Verschwitzt aus der Bahn,
Dumpfhirn sucht Heil im Kühlen:
Kopfüber ins Bier.
Verschwitzt aus der Bahn,
Dumpfhirn sucht Heil im Kühlen:
Kopfüber ins Bier.
Der U-Bahnhof Bismarckstraße, den ich fast täglich zum Umsteigen nutze, wird seit vielen Jahren umgebaut. Eigentlich sollte er im Herbst 2018 fertig sein. Das erschien mir bei Baubeginn noch sehr weit weg. Es gab Schautafeln, die anzeigten, wie der renovierte Bahnhof einmal aussehen soll, versehen mit der Behauptung: „Das Warten lohnt sich.“
Der angepeilte Fertigstellungs-Termin verschwindet nun kontinuierlich in der Vergangenheit. Zwar wurden zwischenzeitlich an vielen Stellen sehr geschmackvolle meeresgrüne und weinrote Kacheln angebracht, aber es gibt auch noch reichlich nacktes Mauerwerk und lose Kabel. Die Schautafeln mit der schönen Aussicht sind weg. Das Warten geht weiter.
Und geht auf die Nerven. Einmal erlebte ich einen dunkelhaarigen, bärtigen Mann auf dem Bahnsteig. Er schrie „Idioten! Ihr Idioten!“ Dann zu uns, den Wartenden, gewendet: „Nein, nicht ihr. Sondern die, die das hier nicht fertig kriegen, den Scheiß-Bahnhof. Die Kacheln hier und den Kabelsalat.“ Dann entfernte er sich und noch von weitem hörte ich ihn immer wieder „Idioten!“ rufen
Ich konnte seine Aggressivität verstehen. Bestimmt gibt es Gründe für die Verzögerung der Arbeiten. So eine Stadt mit so viel alter Bausubstanz und gewaltiger Infrastruktur ist ja auch ein schwer in den Griff zu kriegender Apparat. Aggressiv macht diese neverending Baustelle trotzdem. Auch ich könnte manchmal darob schreien. Wenn ich denn könnte.
Beim Umsteigen entdeckte ich jetzt auf einer der noch unfertigen Stellen des Bahnhofs diesen Trialog hier:
Er bringt nicht nur die Zumutung unter der Bismarckstraße, sondern eigentlich unser komplettes, agenda-getriebenes Dasein sehr knapp auf den Punkt. Die elliptische und dadurch leicht ermattet wirkende Frage „Wann fertig?“ stellt sich unsereinem tausend Mal am Tag, auch in der Nacht. Die Antwort oszilliert je nach Stimmung zwischen „Morgen!“ und „Nie“.
Vielleicht nicht der, aber ein Sinn des Lebens, dachte es kürzlich in mir, ist möglicherweise:
der Sinnlosigkeit den Unsinn entgegensetzen.
Unsinn im Sinne von:
Umgehung zwangsläufiger Logik,
Befreiung aus der Erwartbarkeit der real existierenden Realität,
Vermeidung unnötigen Ernstes,
Erweiterung des Bewußtseins und Aufhebung der Schwerkraft mit den Mitteln der Komik.
So ungefähr.
In der Pubertät fanden Freund Alexander und ich Gefallen daran, uns Wörter auszudenken, die es noch nicht gab. Sie sollten nichts bezeichnen, sondern schlicht durch Klang erfreuen und erheitern. Nämlich uns, die wir die selbst erfundenen Wörter immer wieder aussprachen, um uns danach zuverlässig über sie zu bepissen. An eins kann ich mich noch erinnern. Jetzt möchte ich es entlassen, aus unseren Kinderzimmern in die Weltöffentlichkeit. Nur um zu sehen, was passiert:
Möron.
Frau und Mann stehen morgens nebeneinander am Herd. Er macht Kakao für die Kinder, sie Rührei. Der Mann legt den Arm um die Frau.
Er: „Das ist Ehe.“
Sie: „Das ist eng.“
Es regnete in Hamburg.
War ja klar.
Und ich mal wieder: weder Schirm noch Kapuze.
Unterwegs in St. Georg,
Lange Reihe.
Und dort im Souterrain
ein Hutgeschäft
namens „Chapeau St. Georg“.
Ich trat ein und sah
einen Herrn im Sessel
mit Hut auf dem Kopf.
Er saß da und probierte,
wie er sich anfühlt, der Hut.
Dann stand er auf,
trat vor den Spiegel,
musterte sich,
ging ein paar Schritte,
dann wieder Sessel.
Die zweite Person im Raum
– hab ich sie schon erwähnt? – :
die Hutverkäuferin,
rote Haare, schön,
flamboyant sagt man wohl,
sie zeigte mir Hüte
mit gutem Gespür
dafür,
was mir passen könnte,
was zu mir passen könnte.
Ich trat vor den Spiegel
und dachte: Nicht schlecht,
eigentlich sogar gut,
der Hut,
aber ich kann ihn unmöglich tragen,
durch Kreuzberg laufen damit,
bin doch kein Künstler,
bin doch nicht Wiglaf Droste.
Der durfte das.
