Alle Beiträge von Sankt Neff

Allein im All (2)

Allein auf der Erde. Allein im All.  Über das Gefühl der existentiellen Unbehaustheit schrieb ich ein weiter unten. Und nachdem ich es geschrieben hatte, fiel mir ein, daß ich in einem meiner „Heimatgedichte“ auch schon besungen habe, was dagegen hilft, zumindest manchmal, zumindest ein bißchen:

Ich gehe spaziern auf der Erdoberfläche

und schaue ins Weltall hinaus.

Und wenn ich mir dabei Gedichte vorspreche,

dann fühl ich mich fast wie zuhaus.

Allein im All

Erstmals habe ich jetzt Herman Melvilles Erzählung „Bartleby, der Schreiber“ gelesen, die mir vorher nur wegen ihres berühmten Verweigerungs-Satzes

„I would prefer not to.“ – „Ich möchte lieber nicht.“

ein Begriff war.

Komisch ist sie und verzweifelt traurig. Als der Erzähler seinen zukünftigen Angestellen Bartleby zum ersten Mal sieht, beschreibt er ihn als

„farblos sauber, mitleiderregend anständig, rettungslos vereinsamt“.

Die rettungslose Einsamkeit dieses Menschen faßt Melville später nochmal in andere Worte:

„Doch schien er allein, völlig allein im ganzen Weltall.“

Der Satz ließ mich an eine Formulierung von Eckhard Henscheid denken, die im Roman „Dolce Madonna Bionda“ die Gefühlslage des Helden Bernd Hammer ausdrückt:

„weil er so mutterseelenallein schon auf der Erde war“.

Allein im All. Allein auf der Erde.

Und auch ich habe, wenn ich das hier sagen darf, vor jetzt ziemlich genau zehn Jahren versucht, die existentielle Unbehaustheit des Menschen zu bedichten:

Auf der Welt

Ich bin allein.
Und du bist allein.
Und er und sie und es ist allein.

Und wir sind allein.
Und ihr seid allein.
Und sie sind allein. Auf der Welt.

Neulich in Kreuzberg (9)

Der französische Philosoph Emil Michel Cioran sagte:

„Jede Art von Hast, sogar zum Guten, offenbart irgendeine geistige Störung.“

Deshalb und sowieso ist es gut und erstrebenswert, möglichst ohne Hast durch die Welt zu gehen. Denn nur wer nicht hastet, sieht, wie neulich in der Marheineke-Markthalle nämlich ich, am Stand des Metzgers eine Wurstfachverkäuferin der anderen von hinten die Schultern massieren. Das rührte mich an und wäre mir entgangen, wäre ich gehastet, mit vorgeschobenem Kopf, der schon wieder beim Nächsten ist.

That´s understatement!

Youtube schlug mir vor, mal wieder ein paar Ausschnitte aus dem großen Live Aid-Konzert von 1985 zu schauen. Ich nahm den Vorschlag an und freute mich angesichts der aus heutiger Sicht unglaublichen Fülle  von großen bis überlebensgroßen Künstlern, die damals nach- oder auch miteinander auftraten, Künstler, deren Größe ich teils erst post mortem erkannte wie im Fall von Freddie Mercury oder George Michael. Damals hielt ich sie, engstirniger Schnösel der ich war, für zu glatt oder zu poppig oder nicht geerdet genug. Dabei waren sie, nunja: Götter.

Auch gegenüber Phil Collins pflegte ich überwiegend ungerechte Abneigung. Bei besagtem Konzert setzte er sich auf der Bühne des Wembley-Stadions an den Flügel, sang „Against all odds“, verspielte sich süß nach der ersten Strophe, egal, kraftvoll weiter, stieg in die Concorde, flog nach Philadelphia, dem zweiten Ort des Wohltätigkeits-Geschehens, wechselte das Hemd, setzte sich erneut an den Flügel und sang „In the air tonight“, einen Song, den man ohne Schlagzeug eigentlich nicht spielen kann, ohne Schlagzeug.

