Seltene Momente (3)

Eben wieder so ein seltener Moment: Nachdem schon in den letzten Tagen die Kleingeld-Menge in meinem Portemonnaie erfreulich  überschaubar gewesen war, hatte ich beim Bäcker für zwei Milchhörnchen und zwei Schrippen 2 Euro 80 zu begleichen. Und was soll ich sagen? Genau die hatte ich noch parat. Ich zahlte feierlich. Jetzt befindet sich in meinem Münzfach keinerlei in Deutschland gültiges Kleingeld mehr: nur noch eine Deutsche Mark (Nostalgie), ein Marien-Anhänger (von irgendeiner Reise), eine polnische Münze (obwohl ich ewig nicht in Polen war) und ein Einkaufswagen-Chip der untergegangenen Supermarktkette Kaiser´s, der von mir in Ehren gehalten werden will, allein schon des schönen Signets mit der lachenden Kaffekanne wegen:

Guter Grund

Ich lese zur Zeit das wirklich sehrsehr gute Buch „Die Erben der Tante Jolesch“ von Friedrich Torberg, in dem es viel zu lernen und zu lachen gibt über Kaffeehäuser und seine Bewohner, über Wien und Prag, Literatur, Theater, Film, das Exil in Hollywood und in New York und die schließliche Rückkehr nach Österreich.

Gegen Ende des Buches erzählt Torberg eine Episode aus der Mitte der Neunzehnhundertdreißigerjahre, als er für den „Prager Mittag“ Theaterkritiken schrieb und die Sportseite redigierte.  Diese Anstellung aber endete ziemlich schnell. Das hatte mit dem seinerzeit sehr erfolgreichen Schwimmer Peter Fick zu tun.

„Als er wieder einmal Weltrekord schwamm, nahm ich – denn wenn beispielsweise das finnische Laufwunder Nurmi einen neuen Rekord aufstellte, wurde das ja auch als neuer Nurmi-Rekord gemeldet – nahm ich also keinen Anstand, die Meldung mit der Überschrift

´Neuer Fick-Rekord´

zu versehen. Die Herausgeber des ´Prager Mittag´ nahmen Anstand und setzten meiner Karriere als Sportjournalist ein jähes Ende.“

Fünfzehn Jahre später wurde Torberg auf einem Presse-Empfang in Berlin von einem ihm noch unbekannten Kollegen angesprochen:

„´Sie sind der Mann mit dem Fick-Rekord?´

vergewisserte er sich. Ich bejahte sowohl überrascht als auch geschmeichelt. Und erfuhr, daß er damals aus dem gleichen Anlaß vom gleichen Schicksal ereilt worden war wie ich. Er wurde entlassen , weil er die Rekordmeldung mit dem Titel

´Fick immer schneller!´

überschrieben hatte.“

Es gibt eben Menschen, die keinen guten, keinen schlechten Witz auslassen können. Meine rückhaltlose Sympathie haben sie.

Erdmöbel (viertes Konzert)

Die Welt ist ein warmer Ort.

Das Kreuzberger „Lido“ war an diesem Abend sogar ein heißer Ort. So heiß, daß der Sänger der Band „Erdmöbel“ sein Handtuch-Debüt auf der Bühne feierte. Bei der Oberbekleidung aber machte er keine Kompromisse: zitronengelber Blouson, Reißverschluß bis oben geschlossen.

Die Güte einer Band erkenne ich u. a.  daran, daß ich mich beim Konzert insbesondere auf die vielen tollen neuen Songs freue, statt, wie es das Klischee will, auf die alten zu warten.

Einer der vielen tollen neuen Songs heißt „Palindrom“. Wie schön ist es, wenn der Sänger jeweils auf japanisch vorsingt und wir im Publikum korrespondierend die deutsche Übersetzung:

„Yononaka, hokahoka nanoyo –

Die Welt ist ein warmer Ort.“

Ein anderer der vielen tollen neuen Songs heißt „Das Vakuum“, und Markus Berges hat vermutlich recht, wenn er ihn als vermutlich traurigsten „Erdmöbel“-Song ever bezeichnet:

„Das Universum

ist meine große Liebe

und die Physik

verehre ich wie meine Mutter

hab sie nur kurz gekannt

sie hinterließ mir so ein warmes Gefühl

für den leeren Raum. Für das Vakuum“

Jedes Mal zieht es mir den Stecker bei „Hab sie nur kurz gekannt.“ Weil ich dann immer denke: ´Hab ihn nur kurz gekannt.´ Wer das kennt, kennt das.

Und wie schön ist es, wenn einer der vielen tollen alten Songs – „Busfahrt“ – mit der Zeile endet

„Das fiel mir ein, als ich ausstieg“,

die erst der Sänger, dann der Bassmann leiser werdend repetiert, bis das Publikum sie aufgreift und lauter werdend ad infinitum wiederholt.

So etwas passiert fast nur bei „Erdmöbel“-Konzerten. Deshalb an dieser Stelle auch spontane Liebesbekundungen zwischen Publikum und Band und Publikum.

