Alle Beiträge von Sankt Neff

Je suis Steffen.

Abendland

 

Appell zur Rettung des Abendlands

 

Kommt, retten wir mal das Abendland.

Wir sammeln ab jetzt unser Flaschenpfand.

Je mehr wir trinken, desto mehr Geld

kommt zusammen zur Rettung der westlichen Welt.

 

Zur Rettung von westlichen Werten wie

Diesseitsfreude und Blasphemie,

Herzensbildung und Faulenzerei,

der ewigen Wahrheit: Die Gedanken sind frei.

 

Wir gründen einen Förderverein,

der zahlt auf das Konto von Menschen ein,

die schwermütig sind und inkonsequent,

albern und höflich, verzagt und dezent,

 

übersensibel, hochkonzentriert,

ineffizient, gewinnminimiert,

liebenswürdig, schönheitsfixiert

leicht daneben, schwer kultiviert.

 

Kommt, bleibt noch ein bißchen, ich hol uns noch Bier,

dann trinken und singen und tanzen wir.

Alles andre ist völlig uninteressant,

denn wir retten mal eben das Abendland.

Last Minute-Vorsicht

Kurz vor Weihnachten schenke ich den Lesern, aber auch den Leserinnen dieses Blogs einen wohlmeinenden Rat, der sich aus leidvoll errungener Lebenserfahrung speist:

Vorsicht bei Geschenken auf den letzten Drücker!

Denn: Vor vielen Jahren, ich war noch ein sehr junger Mann, enthielt das Dezember-Heft der ´Titanic´ einen Last-Minute-Geschenk-Tipp zum Ausschneiden:

„Gutschein über einen Geschlechtsverkehr“.

Es handelte sich um ein Fomular, in das der Schenker nur noch den Namen der Beschenkten eintragen mußte. Ich schnitt den Gutschein also aus,  erstellte ein gutes Dutzend Kopien, die ich dann eines alkoholisierten Abends an alle erdenklichen mir bekannten Frauen verschickte. – Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen verzieh mir diesen pubertären Joke gnädig stillschweigend.

Einige Jahre später aber saß ich mit einer Freundin in einem thailändischen Restaurant in Berlin. Wir hatten uns länger nicht gesehen, es gab viel zu erzählen. Irgendwann im Laufe des Abends  hielt sie inne, schaute mir schnurstracks in die Augen  und sagte so freundlich wie bestimmt:

„Du bist mir noch ein Nümmerchen schuldig.“

Es mag Situationen geben, in denen einen eine solche Ansage erfreut. Mich traf sie auf dem völlig falschen, nämlich zunächst verdatterten, dann doch leicht beschämten Fuß. Ende der überstrapazierten Metapher.

Inzwischen denke ich wieder ganz gerne an diese peinvolle Begegnung  mit der eigenen Präpotenz zurück. Ich will auch niemand kategorisch von vergleichbar leichtsinnigen Unternehmungen abhalten. Man sollte nur wissen, was man tut. Bzw. eben nicht, denn Leichtsinn ist ein hohes Gut.

Kurzum: Ich wollte es nur mal erzählt haben. Frohe Weihnachten!

Augen auf und durch!

Für das Leben auf der Erdoberfläche empfiehlt sich als segensreicher Imperativ nicht nur „Dabeisein ist alles!“, sondern auch „Augen auf und durch!“

Wer nämlich immerzu mit verrammelten Sinnen durch den Alltag hektickt, dem entgehen möglicherweise Schönheiten wie diese hier, die  Frau Astrid auf einem Müllcontainer entdeckte:

Container-Löwe

Während es sich oben vielleicht um einen Löwen handelt, spielt das Container-Ornament unten eher ins floral Reliefhafte:

Container-Blume 1

„All this useless beauty!“, möchte man da mit  Elvis Costello ausrufen.

Schlechter Sex

Anfang Dezember wird wieder der  „Bad Sex in Fction Award“ vergeben.  Ausgelobt hat ihn vor mehr als 20 Jahren die britische Zeitschrift ´Literary Review´ für die schlechteste Beschreibung  einer Sex-Szene.  Das sehr vernünftige Anliegen dieses Preises ist dem  früheren Chefredakteur Auberon Waugh  zufolge,

„die Aufmerksamkeit auf die kruden, geschmacklosen, oft nachlässig geschriebenen und redundanten sexuellen Passagen in ansonsten achtbaren zeitgenössischen Romanen zu lenken, um solche künftig zu verhindern“.

Gewonnen haben den „Bad Sex in Fiction Award“ seit 1993 überwiegend Männer, Tom Wolfe zum Beispiel, Norman Mailer – lustigerweise posthum – oder Jonathan Littell, aber auch einige Schriftstellerinnen. In diesem Jahr ist unter anderem der australische Autor Richard Flanagan nominiert. Für seinen Roman „The Narrow Road to the Deep North“ wurde er gerade mit dem renommierten Man Booker Preis prämiert. Die inkriminierte Passage lautet:

„He kissed the slight, rose-coloured trench that remained from her knicker elastic, running around her belly like the equator line circling the world. As they lost themselves in the circumnavigation of each other, there came from nearby shrill shrieks that ended in a deeper howl.“

Ebenfalls auf der Liste der für den „Bad Sex in Fiction Award“ Nominierten ist Haruki Murakami. Qualifiziert hat er sich mit seinem jüngsten Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“, in dem er  meinte behaupten zu müssen, das Schamhaar einer jungen Frau,  mit der der Held Sex hat, sei

„so feucht wie der Regenwald“.