Bevor er aber sang, sagte Phil Collins:

„This ist the other song I know on the piano.“

That´s understatement!

Fulminant auch die Stelle, an der üblicherweise das Schlagzeug in den Song brettert, der Understatemant-Künstler jetzt aber nur kurz pausiert und ins Publikum schaut. Verehrungswürdig.

Und hier kommen die Links zu beiden Auftritten. Ich kann aber nicht versprechen, daß Ihr sie beim Anschauen noch genauso schön findet, wie Ihr sie Euch gerade lesend vorgestellt habt. Sagt selbst.

(Gemeinsam auf der Bühne mit Phil Collins, zuhörend, Sting und Branford Marsalis.)

*

Schön verlesen (2)

Wenn ich der Werbung auf der Tube glauben darf, bietet  die Zahnpasta bei regelmäßigem Gebrauch  umfassenden

„KARRIERESCHUTZ“.

Kann nicht schaden, denke ich, wenn tüchtiges Zähneputzen Beschäftigte davor bewahrt, „bis zu ihrer Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen“, wie es dem Peter-Prinzip zufolge in jeder Hierarchie fast zwangsläufig geschieht.

Diesen wünschenswerten Karriereschutz aber gibt es in Wirklichkeit gar nicht, denn, Ihr werdet es Euch schon gedacht haben: Ich habe mich verlesen. Die Zahnpasta stellt nur

„KARIESSCHUTZ“

in Aussicht.

Kann ich auch

Wenn es einem die Schönheit der Natur so leicht macht wie hier, mitten im Yosemite-Nationalpark, dann brauche ich nur auf den Auslöser meines popeligen Mobiltelefons zu drücken und das Ergebnis reicht zumindest fast an die ikonischen, allerdings schwarzweißen Kunstwerke von Ansel Adams heran, die an der gleichen Stelle entstanden.

Zwischen Pismo Beach und Santa Barbara

Die vielleicht schönste Autofahrt meines Lebens führte von Pismo Beach nach Santa Barbara: Gleich nach dem Aufstehn gepackt, zu viert ins Auto, ausgestattet mit Kaffee und Croissants und vor allem einer liebevoll kuratierten Playlist rund um Frühstück in Amerika, Californication, kalifornische Hotels, kalifornische Träume, Sonne, Strand und hundert Highways gleiten wir mit maximal 65 Miles per hour durch die Landschaft, die die Musik, tausendmal gehörte Songs, mit komplett neuer Energie auflädt: Frau und Sohn singen gemeinsam mit Bill Withers „Ain´t no sunshine“. Das fünfundzwanzig Mal wiederholte „I know I know I know I know…“  ist eine unerhörte Meisterleistung. Ebenso wie Don McLeans ewigkeitswürdiges Lied „American Pie“, das wie die besten Songs von Meat Loaf gar nicht mehr aufhören will, sondern – man muß fast lachen – immer wieder neu beginnt, ständig das Tempo, die Stimmung, Stimme, Phrasierung verändert. Und auch ich möchte gar nicht mehr ans Ziel kommen mit dieser Musik und diesen Menschen im Auto zwischen Pismo Beach und Santa Barbara.

Zwischen Pepsi und Coca

Da cruist du kreuz und quer durch Kalifonien, von Westen nach Osten und wieder zurück, und stehst deshalb mit deinem vielschluckenden Dodge ständig an der Tankstelle, um dich in diesem Fall hier von zwei amerikanischen Ikonen rahmen zu lassen.  Getrunken aber hast du weder die eine noch die andere, nämlich gar keine Cola.

Liegen lernen (8)

Tochter spielt mit Vater

Tischtennis im Garten.

Ansatzlos springt Kater

auf den Tisch. Sie warten.

 

Kater geht nicht weg,

macht es sich bequem

in dem Sonnenfleck.

Gibt es ein Problem?

Nein, nicht für den Kater,

liebt es halt zu liegen.

Tochter sagt zum Vater:

Werde dich besiegen.

 

Scharf spielt sie, und schnell,

über Netz und Tier,

endet das Duell

einundzwanzig vier.