Scheußliche Schuhe

Wenn ich, wie hier zuletzt, von schönen Schuhen schreibe, denke ich wie automatisch an das Lied „Scheußliche Schuhe“, einer Parade-Nummer von Max Goldt, die er früher gerne am Ende seiner Auftritte gesungen hat:

Das Stück ist Teil der musikalischen Werkschau „Draußen die herrliche Sonne“, die vor einigen Jahren erschienen ist. Dort physisch, hier virtuell ist es aufgehoben für die Ewigkeit, die ihm gebührt.

Schöne Schuhe

In den neunziger Jahren besuchten wir mit einigen Freundinnen und Freunden einen Auftritt von Helge Schneider im kleinen Kölner Atelier-Theater. Kurz vor der Pause kündigte Helge mit helgehaft verstellter Stimme an:

„Ich komme gleich hoch an die Bar, möchte aber bitte nicht angesprochen werden.“

So geht es auch mir, wenn ich durch unseren Kiez laufe und schon von fern Menschen erspähe, die mich aus durchaus ehrenwerten Motiven ansprechen wollen. Ich scheue kaum einen Umweg, um das zu vermeiden.

Kürzlich warb eine junge Frau auf dem Mehringdamm neue Mitglieder für Amnesty International. Wie immer versuchte ich, ungeschoren vorbeizukommen. Sie aber ließ mich nicht passieren, sondern rief mir von der Seite zu:

„Sie haben schöne Schuhe an!“

Ich drehte mich zu ihr um und bedankte mich im Gehen für das Kompliment, nicht ahnend, daß sie erst die erste Stufe ihrer Anwerbe-Strategie gezündet hatte. Die zweite folgte sogleich:

 „Können die auch anhalten?“

Wäre ich schlagfertig, hätte ich geantwortet;

„No, these shoes are made for walking.“ 

Bin ich aber nicht. Deshalb log ich leicht perplex:

 „Nee, leider nicht.“

In diesem Moment sprang die Fußgängerampel auf rot und zwang mich und meine schönen Schuhe zum Anhalten.

Und prompt hörte ich von hinten ihre Stimme:

„Können sie ja doch.“

Keine Frage, wer hier als Siegerin  vom Platz ging.

Ich hatte übrigens wirklich schöne Schuhe an: dunkelbraun, etwas spitzer, aus weichem Leder, von Clarks. Möglicherweise aber war das komplett egal, weil die Anwerberin das mit den schönen Schuhen eh zu allen Passanten sagt.

Rücksichtlos auf Rädern

Vor ein paar Tagen las ich ein Interview mit der New Yorker Autorin Fran Lebowitz in der ´Süddeutschen Zeitung´. Darin erzählt sie, was an ihrer Heimatstadt sie besonders stört:

„In den letzten 10 oder 15 Jahren gab es eine große Anstrengung, die Leute zum Radfahren zu bewegen. Jetzt fahren Millionen Menschen Rad. Und sie haben diese Elektrofahrräder. Früher dachte ich immer, dass ich als Fußgängerin vielleicht eines Tages von einem Taxi überfahren werde. Aber die Autos halten meistens an den roten Ampeln an. Im Unterschied zu den Fahrrädern. Deshalb denke ich am Ende des Tages immer: Ich kann nicht glauben, dass ich heute nicht überfahren wurde.“

Die Angst davor, von einem rasenden Fahrradfahrer angefahren zu werden, kenne ich. Am selben Abend dauerlief und slalomte ich durch den pickepackevollen Park am Gleisdreieck. Mir entgegen  kam so ein Prachtexemplar von Kampfradfahrer, der mit Stöpseln im Ohr die Fußgängerinnen und Fußgänger aus dem Weg klingelte. Ein Egotrip wie aus dem Bilderbuch, denn eigentlich sollten in diesem Park die Gehenden Vorrang haben.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, daß der Kampfradfahrer sich absolut im Recht fühlte: Ich bin ein highperformender Individualist auf teurem Designerrad – und das lahme, letztlich lebensunwerte Fußvolk nervt.

Diese Form der sich wichtiger und wertvoller dünkenden Rücksichtslosigkeit erinnert mich an die der Audi-Fahrer, die andere mit 200 Sachen und Lichthupe von der Überholspur schießen.

Die Rücksichtslosigkeit auf zwei Rädern aber schmerzt mich mehr, denn das Fahrrad ist eine der wundervollsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte. Es war mal ein so sympathisches Verkehrsmittel – und könnte es noch immer sein.

