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Max Raabe fährt freihändig Fahrrad

Noch nicht lang her, da hing in Berlin allerorten ein Plakat, auf dem man den Sänger Max Raabe sah, wie er in Smoking und mit Fliege freihändig, die Hände in den Hosentaschen, auf einem Hollandrad durch die abendliche Hauptstadt radelt. Sehr lässig und stilvoll.

Der prominente Herr ist offenbar auch privat so. Jedenfalls erzählte mir Nachbarin Ninette von einer neulichen Beobachtung in der Kreuzberger Großbeerenstraße, die ich umgehend in ein Haiku zu gießen versucht habe:

Am Lampenladen

steigt Max Raabe aufs Fahrrad:

fährt freihändig fort.

Hochhaushohe Komik

Heute ist Dienstag. Und dienstags gibt es immer eine neue Etage. Eine neue Etage in dem Hochhaus, das die Cartoonistin und Comic-Künstlerin Katharina Greve seit ein paar Monaten im Netz hochzieht.  Angelegt hat die gelernte Architektin das Projekt auf 102 Stockwerke.  Seit heute befinden wir uns auf Etage 22.

Bisher geschah unter anderem dies:

Im 1. OG klopft die pubertierende Tochter reaktionärer Eltern bei den Nachbarn und bittet um politisches Asyl.

Im 10. OG wurde eingebrochen. Die Wohnungsbesitzer stellen fest, daß die Täter nichts mitgenommen haben. Die Frau ist darüber rechtschaffen empört: „Oh Gott, was sollen nur die Nachbarn denken?!?“

Im 15. OG sagt die alte Frau auf dem Sofa zu dem alten Mann neben ihr: „Wenn du nicht bald stirbst, lasse ich mich scheiden.“

Auf anderen Etagen begegnen wir einer Domina, einer Messi-Oma und ganz vielen ganz normalen Menschen, denen Katharina Greve unabgedroschen witzige Sätze in den Mund legt. Manches passiert auch nur nebenbei. In dem Stockwerk, das kurz nach David Bowies Tod fertiggestellt wurde, weht die Songzeile „You´re face to face with the man who sold the world“ aus dem Fenster – ohne daß das eigens erklärt wird.

Wer einem Hochhaus randvoll mit haushoher Komik beim Wachsen zuschauen möchte:

Katharina Greves Hochhaus

Und wer Katharina Greve beim Vorlesen aus ihren Cartoons und Comics erleben möchte, der kann das am kommenden Sonntag um 17 Uhr bei „Menschen auf Stühlen“ im K-Salon in der Bergmannstraße 54  tun.

Mal schauen, ob sie sich selbst ähnlich sieht:

Katharina-Greve_Portraitzeichnung

 

Schalttag

Als ich las, daß der heutige 29. Februar der „Tag der Seltenen Erkrankungen“ ist, war meine Freude groß. Denn selten – und deshalb schön – konsequent ist es, sich seltenen Krankheiten auch nur sporadisch zu widmen, so alle vier Jahre mal zum Beispiel.  Aber dann  mußte ich erfahren, daß dieser Gedenktag doch jedes Jahr begangen wird, nämlich immer am letzten Tag des Februars.  Und wieder ein Einbruch der Realität in die Schönheit.

Was schön gewesen wäre

Kürzlich im Kino

Der Mann an der Kasse sagt:

„Zweimal ´Hateful Eight´“.

Die Frau hinter der Kasse antwortet:

„Das macht dann zusammen ´Hateful Sixteen´.“

Wie schön wäre es gewesen, wenn es so gewesen wäre. TATSÄCHLICH ABER verlangte die Kassenfrau schnöde nur die fälligen 20 Euro (wegen Überlänge).
Ich hingegen halte es mit dem komischen Zeichner Bernd Pfarr, der einmal dekretierte:

„Am liebsten würde ich der ganzen  Welt die Realität austreiben.“

Blende also, wir sind ja schließlich im Kino, die schnöde Realität aus, und tue so, als wäre es gewesen, wie ich es gern gehabt hätte:

Kürzlich im Kino

Der Mann an der Kasse sagt:

„Zweimal ´Hateful Eight´“.

