Alle Beiträge von Sankt Neff

Zehn Jahre „Mein All“

A little bit proudly möchte ich nicht versäumen zu erwähnen, daß mein Blog, mit dem ich einst antrat, das Gute, Schöne, Wahre und Alberne in der Welt zu mehren, in diesen August-Tagen seinen zehnten Geburtstag feiert.

In bislang 561 Beiträgen habe ich Euch mein Herz und mein Hirn zu Füßen gelegt. Ihr habt das stetig, aufmerksam und kreativ begleitet, zum Beispiel in Gestalt zahlreicher Kommentare. All das soll fürderhin möglichst schön, wenn nicht noch schöner so weitergehen. Weshalb ich mich entschlossen habe, einen Preis auszuloben. Damit soll der prächtigste Kommentar prämiert werden, der bis Ende August hier von Euch veröffentlicht wird. Die Urheberin oder der Urheber dieses Kommentars wird belohnt mit dem literarischen Raben-Kalender für das Jahr 2025: 365 Tage, 365 Seiten zum Abreißen, darauf kluge und komische Zitate, Aphorismen, Cartoons und Gedichte – eines sogar von mir.
Macht mit und nur so weiter!
Euer Sankt Neff

Höflichkeit als Farce

Es ist noch nicht allzu viele Jahre her, da brachte die Kellnerin das Essen, der Gast bedankte sich und die Kellnerin antwortete „Bitte schön“,  „Gern“,  oder „Gern geschehen.“

Das hat sich in jüngerer Zeit geändert. Denn die gängige Dankes-Erwiderung unserer Servier- und Service-Kräfte lautet inzwischen:

„Sehr gerne.“

Diese allzu devote und inflationär sich verbreitende Steigerungsform hat schon Wiglaf Droste aufgeregt. Möglicherweise handelt es sich hier auch um eine Überkompensation des jahrelangen Geplärres von der „Service-Wüste Deutschland“.

Das ubiquitäre „Sehr gerne“ ist allerdings noch nicht das Ende der Fahnenstange – wie ich kürzlich in einem Bonner Hotel feststellte, als der eigentlich sehr sympathische Rezeptionist bei der Bezahlung meines Zimmers Höflichkeit komplett zur Farce, zur Karikatur ihrer selbst entstellte:

„Dann können Sie Ihre Karte jetzt sehrsehr gerne draufhalten oder reinschieben.“

Sehrsehr gerne hätte ich ein bißchen aufgejault. Aber höflich wie ich bin, hielt ich stumm die Karte drauf.

Schmuggelware

Im dänischen Supermarkt stellten wir staunend fest, daß hier Plastiktüten noch erlaubt sind. Wie fremd, fast exotisch sie uns vorkamen, obwohl sie in Deutschland erst seit zweieinhalb Jahren verboten sind. Und es fühlte sich tatsächlich auch ein wenig verboten an, unsere Lebensmittel in Plastiktüten nach Hause zu tragen. Drei oder vier Exemplare schmuggelten wir dann auf der Rückreise über die Grenze. Denn eigentlich handelt es sich ja um eine tolle Erfindung.  Wenn nur all die Nachteile nicht wären.

Noch eine Generation

Obwohl ich andererseits zugeben muß, daß es schon Spaß macht, sich solche Generationen-Namen auszudenken, zum Beispiel Menschen ungefähr eines Alters, denen Sabbaticals und Work-Life-Balance  näher sind als Stress und Burnout,  unter dem Schlagwort

Generation Regeneration 

zu subsumieren.

Generation Prokrastination

Auf unserem unserem Spaziergang zur „Kleinen Meerjungfrau“ in Kopenhagen begegneten wir zunächst einem Jugendlichen, dessen T-Shirt bedruckt war mit dem Slogan

„Je le ferai demain“

– was die frankophile Frau A. mir mit

„Ich werde es morgen tun“

übersetzte –,

kurz danach einer jungen Frau, auf deren Oberteil stand:

„Not today

and maybe not tomorrow“.

