Alle Beiträge von Sankt Neff

Noch eine Generation

Obwohl ich andererseits zugeben muß, daß es schon Spaß macht, sich solche Generationen-Namen auszudenken, zum Beispiel Menschen ungefähr eines Alters, denen Sabbaticals und Work-Life-Balance  näher sind als Stress und Burnout,  unter dem Schlagwort

Generation Regeneration 

zu subsumieren.

Generation Prokrastination

Auf unserem unserem Spaziergang zur „Kleinen Meerjungfrau“ in Kopenhagen begegneten wir zunächst einem Jugendlichen, dessen T-Shirt bedruckt war mit dem Slogan

„Je le ferai demain“

– was die frankophile Frau A. mir mit

„Ich werde es morgen tun“

übersetzte –,

kurz danach einer jungen Frau, auf deren Oberteil stand:

„Not today

and maybe not tomorrow“.

Zufall oder Zeichen?

Neigte ich zum Plakativen, würde ich jetzt lauthals eine

Generation Prokrastination

ausrufen.

Aber erstens stehen beide Motti vermutlich eher für das Kokettieren mit der Prokrastination als daß sie etwas über die Arbeitsmoral junger Menschen aussagen.

Und zweitens sind derlei Generationen-Zuschreibungen in der Regel ohnehin Quatsch.

Drei Schmettterlinge

Als meine Nichte Lena noch klein war, spielten wir Tiere-Raten: Sie dachte sich ein Tier aus, ich mußte es durch Nachfragen herauskriegen. Was mir nicht immer gelang. Dann bat ich sie um Hilfestellung. Mein-Lieblingsmoment war, als sie mir mit folgendem Tipp auf die Sprünge zu helfen versuchte:

„Fängt mit Schme an.“

*

Schmetterlinge sind natürlich die Parade-Metaphern für intensive, aber flüchtige Momente. Vor ein paar Jahren gab es in einem Garten südlich von Berlin, in der Nähe des Mellensees, einen solchen. Ich habe ihn in einem Gedicht festgehalten. Und bin auch mit zeitlichem Abstand immer noch ein bißchen stolz darauf, hier die schmetternde Dynamik des Tischtennis mit der luftigen Filigranität des Falters  zusammengebracht zu haben:

 

Sommertag mit Tischtennis

 

In der Luft ein weißer Ball,

wechselt auf die Schnelle

Richtung, Ping Pong, Schlag und Schall,

Kelle, Platte, Kelle.

 

Vorhand, Rückhand nehmen Maß,

schnibbeln, blocken, schmettern.

Füße tänzeln nackt im Gras.

Stimmen jubeln, wettern.

 

Pingpong Pingpong Pingpong Ping –

jetzt fliegt von der Seite

übers Netz ein Schetterling.

Schnell sucht er das Weite.

*

Und der dritte Schmettterling flatterte kürzlich in Gedesby auf der dänischen Insel Falster in unser Leben. Wir saßen hinterm Ferienhaus, gleich neben dem Schmetterlingsflieder, der, wie von ihm erwartet, Schmetterlinge anzog:Und während mir Frau A. Wissenswertes über Tagpfauenaugen, Schachbrettfalter, Bläulinge und Kaisermäntel vorlas, ihre Lebenserwartung und das Zischen, mit dem sie Angreifer abzuschrecken versuchen, da setzte sich genau dieses Prachtexemplar von Admiral auf meine linke Schulter, bestäubte mich für den Bruchteil einer Sekunde mit Glück, um dann sofort wieder das Weite zu suchen und anderswo Schönheit zu verbreiten.

Nach der EM

Der Autor Jürgen Roth hat die jüngsten Wochen des Fernsehfußballs in der ´jungen Welt´ mit sogenannten „EM-Depeschen“ begleitet, vor allem auch sprachkritisch. Für uns Lesende spinnt der Autor aus Scheiße Gold. Er sammelt und kompiliert die neuesten Moden der Phrasen-Drescherei von „all-in gehen“ bis „Restverteidigung“. Außerdem hebt er grandiose Fehlleistungen auf fürs Jüngste Gericht: daß die eine Mannschaft „mehr müde“ wirke, die andere dafür  „Löcher beim Gegner machen“ müsse, daß jener Spieler „in diese Fußstapfen drückt“: „Das ist schon selbstredend.“

Jürgen Roth sei also bedankt für seine mühselige, ehren- und aufopferungsvolle Arbeit, die, wie er selbst am besten weiß, natürlich nichts nutzt:

„Ich bin’s leid. Sprachkritik? Sinnlos. Ich bin Pazifist. Ich könnte von morgens bis abends reinschlagen.“

Fühlen wir uns nicht alle gelegentlich so: Wie Pazifisten, die bersten vor Aggressionen?

Nochmal Sloterdijk

Mein Freund Michael hat keine Ähnlichkeit mit Peter Sloterdijk: Er ist deutlich jünger, deutlich dünner, deutlich größer, hat deutlich dunklere Haare. Die aber trägt er gelegentlich ein wenig länger. Möglicherweise verfügt er auch über eine ähnlich geistvolle Ausstrahlung wie der berühmte Philosoph.

