Für den unten beschriebenen Versprecher war ich auch deshalb besonders empfänglich, weil ich kurz zuvor ein langes Interview mit Peter Sloterdijk in der ´Zeit´ gelesen hatte.
Bei Sloterdijk schwanke ich immer zwischen Begeisterung über griffige, erkenntnisfördernde Formulierungen wie die, der Populismus sei „großteils die Rache des Landes an der Stadt“, und Unverständnis angesichts von namedroppender Verquastheit.
Eine Passage des Interviews erinnerte mich an ein Gedicht, das ich am 27. April 1995 geschrieben und an das ich lange nicht gedacht hatte. In diesem Absatz spricht Sloterdijk über Robert Musil, der beim Schreiben seines Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ vom jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber inspiriert worden sei:
„Der hatte 1909 ein Büchlein unter dem Titel ´Ekstatische Konfessionen´ herausgegeben, eine Sammlung ´mystischer Zeugnisse aller Zeiten und Völker´. Dieses Buch hatte Musil zeitweilig auf seinem Schreibtisch liegen, als er an seinem Roman schrieb. Das Eigenschaftsloswerden gilt in der deutschen Mystik des 14. und 15. Jahrhunderts als höchster Zustand der christlichen Seele. (…) Der Grundgedanke lautet: Wenn ich mein Ich, mein Selbst, meine Eigenheit ganz aufgebe und von allem lasse, mich also in ´Gelassenheit´ übe im Sinne von Meister Eckhart, dann wandle ich mich in eine Seele ohne Eigenschaften. Dieser Zustand hat einen großen Vorteil: Ich zwinge Gott, meine Leere auszufüllen.“
Und über diesen mystischen Gedanken des Loslassens von Egozentrismen zugunsten einer selbstlosen, heiteren Leere habe ich als junger Mann das besagte Gedicht geschrieben, möglicherweise in einem Zustand frühreifer Erleuchtung. Das Gedicht war damals wohl schon klüger und weiter als ich und ist es vermutlich auch heute noch.
So sei es
Heimlich, leis und stille
weder Wunsch noch Wille
keine Lust und keine Last
keine Trägheit, keine Hast
ohne Antrieb, hemmungslos
ohne Sorge, hoffnungslos
mühelos und ohne Schwere
angefüllt mit lauter Leere.