Und wie schön ist es drittens, wenn Du unverhofft Hände auf der Schulter hast und die Stimme einer Frau im Ohr, die Dich zur „Polonaise!“ auffordert. Die ist dann, anders als in Blankenese, nicht dumpfbackig, sondern frei und lustig und eben deshalb sehr „Erdmöbel“-gemäß.

Lustige Laster aka Truckspotting (6)

Eigentlich heißt diese kleine Serie ja „Truckspotting“, weil Bademeister Matthias, Trauma-Anne und ich es uns pandemiebedingt angewöhnt haben, vor der „Bar Italia“ nach ansehnlichen, schön beschrifteten Lastern Ausschau zu halten. Kollegin Irène hatte die Serie aber lustigerweise unter „Lustige Laster“ abgespeichert und mailte mir deshalb diesen lustigen Laster hier, den sie ausgerechnet heute, wo olle Scholz doch im Zug nach Kiew gerollt ist,  vor dem Haus des Rundfunks fotografiert hat.

Ich mag ja auch diese handfeste, etwas einfältige Form der Werbelyrik:

Mit Scholz da rollt´s.

Man muß sich immer entscheiden im Leben: entweder Komma oder  Apostroph. Beides geht nicht.

Est. 1968

Vor ein paar Tagen in der U-Bahn: Mir gegenüber sitzt ein junger Mann mit Schnäuzer und Goldkettchen und schwarzweißem T-Shirt. Darauf:

Calvin Klein

Est. 1968

So etwas schwebt mir auch vor als Titel für den dereinst erscheinenden, in Leinen gebundenen und mit Lesebändchen versehenen Prachtband, der all meine Gedichte in chronologischer Reihenfolge versammeln wird.

Sankt Neff

Seit 1968

Ihr kauft den dann sicher doch alle, oder?

Zwischen Heller und Jane Austen

Die Wimmerin kenne ich aus der „Bar Italia“. Sie stammt aus Österreich und ist eine große Verehrerin ihres Landsmanns André Heller. Immer wieder mal empfiehlt sie Barmann Alex und mir einen seiner Songs. Wir hören sie uns dann an – und müssen meist lachen. Weil Heller so ein Großmeister des Kitsches ist, eine Kathedrale der Eitelkeit und Selbstverliebtheit. Ich weiß aber zu schätzen, daß es solche überlebensgroßen Gestalten noch gibt, auch deshalb, weil sie sich  sehr gut parodieren lassen:

Die Wimmerin findet das natürlich nicht lustig.

Jetzt hat sie sich gerächt für meine Ignoranz dem Hochverehrtenheller gegenüber. Sie schrieb mir, sie habe die pandemiebedingte Quarantäne genutzt, um ihr Bücherregal aufzuräumen und umzugestalten:

„Welchen neuen Platz ich dir gegeben habe, wird dich sicher freuen.“Diese lustige kleine Boshaftigkeit gefällt mir. Den Heller lasse ich aber lässig links liegen und orientiere mich lieber nach rechts in Richtung Jane Austen und Balzac.

Der große Polt (4)

Die Festwochen zu seinem 80. Geburtstag sollen hier zu Ende gehen mit einem Zitat, das den großen Polt in seiner bewunderungswürdigen Unaufgeregtheit auf den Punkt bringt. Max Fellmann und Alex Rühle von der ´Süddeutschen´ riefen kurz vor dem Interview-Termin bei Polt an, weil sie fürchteten, wegen Stau verspätet einzutreffen. Seine Antwort am Telefon:

„Mei, kein Problem, es geht ja um nix.“

Eine kurze Lektion in Stoizismus, von dem ich mir drei bis sieben Scheiben abzuschneiden gedenke.

Wie schön, daß wir mit diesem großen Mann zeitgleich auf der Welt sein dürfen.

Der große Polt (3)

Der große Künstler hat es nicht nötig, über sich und seine Kunst großsprecherisch zu sprechen. Alles Prätentiöse, angeberisch Exegetische ist ihm fremd. Deshalb faßt der große Polt sein Werk, sein Wirken so zusammen:

„Ich kläre nicht auf. Ich trinke Bier.“

Darauf mindestens zwei große Augustiner!

Der große Polt (2)

Die Abwesenheit von Humor ist eine Voraussetzung für Fanatismus.  Humor meint hier die Fähigkeit, zu sich selbst, den eigenen Anschauungen, auf Distanz zu gehen, sie und sich kwasi von außen zu betrachten.

Auch dazu sagt Gerhard Polt in dem erwähnten Interview Erhellendes:

„Du liest einen Artikel über Kosmetik und Schönheit, dann gehst du ins Bad, siehst dich im Spiegel und musst über dich selber lachen. Ist schließlich erstaunlich, was ich daherbringe an Metamorphosen. Das ist Selbstironie. Das Gegenteil dazu ist der Hass der Impfgegner. Wenn Hunderte von Leuten ein Krankenhaus stürmen und auf Pfleger losgehen, dann fehlt da jede Selbstdistanz und jede Fähigkeit, das eigene Urteil zu relativieren. Diese Gnadenlosigkeit der Eiferer: Ich muss den Menschen beseitigen. Das ist außerhalb meiner Vorstellungskraft.“

Mein All