„Pfui! Was ist aus mir geworden! Steh ich nicht da, wie Sankt Neff im Krautgarten, den die Buben mit Pelzhauben derwerfen wollen?“
Wiglafs Wigwam (9)
„Ja, dass wir nicht ermüden vor der Zeit
und uns üben in der Kampfkunst Heiterkeit.“
(Wiglaf Droste, „Tisch und Bett“, S. 239)
Altes Gasthaus Love
An dieses Album der hier schon mehrfach gewürdigten Band „Erdmöbel“ mußte ich denken, als mir Freundin Nicole das folgende kostbare Dokument aus einem kleinen Ort in Brandenburg zukommen ließ:
„Im Bestattungshaus Möse ist die Liebe unerschöpflich.“
Und wenn wir jetzt noch bedenken, daß „Erdmöbel“ angeblich ein DDR-Synonym für Sarg ist, schließt sich der Kreis aufs Schönste, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Corona ist … (2)
…, wenn am Ostersonntagmittag der Biergarten zwar geschlossen hat, der Wirt aber trotzdem anwesend ist. Gemeinsam mit drei anderen mittelalten Männern sitzt er im Kreis, auf Stühlen, mit Abstand. Alle vier trinken aus großen Gläsern mit Bier darin. Genau in der Mitte des Stuhlkreises aber steht auf dem Boden eine Bluetooth-Box, aus der der Papst zu Ostern spricht, italienisch mit deutscher Übersetzung. Vier Männer trinken Bier im Freien und hören auf den Papst. Und das alles am Rande der Hasenheide zu Berlin, einen Steinwurf entfernt von der päpstlichen Nuntiatur.
Wenn die Dealer Mundschutz tragen…
… ist Corona.
Bzw. umgekehrt:
Corona ist, wenn die Dealer Mundschutz tragen.
(So gesehen heute, Karfreitag, mittags in der Hasenheide.)
Dich, Kanzi-Apfel,
kannte ich bislang nicht. Das hat sich neulich geändert, denn bei der jüngsten Berlinale – das war noch vor Corona, also kwasi v. C. – tratst Du erstmals als Sponsor in Erscheinung und fielst mir auf mit dem Slogan:
„Wir stillen Deine Lust auf Leben“.
Was ist das für ein Apfel, der ein Filmfestival zu finanzieren hilft, fragte ich mich. Und lernte auf Deiner Seite: daß Kanzi „nicht einfach irgendein Apfel“ ist, sondern ein „erfrischend frecher“ „Premium-“ und „Qualitätsapfel“ „mit Charakter“, „Klasse“ und „saftigem Biss“, dessen „luxuriöse Erscheinung“ „die Aufmerksamkeit sofort auf sich“ zieht und damit „ein Schritt“ ist auf unser aller Reise, das „Leben voll auszukosten“.
Ich las also dieses unappetitiche Luxus- und Lebensfreude-Simulations-Gequatsche bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich feststellte, daß Du, Kanzi, Dein Werbeversprechen schon eingelöst hast. Meine Lust auf Leben war gründlich gestillt, geradezu im Keim erstickt. Merke: A Kanzi a day keeps the Lebenslust away.
Fast wie früher
Weißt du noch, wie wir uns küßten?
Damals, draußen, öffentlich.
Damals, weißt du, vor Corona
küßte ich dich und du mich.
Weißt du noch: wir so im Kino?
Viele Menschen, selber Raum.
Manche, die ihr Popcorn mampften,
nervten manchmal, aber kaum.
Weißt du noch: die volle U-Bahn?
Husten, Niesen, böser Blick.
Auch die Stadt war voller Leute,
jung und alt und arm und schick.
Weißt du noch, wie wir uns trafen?
Tranken bis zum Morgenrot.
In der Kneipe, vor Corona
und vor dem Kontaktverbot.
Weißt du noch: die Dunkelziffer?
War wie immer unbekannt.
Täglich neue Zahlen, Kurven.
Draußen lag ein leeres Land.
Weißt du noch, wie wir da standen?
Nur wir zwei auf dem Balkon.
Ja, dort standen wir und sangen,
sangen tapfer Ton um Ton.
Weißt du noch, wie dann allmählich
alles wieder möglich war?
Alles: Kneipe, Kino, Küsse.
Fast wie früher. Wunderbar.
Heul doch!
Ich mag das Wort „heulen“. Es hat so was unmittelbar Hemmungsloses, während der Vorgang des Weinens ja eher ein leiser, manchmal auch gehemmter, verdruckster ist. Möglicherweise heißt also das Gegenteil von „lachen“ eher „heulen“ als „weinen“.
Jedenfalls freute ich mich, als ich auch in dem eins weiter unten erwähnten Interview mit Reinhard Mey das Wort „heulen“ las. Das Zitat über die Sehnsucht des Sängers nach dem ewigen Leben schickte ich an Chef Christian. Der schrieb prompt zurück:
„Jetzt muß ich auch heulen. Und das am frühen Vormittag.“
Dazu aber konnte ich ihn nur beglückwünschen, denn, das wurde mir schlagartig klar:
„Heulen ist die beste Medizin.“
Für mich soll es das geben
In der aktuellen ´Zeit´ gibt es ein Interview mit Reinhard Mey, dessen Ende mich sehr berührt hat:
ZEIT: Glauben Sie an das ewige Leben?
Reinhard Mey: Ich wünsch es mir. Ich sage es Ihnen – und es kann sein, dass ich gleich anfange zu heulen: Ich würde so gerne unseren Sohn Max wiedersehen, der mit 32 Jahren starb, nach fünf Jahren Wachkoma. Und das geht nur mit dem ewigen Leben. Ich kann es mir jetzt schwer vorstellen, aber ich möchte da hinauf zu ihm. Und auch wenn es das vielleicht nicht gibt, diese Vorstellung hilft mir, damit fertig zu werden. Für mich soll es das geben.
*
Vielleicht ist das der Kern vieler großen Fragen und mancher letzten Dinge: Sie lassen sich nicht objektiv und allgemeingültig beantworten. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wem es hilft, daran zu glauben, der sollte das tun. Sollte daran glauben. Darf darauf hoffen. Für den soll es das geben.
Der Schriftsteller Julian Barnes hat vor einigen Jahren ein Buch über den Tod geschrieben. Es heißt „Nichts, was man fürchten müsste“ und beginnt mit dem großartigen Satz:
„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.“
Der Mensch ist eben nicht nur ein rationales, sondern auch ein mitunter hilfloses, trostbedürftiges und sinnsuchendes Wesen. Und deswegen glaube auch ich Johnny Cash immer aufs Wort, wenn er singt:
„We´ll meet again.“
Test
Auf der Suche nach einem Antidepressivum stieß ich gestern Abend auf dieses Video hier. Versucht mal, es anzuschauen und dabei 1. nicht zu grinsen und 2. nicht ein bißchen zu weinen angesichts von so viel Seele und Begabung:
Ich habe den Test auch beim zweiten und dritten Anschauen nicht bestanden.