm das Lied ein Stückchen mit,

dann wieder Stille Schritt für Schritt.

 

Variante 5

Das Lied wird leiser Schritt für Schritt,

dann läuft die Stille wieder mit.

 

Variante 6

Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,

dann siegt die Stille Schritt für Schritt.

 

Variante 7

Ein Stückchen läuft das Lied noch mit,

dann schwillt die Stille Schritt für Schritt.

 

Variante 8

Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,

dann wird es stiller Schritt für Schritt.

 

Variante 9

Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,

dann still und stiller Schritt für Schritt.

 

Variante 10

Das Lied wird leiser mit der Zeit,

dann macht sich wieder Stille breit.

 

Bis ich mich letztlich entschied aus einer Schluß-Strophe zwei zu machen. Und also zufrieden war:

 

Club Tropicana

 

Ist Sonntag und die Welt liegt still,

so still wie ich sie haben will.

 

Ich laufe leichthin übers Feld

und freue mich der stillen Welt.

 

Erst übers Feld, dann durch den Wald

zu einem Hof. Und dort beschallt

 

ein Lautsprecher den Gänsestall:

George Michael singt, es weht der Schall

 

„Club Tropicana“ übers Land.

Die Gänse wiegen sich charmant.

 

Das Lied läuft noch ein Stückchen mit,

wird langsam leiser Schritt für Schritt.

 

Ein sehr allmähliches Fade out:

Kein schöner Land ganz ohne Laut.

20 Uhr 18

Meine Armbanduhr hat den Geist aufgegeben. Um Geld zu sparen und mich dem Diktat der Zeiteinteilung zu entziehen, habe ich mich gegen den Kauf einer teuren neuen entschieden. Stattdessen werde ich mir kostengünstig meine Lieblings-Uhrzeit auf das Handgelenk tätowieren lassen.

Was schön ist (3)

Da hast du an diesem halbschönen Sommertag dich nützlich gemacht und ausgenutzt, daß die Restfamilie verreist ist, hast beispielsweise mit zwei akkurat gebohrten Löchern, Dübeln und Schrauben eine Klopapierhalterung in den Fliesenfugen der Gästetoilette fixiert, hast Flächen gewischt und in Räumen geräumt, dann die Balkontür geschlossen, um ungestört von Außengeräuschen auf dem Sofa Kapielskis „Gottesbeweise“ lesen und darüber gemütlich wegdämmern zu dürfen in ein hochverdientes Spätnachmittagsnickerchen, liegst also gerade und schlägst die erste Seite auf, da vernimmst du wie aus dem Nichts ein dickes Insekt, sein brunzdummes Brummen und Gegendiescheibegewummer, und weißt natürlich sofort, daß du nicht tatenlos wirst liegen bleiben können, denn mit so einem nimmermüd lärmenden Viech in einem Raum ist nicht gut lesen noch dösen. Du rappelst dich seufzend wieder hoch, versuchst, weil du ja allenfalls einer Mücke, aber keiner Hummel etwas zuleide tun kannst, das Ding mit einer Zeitschrift zur Balkontür hinauszugeleiten – vergeblich, hernach mit einer kleinen Tupperdose einzufangen, um es draußen wieder freizulassen – auch das vergeblich. Dumm und stur, wie sie ist, die Hummel, weigert sie sich, in das ihr doch zur Freiheit gereichen sollende Transportmittel zu krabbeln. Du resignierst, schließt die Balkontür ein zweites Mal, legst dich hin und siehe: Wo du dich damit abgefunden hast, gibt die Kreatur ganz unerwartet Ruhe, hält still und bewegt sich vermutlich erst wieder, als du schon schlummernd ganz woanders bist.

Der Mensch und die Leute

Gestern in Walter Kempowskis Tagebuch „Alkor“ (S. 496) einen menschenfreundlichen Vorschlag gelesen:

„Wenn man gegen Menschen ´was hat´, sich Kinderbilder von ihnen zeigen lassen.“

Könnte helfen: Der war vielleicht gar nicht immer so. Möglicherweise ist die früher mal ganz anders gewesen. Wenn du  dir die Mühe machst, genau hinzuschaun, kannst du es noch sehen. – Oder so ähnlich.

Der sehr einzelne Mensch ist bei genauer Betrachtung  oft ein guter. Schwierig wirds, wenn er sich mit anderen zu Gruppen zusammenklumpt, zu Rollkoffer-Horden, die vor dir stehen am Fahrscheinautomaten, zur feierwütigen Fanmeilenmeute, die anderntags auch zum Lynchmob mutieren kann.