Zehn Jahre „Mein All“

A little bit proudly möchte ich nicht versäumen zu erwähnen, daß mein Blog, mit dem ich einst antrat, das Gute, Schöne, Wahre und Alberne in der Welt zu mehren, in diesen August-Tagen seinen zehnten Geburtstag feiert.

In bislang 561 Beiträgen habe ich Euch mein Herz und mein Hirn zu Füßen gelegt. Ihr habt das stetig, aufmerksam und kreativ begleitet, zum Beispiel in Gestalt zahlreicher Kommentare. All das soll fürderhin möglichst schön, wenn nicht noch schöner so weitergehen. Weshalb ich mich entschlossen habe, einen Preis auszuloben. Damit soll der prächtigste Kommentar prämiert werden, der bis Ende August hier von Euch veröffentlicht wird. Die Urheberin oder der Urheber dieses Kommentars wird belohnt mit dem literarischen Raben-Kalender für das Jahr 2025: 365 Tage, 365 Seiten zum Abreißen, darauf kluge und komische Zitate, Aphorismen, Cartoons und Gedichte – eines sogar von mir.
Macht mit und nur so weiter!
Euer Sankt Neff

Höflichkeit als Farce

Es ist noch nicht allzu viele Jahre her, da brachte die Kellnerin das Essen, der Gast bedankte sich und die Kellnerin antwortete „Bitte schön“,  „Gern“,  oder „Gern geschehen.“

Das hat sich in jüngerer Zeit geändert. Denn die gängige Dankes-Erwiderung unserer Servier- und Service-Kräfte lautet inzwischen:

„Sehr gerne.“

Diese allzu devote und inflationär sich verbreitende Steigerungsform hat schon Wiglaf Droste aufgeregt. Möglicherweise handelt es sich hier auch um eine Überkompensation des jahrelangen Geplärres von der „Service-Wüste Deutschland“.

Das ubiquitäre „Sehr gerne“ ist allerdings noch nicht das Ende der Fahnenstange – wie ich kürzlich in einem Bonner Hotel feststellte, als der eigentlich sehr sympathische Rezeptionist bei der Bezahlung meines Zimmers Höflichkeit komplett zur Farce, zur Karikatur ihrer selbst entstellte:

„Dann können Sie Ihre Karte jetzt sehrsehr gerne draufhalten oder reinschieben.“

Sehrsehr gerne hätte ich ein bißchen aufgejault. Aber höflich wie ich bin, hielt ich stumm die Karte drauf.

Schmuggelware

Im dänischen Supermarkt stellten wir staunend fest, daß hier Plastiktüten noch erlaubt sind. Wie fremd, fast exotisch sie uns vorkamen, obwohl sie in Deutschland erst seit zweieinhalb Jahren verboten sind. Und es fühlte sich tatsächlich auch ein wenig verboten an, unsere Lebensmittel in Plastiktüten nach Hause zu tragen. Drei oder vier Exemplare schmuggelten wir dann auf der Rückreise über die Grenze. Denn eigentlich handelt es sich ja um eine tolle Erfindung.  Wenn nur all die Nachteile nicht wären.

Noch eine Generation

Obwohl ich andererseits zugeben muß, daß es schon Spaß macht, sich solche Generationen-Namen auszudenken, zum Beispiel Menschen ungefähr eines Alters, denen Sabbaticals und Work-Life-Balance  näher sind als Stress und Burnout,  unter dem Schlagwort

Generation Regeneration 

zu subsumieren.

Generation Prokrastination

Auf unserem unserem Spaziergang zur „Kleinen Meerjungfrau“ in Kopenhagen begegneten wir zunächst einem Jugendlichen, dessen T-Shirt bedruckt war mit dem Slogan

„Je le ferai demain“

– was die frankophile Frau A. mir mit

„Ich werde es morgen tun“

übersetzte –,

kurz danach einer jungen Frau, auf deren Oberteil stand:

„Not today

and maybe not tomorrow“.

Zufall oder Zeichen?

Neigte ich zum Plakativen, würde ich jetzt lauthals eine

Generation Prokrastination

ausrufen.

Aber erstens stehen beide Motti vermutlich eher für das Kokettieren mit der Prokrastination als daß sie etwas über die Arbeitsmoral junger Menschen aussagen.

Und zweitens sind derlei Generationen-Zuschreibungen in der Regel ohnehin Quatsch.

Mein All