Muss man drauf kommen

Heute vor der sonntäglichen Siesta auf dem Sofa im Balkonzimmer noch im neuen Kapielski mit dem schön unappetitlichen Titel „Kotmörtel“ gelesen, während eine Fliege durch den Raum lärmte und mich abzulenken versuchte.  Das ließ ich aber nicht zu. Und so entdeckte ich auf Seite 55 einen Satz von schlichter Raffinesse. Der aber gar nicht vom Kapielski-Thomas stammt, sondern vom Schmit-Tomas (Konzeptkünstler: geboren 1943 in Wipperfürth, gestorben 2006 in Berlin). Der erste Thomas war mit dem zweiten Tomas befreundet und zitiert ihn hier:

„Hinten steht in diesem Satz vorne.“

Sieht so einfach aus. Muß man aber, da hat der Kapielski-Thomas recht, erst mal drauf kommen, nämlich.

Liegen lernen (6)

Vom Haus zum See und zurück

Die Sonne ging mal wieder über Leichen
wie eine Leiche lag ich vor dem Haus
und vor dem Haus, da gabst du mir ein Zeichen
das Zeichen wies zum Mittelpunkt des Blaus

Das Blaue log auf ziemlich kurzen Beinen
die kurzen Beine trugen mich zum See
den See zu sehn verursachte fast Weinen
fast weinen mußte ich, denn schön tat weh

Das Weh versuchte ich im See zu kühlen
im Kühlen schwamm ich raus und dann zurück
zurück zum Ufer, wo auf Campingstühlen
auf Campingstühlen brütete das Glück

Das Glück ließ ich links liegen auf der Strecke
die Strecke führte schnurstracks bis vors Haus
vorm Haus, da streckte ich mich auf die Decke
die Decke setzte mich der Sonne aus

Die Sonne ging noch immer über Leichen
wie eine Leiche lag ich wieder dort
dort wartete ich lange auf ein Zeichen
das Zeichen kam nicht – und auch du warst fort.

Wer zum Teufel ist Sankt Neff? (11)

Manchmal fügt es sich füglich: Der im Ostallgäu ansässige Künstler und Schriftsteller Thomas Glatz suchte im Netz nach Reimen auf Mensch und landete dabei auf der Seite „Sankt Neff“, also hier. Anders als fast alle kennt er diesen Deppen-Heiligen nicht nur, sondern hat ihm in einem Text für die Literaturzeitschrift „Am Erker“ 2007 sogar schon mal erwähnt.  Weswegen er auch in meine kleine Sammlung von Sankt Neff-Zitaten aus der Weltliteratur aufgenommen gehört:

„Die Kirche St. Neff.

 In der Aussegnungshalle auf dem Friedhof ist ein frischer Sarg aufgebahrt. An den Säulen links und rechts hängen Duftbäumchen: Zitrone und Grapefruit.  Der Herz-Jesu-Jesus im Glasfenster scheint ein wenig zu schielen. Im Flattern des Lendentuches Christi wird das Wirken des Geistes Gottes ausgedrückt. Vorm Gotteshaus verjüngt sich ein Kirschbaum.“

Prophezeiung

Jenen Paaren aber, die abends im Bett fernsehen und dabei eine Tüte Haribo Colorado mümmeln, sich späterhin noch ineinander verschränken, dann hochzufrieden einschlafen und am nächsten Morgen beim Aufstehen zwischen den Laken rot auf weiß eine übrig gebliebene Haribo-Himbeere entdecken, seit alters her ein Symbol der Fruchtbarkeit, jenen Paaren also prophezeie ich aus nichts weniger als selbstgemachter Erfahrung: Noch vor Ablauf eines Jahres wird Euch ein Kind geboren. Denn so spricht der feine Herr: Sankt Neff.

Truckspotting (2)

Wie weiter unten erwähnt, ist meine Aufmerksamkeit zur Zeit geschärft für Lastwagen mit besonders schönen, weil schlichten Schriftzügen darauf. Und so erblickte ich gestern auf der Autobahn zwischen Bad Belzig und Berlin  ein Fahrzeug der Lebensmittel-Spedition AZ, die mit  einem  Slogan wirbt, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn gestelzt oder niedlich um grammatikalische Korrektheit bemüht finden soll. So oder so ist er wunderbar:

„AZ. Der Frische wegen“.

Lachen machte mich dieser Slogan auch deshalb,  weil er mich an eine abendliche Episode in Schöneberg erinnerte: Wir standen mit ein paar Leutchen vor dem „Felsenkeller“ und tranken Bier. Ein Freund trug eine neue, figurbetonte Hose aus feinem Stoff, die wir anderen einmütig bewunderten. Die Frau des Hosenträgers aber wies uns darauf hin, sie habe ihrem Mann untersagt, die – wie erwähnt – figurbetonte Hose bei der Arbeit zu tragen. Wir anderen verstanden erst nicht recht, bis sie uns auf Nachfrage erklärte:

„Des Gliedes wegen.“

Wie vulgär sie es hätte ausdrücken können und wie niedlich um Diskretion und grammatikalische Korrektheit bemüht sie es tat. Was haben wir gelacht! Tun es bis heute. Des Gliedes wegen.

Kunst aus Kuchen

Kollegin Christine spendierte Kuchen. Ich bat sie um ein kleines Stück. Sie schnitt eins ab und bugsierte es auf meinem riesigen Pappteller. Dort lag es dann – und sah, wie wir beide begeistert feststellten, extrem unappetitlich aus. So begeistert, daß wir es stante pede dokumentierten:

Nur wenig später aber, ich mümmelte noch den schmackhaften Kuchen, schickte Christine mir den Beweis, daß sie auch aus visueller Scheiße Gold bzw. aus Kuchen Kunst machen kann. Siehe, hurra!, hier:

Wiglafs Wigwam (10)

Heute vor einem Jahr starb Wiglaf Droste,

neben vielem anderen ein großer Freund des  frühen Morgens:

„Jetzt erst mal, und auch das ist ein Großglück,

Kaffeedüfte und Brötchen, ha!, Frühstück!

Nur eins mach ich nicht, und zwar: mir Sorgen.

Denn es ist Morgen.“

(Wiglaf Droste, „Tisch und Bett“, S. 245)

Mein All