Die Frau hinter der Kasse antwortet anbetungswürdig geistesgegenwärtig :

„Das macht dann zusammen ´Hateful Sixteen´.“

Auf den Punkt

Was Auftritte von Bettlern und Obdachlosenzeitungs-Verkäufern in der U-Bahn gelegentlich etwas anstrengend macht, sind weitschweifige Erklärungen und zu gut gemeinte Rechtfertigungen. Wohltuend auf den Punkt dagegen diese junge Berlinerin hier:

„Entschuldigen Sie bitte die Störung. Aus finanziellen Gründen muß ich betteln. Wenn Sie vielleicht ein paar Groschen hätten.“

Defekt (6)

Daß Kunst kaputt im Sinne von krank, abartig, geschmacklos sein kann, wenn nicht gelegentlich gar: sein muß – im Grunde ein alter Hut.

Daß Kunstwerke aber auch kaputt, im Sinne von technisch defekt sein können – das ist ein Phänomen der Moderne. Kunst, die unplugged an der Wand hängt oder in Stein gemeißelt auf einem Sockel steht, kann kaum kaputtgehen.  Wohl aber eine Installation, die vorsieht, daß ein Gartenzwerg auf einer strombetriebenen Lore vor- und zurückfährt.  So passiert und von Frau Astrid dokumentiert in einer Ausstellung des Martin Gropius-Baus in Berlin:

Defekte Kunst

Was schön ist (6)

Da hockst du in der Stube an diesem unwirtlichen Wintersonntagnachmittag und versuchst deiner Mundharmonika „When the Saints Go Marching In“ beizubringen. Und während du so ziehst und bläst und bläst und ziehst, siehst du, wie dein Töchterchen zu der selbstgemachten Musik anmutig um die eigene Achse tänzelt, siehst Frau und Sohn, die auf dem Teppich sitzen und Mühle spielen, siehst im Regal ein Buch, auf dessen Rücken geschrieben steht: „Welche Tiere und warum das Himmelreich erlangen können“. Und merkst dann, wie oft mit ein bißchen Verspätung, daß du und die heiligen Deinen sich in genau jenem Moment genau dort aufgehalten haben.

Was nicht so schön ist

DA SITZT DU AM rECHNER UND SCHREIBST SEHR EMSIG VOR DICH HIN; WILLST SO SCHNELL WIE MÖGLICH ALLES IN DIE tASTATUR  HACKEN; DAMIT AUCH KEINES DER VIELEN  iDEECHEN VERLOREN GEHT; DIE DIR GERADE DURCH DIE rÜBE RAUSCHEN; SCHAUST DESHALB NICHT AUF DEN bILDSCHIRM; SONDERN NUR DIR SELBST AUF DIE fINGER; UM DANN VIEL ZU SPÄT FESTZUSTELLEN;  DA? DU OFFENBAR GLEICH ZU bEGINN AUS vERSEHEN DIE fESTSTELLTASTE FÜR gRO?SCHREIBUNG BERÜHRT HAST:

Abgebrochene Grossprojekte (2)

Adolph Menzel, dessen rechter Fuß ein paar Einträge weiter unten zu bestaunen ist,  war als Künstler sehr erfolgreich und viel bewundert. Kurz vor seinem 60. Geburtstag griff er sich eine Kladde in der Absicht, darin sein Leben aufzuschreiben, und verzierte sie schwungvoll mit der Aufschrift:

„ich.“

Er notierte zwei Sätze über seine Herkunft und klappte die Kladde wieder zu. Ein paar Jahre später ergänzte er seine Autobiographie um nochmal zwei oder drei Sätze und brach das Vorhaben dann endgültig ab – er fand sein Leben einfach nicht interessant genug.

Daß aber auch ein uninteressantes Leben in einem Buch mit vielen Kapiteln aufgeschrieben werden kann, versuche

„ich“

gerade in aller Heimlichkeit zu beweisen. Demnächst vielleicht mehr.

P.S. Die Kladde ist Gegenstand der Menzel-Ausstellung im Berliner Stadtmuseum.  Dort las ich ein bißchen im Gästebuch rum. Ein Besucher ließ sich darin etwas weitschweifig, aber nicht ganz zu Unrecht  über die „altbackene“, „nicht zeitgemäße“ Präsentation der Exponate aus. Der nächste Eintrag im Gästebuch lautete dann lustig lapidar und angenehm besserwisserisch:

„Vorstehendes Quatsch.

Dr. Sowieso“