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Sargnagel rules

Die Autorin Stefanie Sargnagel kannte ich bis vor kurzem nur flüchtig. Dann aber durfte ich sie in Wien bei der weiter unten beschriebenen Vorstellung des prachtvollen Porträt-Bandes von Sepp Dreissinger erleben. Sargnagel las vor – und ich mußte lachen. Anschließend ließ ich das Buch „Statusmeldungen“ als Souvenir für Barmann Alex signieren. Auch über ihre Widmung mußte ich lachen:Alexi hat das Buch gefeiert, zerlesen und mir jetzt geliehen. Was ein Fest! Ihr Facebook-Tagebuch aus den Jahren 2015 bis 2017 ist so frei, lustig, schlau und derb, ohne je peinlich zu sein. Ich glaube, ich habe eine neue Lieblings-Autorin. Lest selbst:

„Ein Grund dafür, warum es so viele Coachingausbildungen gibt, ist, dass viele Coaches vom Coaching nicht leben können und daher andere zu Coaches ausbilden. Ein Schneeballsystem, in dem eines Tages alle Menschen auf der Welt Coaches sind und alles Leben auf dem Planeten ein einziges Outdoorcoaching.“

„Gibt´s echt Leute, die sich ´wo sehen´ in 10 Jahren?“

„Fernsehen ist so schön. Wie Internet ohne freien Willen.“

„Vielleicht is das Leben echt so kurz, wie die alten Leute sagen.“

„In der Kindheit gab´s immer so Kinder, die hatten plötzlich Nasenbluten. Was wohl aus denen geworden ist…“

„Ohne Rausch bin ich auf Partys so: Ahh… Muss mich so konzentrieren zuzuhören, was Leute für einen faden Scheiß erzählen. Muss überlegen, was ich sie als Nächstes frag, um die Konversation am Laufen zu halten. Wie lange muss ich zuhören, um wieder über mich reden zu dürfen?“

Soll ich ein Aussteiger werden, der auf alles scheißt, oder ein Machtmensch, der alle zerfickt? Finde beides attraktiv.“

„Zerficken“ ist eines der Lieblingswörter von Stefanie Sargnagel:

„Morgen beginnt meine Lesereise. Zuerst fahre ich nach Kassel, und dort wird Kassel zerfickt.“

Und zeitgleich zur Sargnagel-Lektüre entdeckte ich an der Yorckstraße in Kreuzberg ein Graffito ganz in ihrem  Geiste und Duktus:Besonders gut gefällt mir, daß die Urheberin hier auf den Imperativ verzichtet hat. Im Gegensatz zu „Zerfickt das Patriarchat!“ klingt „Das Patriarchat zerficken!“ eher wie ein Vorsatz auf einer To do-Liste, den man bei Gelegenheit doch dringend mal umsetzen sollte.

Noch dringender aber vielleicht: Sargnagel lesen!

Lektionen (8)

„Oft genug und genau genug und glücklich genug in die Kastanie schauen.“

(Gabriele von Arnim, Was ich gerne früher gewusst hätte)

*

Höfisches Gedicht

 

So mächtig und haushoch

erhebt sich die Kastanie in unserem Hof,

daß ich geneigt bin,

sie als Königliche Hoheit zu bezeichnen.

Sie aber bleibt demütig

und verneigt sich

bei Wind

vor mir.

Zementmischer (18)

Und nochmals Ha!

Zementmischer finden sich nämlich nicht nur, wie weiter unten dokumentiert, in Südeuropa, New York und Nordeuropa, sondern auch in Asien, namentlich in Kyoto, Japan. Hier das geistesgegenwärtig aus dem Taxi geschossene Foto von Schwester Sabine:

Ein kleiner Strauß

Neulich morgens kleiner Dissens zwischen Mann und Frau über die Frage, ob es wirklich ratsam sei, eine alte Klobürste zu entsorgen, ohne schon eine neue zu haben. Die Frau fand ja, der Mann fand nein.

Abends kehrt die Frau zurück von der Arbeit und sagt zum Mann:

„Ich habe eine richtig schöne Überraschung für dich.“

Sie überreicht ihm drei neue Klobürsten auf einen Schlag mit den Worten:

„Ein kleiner Strauß.“

Der Mann freut und bedankt sich, nimmt sie beim Wort und dekoriert entsprechend:

Fachfrau und Fachmann nennen es unisono:

Klobürstenbouquet.