Johann Nepomuk Nestroy hat es natürlich viel besser auf den Punkt gebracht:

„Der Mensch an und für sich ist gut. Aber die Leut´ sind ein Gesindel.“

150 Jahre später dann PeterLicht:

„Gesellschaft ist toll. Wenn nur all die Leute nicht wärn.“

Und Nils Koppruch hat es wie immer am lakonischsten formuliert:

„Es gibt ne Menge Leute.“

Ich darf mich anschließen und diesen Eintrag abschließen mit einem aus einer eher menschenfeindlichen Stimmung geborenen Textlein:

 

Großstadtgedicht

 

Leute, Leute, Leute, Leute.

Überall und immer Leute.

Morgens, mittags, abends Leute.

Gestern, heute, morgen Leute.

Vor und hinter dir nur Leute.

Haare, Hände, Hintern, Häute.

Leute essen, Leute trinken.

Leute schwitzen, Leute stinken.

Leute hassen andre Leute.

Heute Leute, morgen Meute.

Leute wollen sich vermehren.

Wollen sexuell verkehren.

Machen immer neue Leute.

Neue, neue, neue Leute.

Haare, Hände, Hintern, Häute.

Vor und hinter die nur Leute.

Gestern, heute, morgen Leute.

Morgens, mittags, abends Leute.

Überall und immer Leute.

Leute, Leute, Leute, Leute.

Kirschen (wenn der Sommer kommt)

 Einer der mir liebsten Sänger und Liedschreiber ist Nils Koppruch.  Solo sowie mit den Bands Fink und Kid Kopphausen hat er einige Dutzend guter und sehr guter Stücke auf die Welt gebracht.  Zu diesem hier gibt es noch dazu ein charmantes Video –  das allerdings auch ein wenig wehtut, wenn man weiß,  das Koppruch  zwei Jahre  nach seinem Entstehen aus unerfindlichen Gründen  gestorben ist. Den Refrain vorab, weil er so schön ist:

 

Jeder Tag ruft deinen Namen

Ich wünsch Glück an allen Tagen

Nichts ist besser als ne Liebe auf der Welt

Kirschen gibts an Sommertagen

Nur so lang die Bäume tragen

Und lebend gehn wir nicht mehr aus der Welt

 

Letzte Fragen

Wieviel Witz und Weisheit auf engstem Raum eine SMS übermitteln kann, bewies once again Freund Andreas mit dieser short message hier:

„Da fängt der Tag gleich gut an: im Briefkasten  ein im mahnenden, fordernden Ton abgefaßtes Werbeschreiben für die Sterbeversicherung.  Das Leben zieht noch einmal vorbei:  Kindzeit, Schulheit. Und letzte Fragen stellen sich:

Warum eigentlich war GUT  immer besser als BEFRIEDIGEND?“

Almut und Harry

Harry Rowohlt ist gestorben.

Für ein Interview  durfte ich ihn eines schönen Vormittags in seiner Hamburger Wohnung besuchen. Es ging um „Pu der Bär“. Deshalb brachte ich ihm als Gastgeschenk ein Glas Honig mit, auf das ich Pu-gemäß „Honich“ geschrieben hatte. Der Beschenkte freute sich:

„Das ist ja der Gute aus dem Reformhaus. Ich kauf immer nur den Billigen von Aldi.“

Harry Rowohlt war dann sehr auskunftsbereit, berichtete mir, daß er schon gebadet und die Zehnägel geschnitten habe, brauchte nicht viele Fragen, um vom Hölzchen aufs Pu-Stöckchen zu kommen, und sang mir sogar supersonor ins Mikrophon.

Nach getaner Arbeit führte er mich noch durch die Wohnung und zeigte mir stolz die Original-Gemälde wunderbarer Maler an seinen Wänden. So auch eins von Almut Gernhardt, die Rowohlt offenbar sehr mochte und umgekehrt. Sie habe ihm einmal den tollsten Satz gesagt, den je eine Frau zu ihm gesagt habe:

„Harry, daß wir zwei nie was miteinander hatten, das bleibt aber schön unter uns!“

Hoch sollen sie leben!

P.S. Besonders gefreut habe ich mich immer über die zahlreichen Postscripta in den Kolumnen von Harry Rowohlt.

P.P.S.  Auf die erste Frage des F.A.Z.-Fragebogens „Was ist für Sie das größte Unglück?“ antwortete er im Mai 1992: „Daß manche Menschen sterben. Und manche nicht.“ Auch die anderen Antworten sind gut:

Harry Rowohlt in his own words

P.P.S. Im übrigen gilt selbstverständlich auch für Harry Rowohlt der Satz, mit dem Oliver Maria Schmitt seinen Nachruf auf Loriot beendete:

„Er ist nicht tot – er ist ja nur gestorben.“