Zufall oder Zeichen?

Neigte ich zum Plakativen, würde ich jetzt lauthals eine

Generation Prokrastination

ausrufen.

Aber erstens stehen beide Motti vermutlich eher für das Kokettieren mit der Prokrastination als daß sie etwas über die Arbeitsmoral junger Menschen aussagen.

Und zweitens sind derlei Generationen-Zuschreibungen in der Regel ohnehin Quatsch.

Drei Schmettterlinge

Als meine Nichte Lena noch klein war, spielten wir Tiere-Raten: Sie dachte sich ein Tier aus, ich mußte es durch Nachfragen herauskriegen. Was mir nicht immer gelang. Dann bat ich sie um Hilfestellung. Mein-Lieblingsmoment war, als sie mir mit folgendem Tipp auf die Sprünge zu helfen versuchte:

„Fängt mit Schme an.“

*

Schmetterlinge sind natürlich die Parade-Metaphern für intensive, aber flüchtige Momente. Vor ein paar Jahren gab es in einem Garten südlich von Berlin, in der Nähe des Mellensees, einen solchen. Ich habe ihn in einem Gedicht festgehalten. Und bin auch mit zeitlichem Abstand immer noch ein bißchen stolz darauf, hier die schmetternde Dynamik des Tischtennis mit der luftigen Filigranität des Falters  zusammengebracht zu haben:

 

Sommertag mit Tischtennis

 

In der Luft ein weißer Ball,

wechselt auf die Schnelle

Richtung, Ping Pong, Schlag und Schall,

Kelle, Platte, Kelle.

 

Vorhand, Rückhand nehmen Maß,

schnibbeln, blocken, schmettern.

Füße tänzeln nackt im Gras.

Stimmen jubeln, wettern.

 

Pingpong Pingpong Pingpong Ping –

jetzt fliegt von der Seite

übers Netz ein Schetterling.

Schnell sucht er das Weite.

*

Und der dritte Schmettterling flatterte kürzlich in Gedesby auf der dänischen Insel Falster in unser Leben. Wir saßen hinterm Ferienhaus, gleich neben dem Schmetterlingsflieder, der, wie von ihm erwartet, Schmetterlinge anzog:Und während mir Frau A. Wissenswertes über Tagpfauenaugen, Schachbrettfalter, Bläulinge und Kaisermäntel vorlas, ihre Lebenserwartung und das Zischen, mit dem sie Angreifer abzuschrecken versuchen, da setzte sich genau dieses Prachtexemplar von Admiral auf meine linke Schulter, bestäubte mich für den Bruchteil einer Sekunde mit Glück, um dann sofort wieder das Weite zu suchen und anderswo Schönheit zu verbreiten.

Nach der EM

Der Autor Jürgen Roth hat die jüngsten Wochen des Fernsehfußballs in der ´jungen Welt´ mit sogenannten „EM-Depeschen“ begleitet, vor allem auch sprachkritisch. Für uns Lesende spinnt der Autor aus Scheiße Gold. Er sammelt und kompiliert die neuesten Moden der Phrasen-Drescherei von „all-in gehen“ bis „Restverteidigung“. Außerdem hebt er grandiose Fehlleistungen auf fürs Jüngste Gericht: daß die eine Mannschaft „mehr müde“ wirke, die andere dafür  „Löcher beim Gegner machen“ müsse, daß jener Spieler „in diese Fußstapfen drückt“: „Das ist schon selbstredend.“

Jürgen Roth sei also bedankt für seine mühselige, ehren- und aufopferungsvolle Arbeit, die, wie er selbst am besten weiß, natürlich nichts nutzt:

„Ich bin’s leid. Sprachkritik? Sinnlos. Ich bin Pazifist. Ich könnte von morgens bis abends reinschlagen.“

Fühlen wir uns nicht alle gelegentlich so: Wie Pazifisten, die bersten vor Aggressionen?