Alle Beiträge von Sankt Neff

Was schön ist (11)

Während weiter östlich der Krieg wütet, dauerläufst du durch den Fläming, um der Lähmung zu entkommen, die Normalität zu beschützen, neben dir dein Sohn, der seine Turnschuhe vergessen hat, begleitet dich auf dem Rad, fährt freihändig und beginnt auf freiem Feld inbrünstig John Lennons „Imagine“ zu singen, above us only sky.

Fromme Wünsche

Komm, lieber Gott, und mache
die Erde wieder schön,
denn Haß, Neid, Gier und Rache
sind nicht mitanzusehn.

Komm, lieber Gott, und schalte
dich mal hier unten ein.
Sei tatkräftig und walte
– wir schaffens nicht allein.

Komm, lieber Gott, und heile
die Kranken auf der Welt
und anschließend verteile
gerecht Brot, Wasser, Geld.

Komm, lieber Gott, und schütze
die zart sind, schwach und klein.
Gib denen auf die Mütze,
die roh sind und gemein.

Komm, lieber Gott, und mache,
daß alle Welt sich liebt.
Und dann noch eine Sache:
Mach auch, daß es dich gibt.

Or whatever

Der Hof, in dem wir wohnen, hat harte Jahre hinter sich. Harte Jahre, in denen er von gierigen Investoren durch sinnloseste Umbauten aller Art vergewaltigt wurde. Trotzdem hält er sich tapfer, der Hof, läßt sich das erlittene Leid kaum anmerken. Inwischen gibt es hier nur noch wenige Mieter. Viele wurden in die Flucht geschlagen. Die leerstehenden Wohnungen sollen jetzt zu lustigen Preisen an zu reiche Menschen verkauft werden.

Als ich neulich das Haus verließ, kamen mir drei Männer entgegen. Der mit den nicht ganz so teuren Schuhen war offenbar dabei, denen mit den teuren Schuhen eine der leerstehenden Wohnungen zu zeigen. Ich schnappte im Vorbeigehen genau einen halben Satz auf, den der Mann mit den nicht ganz so teuren Schuhen sagte:

„…when they eventually will move out or die or whatever.“

Die Rede war offenbar von uns, den wenigen verbliebenen Mietern, die als low performer den potenten Käufern natürlich ein Dorn im Auge sind.

Wäre ich ein kleines bißchen schlagfertiger gewesen, hätte ich ihnen mit der ganzen Wut der geknechteten Mieter-Klasse hinterhergerufen:

„We will NEVER move out or die or whatever!“

Zappen

Ein in Brandenburg sehr häufig verkehrendes Fahrzeug ist der Dacia Duster, ein eher klobiger Pkw, der ein bißchen auf Jeep macht: Ich kann auch unwegsames Gelände. So kommt der Staub in den Namen „Duster“, der deshalb auch englisch ausgesprochen werden will. Und diese englische Aussprache denke ich wie selbstverständlich mit, wenn ich so einen Duster auf der Straße vor mir habe.

Bis neulich.

Da nämlich folgte ich einem Duster, dessen Eigner über die Typbezeichnung das Wort „Zappen“ geschrieben hatte. Hinten auf dem Auto stand also jetzt

Zappen

Duster

Durch diese schlaue und kreative Kontextualisierung wurde aus „Daster“ „Duster“: Zappenduster eben.

Der Duster erscheint mir seither in einem ganz neuen Licht. Dem Licht der Erkenntnis, daß man „Duster“ so oder so lesen kann und daß – anders als vom großstädtischen Arroganzler vermutet – nicht alle Duster-Fahrer Dumpfbacken sind.

Blau bleiben

Ein Zeichen unserer Zeit ist ja das gebetsmühlenartig wiederholte Credo vom „ständigen Wandel“, sind Klischees wie „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ etc.

In PeterLichts Roman „Ja okay, aber“ habe ich jetzt eine sehr wohltuende Infragestellung dieser ewigen Forderung nach Veränderung gelesen. Auf Seite 146 sinniert der Protagonist über „das Blau des Morgens“:

„Ah, wie schön das Blau aussieht! Könnte ruhig auch mal eine Zeitlang Blau bleiben! Ich muss sagen: Es könnte alles einmal eine Weile lang bleiben! Warum muss das Blau eigentlich immer Hellblau werden und aus Hellblau dann Weiß? Warum muss es immer weitergehen?! Warum kann es eigentlich nicht auch mal so bleiben, wie es ist?! Nein, es muss sich verändern. Alles muss sich immer verändern. Warum eigentlich? Dieses tiefe Blau, das ist doch schön! An Schönheit eigentlich nicht zu überbieten. Aber zack, schon überlegt sich wer, dass irgendwas ANDERS werden muss. Irgendein Zustand muss in einen Wandel geraten. Und mit ihm all die Leute, die sich zufällig auch in diesem Zustand aufhalten. Also zum Beispiel ich. Niemand hat mich gefragt, aber ich muss.“

Verliebt in die Beatles

Ich bin verliebt in die Beatles. In alle fünf.

