Abgebrochene Grossprojekte (3)

Vor kurzem habe ich zum zweiten Mal in meinem Leben den schiefen Turm von Pisa besucht. Das erste Mal war in den achtziger Jahren DES VERGANGENEN JAHRHUNDERTS.  Freund Michael und ich hatten uns damals vorgenommen, den Turm auf jeder Etage einmal zu umrunden. Das ging zunächst auch gut. Im vierten oder fünften Stockwerk aber überkamen Freund Michael starke Schwindelgefühle. Und zwar ausgerechnet, als wir den Turm zur Hälfte umrundet hatten. Er sah sich außerstande, die noch verbleibende Wegstrecke bis zum Eingang des Treppenhauses aufrecht zurückzulegen. Was bedeutete, daß sich der Zwei-Meter-Mann auf allen Vieren zwischen den anderen Touristen fortbewegen mußte. Die Außengänge der übrigen Etagen bin ich dann allein abgelaufen.

Inzwischen leide ich selbst unter Höhenangst. Es kostete mich also ein wenig Überwindung, den Gang in den Turm und hinauf anzutreten. ich tat es für die Familie. Oben ging es dann auch leidlich. Ich wagte sogar einen kurzen Blick über die Brüstung. Das letzte Wegstück aber, über eine steile, schmale Treppe in den Glockenturm, ersparte ich mir und überließ es den Jungen.

(Foto: Leo Wehrli, 1931, aus der Sammlung der ETH-Bibliothek)

Was ich bislang nicht wußte:  Zwölf Jahre nach der Grundsteinlegung begann der zu diesem Zeitpunkt dreistöckige Turm 1185 abzusacken. Wikipedia schreibt:

„Daraufhin ruhte der Bau rund 100 Jahre.“

Aus damaliger Sicht wurde das Großprojekt also abgebrochen. Aus heutiger: unterbrochen. Denn nach hundert Jahren ging es weiter mit den Etagen 4 bis 7. Danach gab es nochmal eine lange Zwangspause, bis im Jahr 1372 auch die Glockenstube fertig war.

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