Von fliehenden und fehlenden Pferden

Ein in der neueren deutschen Literatur bekanntes Motiv ist das des fliehenden Pferdes. Mehr Beachtung aber verdiente meines Erachtens das des fehlenden, nicht zuletzt seiner Rolle im Werk Franz Kafkas und in meinem eigenen wegen. Fangen wir an mit mir:

Vor einigen Jahren träumte ich eine Formulierung, die ich anderntags mit wenigen Zutaten zu einem Gedicht anreicherte:

 

Im Hotel zum fehlenden Pferd

 

Letzte Nacht träumte ich

vom Hotel zum fehlenden Pferd.

Das heißt: Im Traum

fiel mir dieser Name ein:

Hotel zum fehlenden Pferd.

Ich fand das unheimlich witzig:

Hotel zum fehlenden Pferd.

Und dachte im Traum,

das muß ich mir unbedingt merken:

Hotel zum fehlenden Pferd.

Und morgen früh gleich notieren:

Hotel zum fehlenden Pferd.

Da kann ich noch was draus machen,

etwas ganz Großes,

einen Roman zum Beispiel

namens „Im Hotel zum fehlenden Pferd“.

Und wenn nichts Großes,

dann etwas Kleines,

ein Gedicht zum Beispiel

namens „Im Hotel zum fehlenden Pferd“.

Hier ist es.

 

Im Zuge meiner Vorbereitung auf das Kafka-Jubiläum im Juni stellte ich nun fest, daß das Motiv des fehlenden Pferdes auch bei Franz Kafka an zentraler Stelle aufscheint, nämlich in seiner Erzählung „Ein Landarzt“:

„…aber das Pferd fehlte, das Pferd.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Erzählung früher schon einmal gelesen habe, vermute es aber. Tauchte das fehlende Pferd deshalb später in meinem Traum auf, der dann zum Gedicht wurde? Weiß nicht, auch nicht so wichtig. Ich freu mich aber, daß Kafka und mich und mich und Kafka dieses Motiv verbindet.

Vom Sie zum Du

Es ist nicht immer einfach, im Rahmen sich intensivierender Bekanntschaften vom Sie zum Du zu wechseln. Muß ja auch nicht sein, denn  Schwebezustände und Spielräume können reizvoll sein. Der Schriftsteller Max Goldt erzählte, daß er sich mit einer guten Bekannten darauf geeinigt habe: Beim Kaffeetrinken siezen wir uns, beim Biertrinken duzen wir uns.

Von einer sehr verschmitzten und gewitzten Art, die Änderung der Anrede anzubahnen, las ich nun in Gerhard Henschels autobiographischem „Schelmenroman“ (S. 524). Henschel, der im Buch Martin Schlosser heißt, ist auf ein Glas Wein mit dem Dichter und Zeichner Fritz Weigle alias F. W. Bernstein verabredet, dem er wortreich seine Verehrung ausspricht:

„Während ich redete, zeichnete Herr Weigle mich als lachenden Koloß und sich selbst daneben als Zwerglein, das mich fragt:

HERR SCHLOSSER, SOLLTEN WIR NICHT DU SAGEN ZU UNS?“ 

Sterbenswörtchen

Gestern hatte ich die Ehre, gemeinsam mit dem Verleger Matthias Naumann und den Herausgebern Petra Moser und Martin Jürgens die Anthologie „Sterbenswörtchen. Versuche über das Ableben“ auf der Leipziger Buchmesse vorstellen zu dürfen. Das ging besser als gedacht, weil die Bühne der unabhängigen Verlage inmitten des Messe-Remmidemmis ein erstaunlich ruhiger Ort ist. Und ich wußte gottseidank auch nicht, daß dort alle Auftritte gefilmt werden. Wer mal reinschauen möchte: Unser Gig beginnt nach einer Stunde und 32 Minuten.

Lektionen (7)

„Das Leben geht garantiert schlecht aus. Ein Grund, sich keine Sorgen zu machen.“

(Wolfgang Schmidbauer, Was ich gern früher gewusst hätte)

*

Futur II

 

Auch wenn ich einmal nicht mehr bin

– ich werde doch gewesen sein.

Im Sinne von: Na immerhin.

Grammatik tröstet ungemein.