Vorbildlich diskret dagegen der hier schon zwiefach gerühmte Dichter Thomas Kapielski. In seinem Roman „Je dickens, destojewski!“  umgeht er, bzw. der als Erzähler fungierende  sogenannte „Pohle“,  so konsequent wie elegant die Peinlichkeit unbeholfener Darstellung von Sexualität. Bevor es konkret und eben im Zweifelsfall peinlich wird, verpflichtet er sich selbst zu Verschwiegenheit:

„Stopp! Da wir (der Pohle usw.) zur Einsicht in die Sache genug gesagt zu haben meinen, sei der Ausleuchtung weiterer delikater Vorhaben (und vor allem Vollstreckungen) Einhalt erteilt!

Also: Licht aus und kein Wort weiter! (…)

Der Leser kann es sich ausmalen –

Wir aber schweigen fürderhin.“

Ich nun aber notiere das alles mit leichten bis mittelschweren Schuldgefühlen, denn auch mein kürzlich veröffentlichter Gedichtband „Ein Leichtes“ enthält ja einige, wenn auch vergleichsweise wenige, leicht bis mittelschwer versaute Texte.  Ob sie in Frage kommen für einen noch ins Leben zu rufenden „Bad Sex in Poetry Award“? Entscheidet einfach selbst.

Nochmal Helge

Bei seinem jüngsten und zumindest vorläufig letztem Gastspiel in Berlin kokettierte Helge Schneider immer wieder mit dem unmittelbar bevorstehenden Ruhestand.  Kurz vor Ende des in seiner Qualität durchaus schwankenden Konzertes richtete er aber dann einen Satz an das Publikum,  für den allein der ganze Abend sich schon gelohnt hätte:

„Ohne euch wäre ich genauso arm geblieben – (Pause) – wie ihr.“

Ich hatte damit gerechnet, daß der Satz nach der kleinen Zäsur enden würde mit „wie vorher“. In der tatsächlichen Form aber handelt es sich um die letztgültige Zusammenfassung des Showbusiness schlechthin, mit der eigentlich jeder wahrhaftige Unterhaltungskünstler ab sofort seine Auftritte beenden sollte:

„Ohne euch wäre ich genauso arm geblieben wie ihr.“

Talent und Genie

Auf Anraten von Schwester Sabine schaute ich mir den gleich folgenden Ausschnitt aus einer Fernsehshow zum 80. Geburtstag von Udo Jürgens an.  Jamie Cullum singt ein Lied, das Jürgens komponiert hat und das Sammy Davis jr. jahrelang zum Abschluss seiner Konzerte sang:

Cullums  Auftritt ist ein schöner Live-Moment. Wie Schuppen von den Ohren aber fiel mir der Unterschied zwischen Talent und Genie, als ich beim Weitersurfen dann dieses Dokument hier aufrief:

Stimme, Timing, Gestik – all das fegte mich geradezu vom Stuhl und ließ mich kopfschüttelnd zurück angesichts dieser anbetungswürdigen Beseeltheit und Lässigkeit  – Ihr wißt gewiß, was ich meine.

Ähnliches gilt auch für diesen Auftritt hier, der den Vorzug hat, das sich beim Betrachten Heiterkeit angesichts des spektakulären  Outfits und Ergriffenheit zu  Lachrührung mischen:

Um den Ausflug in die vergleichende Musikwissenschaft zu runden, schließlich noch eine schön rührselige  Performance Michael Jacksons zum 60. Geburtstag von Sammy Davis jr. :

Meide den Künstler!

Wer beruflich oder persönlich häufiger mit Schauspielerinnen, Schriftstellern oder Sängern zu tun hat,  der weiß, was ich meine, wenn ich sage:

„Liebst du die Kunst, dann meide den Künstler.“

Weil es doch eben sehr ernüchternd sein kann, den Menschen nahe zu kommen, die als Künstler Einzigartiges geschaffen haben, und von denen man in naiver Verehrung annahm, hinter dem großen Werk müsse sich auch ein großartiger Mensch verbergen.  Nicht selten, wenn nicht häufig oder sogar meistens: mitnichten.

Mit anderen Worten, nämlich denen Arno Schmidts:

„Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht.“

*

Wer sich jetzt fragt, von wem wohl eigentlich das einigermaßen geniale Zitat vom zu meidenden Künstler stammt – so ging es mir auch. Ein Kollege von mir benutzt es gern, wenn die Sprache auf egozentrischste Schriftsteller und zickigste Schauspielerinnen kommt. In der Annahme, daß ein einschlägiger Aphoristiker wie Oscar Wilde dahinterstecke, befragte ich das weltweite Netz. Und siehe da: nichts. Nicht zu finden, nichts zu machen.

Ich stellte den erwähnten Kollegen zur Rede, der den Urheber des Zitats aber auch nicht kannte, sondern nur wußte: „Das habe ich vom Kollegen Alexander Lück gehört.“ Also stellte ich auch Alexander Lück zur Rede:

„Von wem stammt denn nun der sehr wahre Satz ´Liebst du die Kunst, dann meide den Künstler´?“

„Der ist von mir.“

Ich schaute ungläubig und Lück ergänzte:

„Den habe ich mir zusammen mit dem Kollegen Daniel Finkernagel ausgedacht, als wir gerade versuchten, mit einer extrem kapriziösen Sängerin zusammenzuarbeiten.“

Ich blieb  baff zurück und voller Bewunderung für die aphoristischen Fähigkeiten des Duos Finkernagel/Lück – und auch der Freude darüber, daß mal etwas im Netz NICHT zu finden ist.  Eine beglückende Leerstelle.  Die  mit diesem Eintrag hier zu füllen ich mir aber nicht verkneifen kann.