Anders kann ich mir nicht erklären, warum Michael vor einigen Jahren tiefnachts in der berüchtigten Berliner Anmach- und Abschlepp-Kaschemme „Kumpelnest 3000“ von einer Frau mit folgenden zwei, aufreizend-erwartungsvoll ausgesprochenen Worten zum Mittanzen aufgefordert wurde:

„Na, Sloterdijk?!“

Ist das nicht ein unerhörter Vorgang?! Ich glaube kaum, daß in der bisherigen Weltgeschichte schonmal ein Mensch  auf diese Weise angemacht wurde. Allein deshalb hoffe ich, daß Michael den Erwartungen der bewundernswert originellen Tänzerin entsprochen hat.

Sloterdijk, Musil, Buber, Meister Eckhart und ich

Für den unten beschriebenen Versprecher war ich auch deshalb besonders empfänglich, weil ich kurz zuvor ein langes Interview mit Peter Sloterdijk in der ´Zeit´ gelesen hatte.

Bei Sloterdijk schwanke ich immer zwischen Begeisterung über griffige, erkenntnisfördernde Formulierungen wie die, der Populismus sei „großteils die Rache des Landes an der Stadt“, und Unverständnis angesichts von namedroppender Verquastheit.

Eine Passage des Interviews erinnerte mich an ein Gedicht, das ich am 27. April 1995 geschrieben und an das ich lange nicht gedacht hatte. In diesem Absatz spricht Sloterdijk über Robert Musil, der beim Schreiben seines Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ vom jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber inspiriert worden sei:

„Der hatte 1909 ein Büchlein unter dem Titel ´Ekstatische Konfessionen´ herausgegeben, eine Sammlung ´mystischer Zeugnisse aller Zeiten und Völker´. Dieses Buch hatte Musil zeitweilig auf seinem Schreibtisch liegen, als er an seinem Roman schrieb. Das Eigenschaftsloswerden gilt in der deutschen Mystik des 14. und 15. Jahrhunderts als höchster Zustand der christlichen Seele. (…) Der Grundgedanke lautet: Wenn ich mein Ich, mein Selbst, meine Eigenheit ganz aufgebe und von allem lasse, mich also in ´Gelassenheit´ übe im Sinne von Meister Eckhart, dann wandle ich mich in eine Seele ohne Eigenschaften. Dieser Zustand hat einen großen Vorteil: Ich zwinge Gott, meine Leere auszufüllen.“

Und über diesen mystischen Gedanken des Loslassens von Egozentrismen zugunsten einer selbstlosen, heiteren Leere habe ich als junger Mann das besagte Gedicht geschrieben, möglicherweise in einem Zustand frühreifer Erleuchtung. Das Gedicht war damals wohl schon klüger und weiter als ich und ist es vermutlich auch heute noch.

 

So sei es

 

Heimlich, leis und stille

weder Wunsch noch Wille

keine Lust und keine Last

keine Trägheit, keine Hast

ohne Antrieb, hemmungslos

ohne Sorge, hoffnungslos

mühelos und ohne Schwere

angefüllt mit lauter Leere.

Sloterbeck

Nur damit nichts durcheinandergeht:

Der Philosoph, der am Samstagnachmittag in Berlin über „Individuelle Freiheit – ein Auslaufmodell?“ gesprochen hat, heißt

Peter Sloterdijk,

der Fußballspieler, der am Samstagabend mit einem sehr individuellen Steilpass in den freien Raum das zweite deutsche Tor vorbereitete,

Nico Schlotterbeck,

die Hellseherin im „Räuber Hotzenplotz“

Witwe Schlotterbeck

und der Hund, den sie aus Versehen in ein Krokodil verwandelt,

Wasti.

Wenn es aber mal durcheinandergeht, wie heute früh in einem mir nahestehenden Radioprogramm, als innerhalb von zehn Minuten zunächst über Philosophie, gleich anschließend aber über Fußball berichtet wurde, der Autor deshalb völlig verständlicherweise von einem Spieler namens

„Sloterbeck“

sprach und darüber lachen mußte, dann, ja dann entsteht in einem Bestfall wie diesem etwas ungeplant Witziges, das zwei nur scheinbar disparate Lebensbereiche miteinander versöhnt. Oder so ähnlich. Ihr wißt schon.

Schönheits-Konkurrenz

So ein Kater kann ja kwasi nicht anders als anmutig. Wo er ist, ist Schönheit. Und er sucht die Schönheit, um sie durch seine Gegenwart zu verdoppeln. Auch wenn er dafür, wie hier, einen ordentlichen Satz auf den Glasschrank machen muß.

Jetzt also Mido neben Geburtstags-Strauß für Frau A.:  Schönheits-Konkurrenz, Stillleben und letztlich auch Gottesbeweis in einem.