(Artwork: Elisabeth Brück)

Das liegt daran, daß ich gerade Peter Jacksons Dokumentation „Get back“ geschaut habe. Was für ein Privileg und was für ein Glück,  einige Stunden mit den Beatles im Probenraum verbringen und  kwasi live erleben zu dürfen,

wie Paul am Klavier „Let it be“ oder „The long and winding road“ entstehen läßt,

wie George den anderen morgens den Song „I me mine“ vorspielt, den er sich am Abend vorher ausgedacht hat,

wie Yoko einen Kaugummi halbiert und John die eine Hälfte so lange hinhält, bis er, der eigentlich mit jemand anderem redet, abwesend danach greift – die beiden teilen wirklich alles -,

wie Yoko und John tanzen Walzer,

wie Ringo furztrocken konstatiert, gerade gefurzt zu haben, er habe das  erst verschweigen und die Reaktionen beobachten wollen, sich dann aber anders entschieden,

wie Ringo gemeinsam mit Pauls Tochter Heather Schlagzeug spielt,

wie Ringo seine Hand auf Lindas legt, die auf Pauls liegt,

wie diebisch Paul sich freut, als er die Polizisten wahrnimmt, die das Konzert auf dem Dach des Apple-Gebäudes abbrechen wollen.

Die Dokumentation dauert mehr als sieben Stunden. Auch die scheinbar langweiligen Passagen sind großartig. Immer wieder hören wir neue Versionen von „Get back“, vieles stockt und ist zäh, die Musiker verheddern sich ineinander, fügen sich kleine Verletzungen zu, sind müde, unpünktlich, schlecht gelaunt, trinken Tee, essen Toast, trinken Wein, rauchen so ununterbrochen, daß Disney glaubt, einen Warnhinweis einblenden zu müssen, beginnen Songs, brechen sie ab.

Man spürt die Fliehkräfte, die wenig später zur Auflösung der Band führen werden, von Scheidung ist die Rede („Wer bekommt die Kinder?“), man sieht und hört aber auch, wie wundervoll diese Extremindivudualisten in der Musik immer wieder zueinander finden, vor allem als der leichthändige  Pianist Billy Preston als ambulanter fünfter Beatle dazustößt.

John Lennon legt sein Phlegma ab, wird wach und auf eine brillante Art albern, Paul quillt über vor musikalischen Ideen für alle erdenklichen Instrumente, George ist so scheu und verletzlich wie das Klischee es besagt, in Ringos Gegenwart fühlen sich alle am wohlsten.

Die Farben, die Klamotten, die Überfülle des Talents, die heilige Musik, der Witz, die Liebe, der Schmerz der Vergänglichkeit – das alles zudem noch mit einem 17jährigen teilen zu dürfen, dem sich die Genialität vons Ganze unmittelbar erschließt, der absolut konzentriert mitgeht, um später in seinem Zimmer „Let it be“  zu üben und unter der Dusche „The long and winding road“ zu singen.

Was für ein großes, großes Glück, daß es diese Band für einige Jahre gegeben hat, daß es ihre Musik immer geben wird.

Kater Wiglaf et al.

Als unser kleiner Kater noch keinen Namen hatte, schlug Kollegin Irène mir vor, ihn „Wiglaf“ zu nennen, in Erinnerung an Wiglaf Droste und dessen Affinität zu Katzen.

Der Gedanke, Wiglaf Droste als Kater kwasi zu reinkarnieren, gefiel mir, ließ sich in der Familie aber nicht durchsetzen.

So tauften wir den kleinen Kater auf den Namen

Mido

eine Verkürzung des japanischen Wortes midori = grün – wegen seiner Augenfarbe.

Als Kater-Vater interessiere ich mich jetzt natürlich auch für die einschlägige Literatur. Deshalb nahm ich das bisher ungelesene Katzen-Buch von Wiglaf Droste zur Hand und stellte fest, daß sein Kater

Domi

hieß, eine Verkürzung des Wortes Domino = schwarz-weiß – wegen seines Fells.

Beide Katernamen bestehen also aus den selben Silben, nur in umgekehrter Reihenfolge, bei beiden handelt es sich um die Verkürzung eines Wortes für Farben um zwei Buchstaben.

„Ist es Zufall? Ist es Schicksal?

Fährt der 8-Uhr-Zug durch Bruchsal?“

(Foyer des Arts, „A Su Ma Kra – Vom tieferen Zusammenhang der Dinge“)

Wie dem auch sei. Klar ist aber, daß hier jetzt nochmal das Foto von Wiglaf als Puppe und Kater Domi als er selbst hingehört:

P.S. Gerade eben beim Gang durch die Bergmannstraße gesehen, daß die Besitzerin der dortigen – sehr schönen – Schmuckgalerie

Lucie Schnurrer 

heißt. Was natürlich auch ein großartiger Name für eine Katze wäre.  So richtig mit Vor- und Nach-.