Künstler mit großem Kopf dürfen das.
Mit Hut durch Kreuzberg laufen,
die Jacke ausziehen,
sich hinsetzen,
den Hut noch auf dem Kopf,
wie selbstverständlich
bei Wiglaf Droste.
Bei mir aber nicht.
Das sagte ich der Verkäuferin.
Und sie blieb schön, freundlich und sagte:
Wie wärs denn mit einer Mütze?
Schauen Sie doch mal dahinten.
Das tat ich
und bediente mich.
Nahm eine vom Haken
in die Hand.
Die Schiebermütze sprach mich an:
Mein Name ist Stetson.
Darf ich mich setzen?
Sie durfte
und siehe da:
Sie paßte.
Wir fühlten uns sofort wohl mit einander.
Sie auf mir,
ich unter ihr.
Also schnurstracks zur Kasse.
Die Verkäuferin freute sich schön
und nannte den Preis.
Ich mußte kurz schlucken.
War ziemlich teuer.
Ein hübsches Sümmchen.
Aber es gab kein Zurück:
vor der schönen Verkäuferin,
dem feinen Herrn,
immer noch im Sessel,
aber mit anderem Hut auf dem Kopf.
Nein, es gab kein Zurück.
Und hab es nicht bereut seither.
Hab mich so oft gefreut seither.
Wenn ich aus dem Haus geh,
kurz bevor ich rausgeh:
Greif ich zur Mütze von Stetson
und frag sie: Willst du dich setzen?
*
Heute vor zwei Jahren starb Wiglaf Droste. Ihm, dem großen Hutträger, ist dieses Gedicht gewidmet. Das Foto zeigt ihn fidel rauchend im Bielefelder Crüwell-Tabakhaus.
Aus Gründen stehen Trauma-Anne, Bademeister Matthias und ich morgens immer noch regelmäßig am Stromkasten vor der „Bar Italia“, trinken Kaffee, plaudern und spotten trucks. Wir haben gerade eine sehr erfolgreiche Phase. Nach Lastwagen der Speditionen
„Schlau“
und
„Schnell“
registrierten wir jetzt auch ein Fahrzeug der Firma
„Streng“.
Immer wieder mal vorbei kommen auch Trucks der Firma
„Sackmann“,
die nur noch wohlklingender wäre, hieße sie
„Sackmann und Söhne“.
Als die Kollegen Claudius Hagemeister, Robin Rudolph und ich vor vielen Jahren über die Gründung einer Lesebühne in Kreuzberg nachdachten, schlug ich als Namen
„Elend und Söhne“
vor. Pate dafür stand Egon Elend. der frühere Gärtner der Friedhöfe an der Bergmannstraße. Dann aber entschieden wir uns für „Menschen auf Stühlen“. Das nur zwischendurch und nebenbei.
Weitere schöne Erfolge des Truckspottings in den vergangenen Wochen:
„König-Trans“
und ein Fuhrunternehmen, das gold auf grün
„Göttlich“
auf seine Lastwagen schreiben darf, was mich schon allein deshalb mit wärmsten Gefühlen durchflutet, weil ich im Bonner „Café Göttlich“ gleich gegenüber der Universität einen Großteil meiner Studienzeit verbracht habe. Tempi et loci passati. Das nur nebenbei und zwischendurch.
Zum Schluß sei noch ein form- und farbschön beschrifteter Lastwagen dokumentiert, den Trauma-Anne am Mehringdamm geistesgegenwärtig mit ihrem Handy aus der Hüfte fotografierte.
Schon elf Jahres ist es her, daß Thomas Kapielski das hier in sein Buch „Mischwald“ (S. 298) schrieb:
„Das Internet zum Beispiel: Was hier bisweilen für eine dumpfe Wut und Mordgier neben schierem Querulantentum und ödester oder gruseliger Geilheit sich schadenfroh und verdeckt austobt, ist subanimalste (vulgo humane) Niedertracht vermittelst Hochtechnik.“
Was zum Zeitpunkt der Niederschrift vielleicht nur andeutungsweise erkennbar war, hat sich bis heute exponentiell verschärft. Eine Entwicklung, die der olle, aber schlaue Kapielski früh schon wahrsagerisch witterte, nicht twitterte. Aufgehoben ist diese Prophetie in einem schönen Buch, das so grün ist wie die Blätter der Kastanie vor unserem Haus genau jetzt. Hab Buch und Baum gerade noch verglichen.
Beim Spaziergang durch Kreuzberg: Diverse der auch hier nicht mehr seltenen SUV (Porsche, Audi, Volvo, Tesla, Mercedes) blockieren jeweils mindestens eineinhalb Parklücken. Mir fiel eine prophetische Zeile ein aus dem Lied „Kosmetik (Ich bin das Glück dieser Erde)“, 1980 gesungen von Joachim Witt:
„Ich träume von Autos
Die so groß sind wie Panzer
Innen aus Gold und außen ganz wie ein Kanzler.“
Heute gibt es sie, die panzergroßen Autos, und sie werden immer mehr. Am Steuer sitzen übermenschliche high performer, denn: Sie haben das Recht dazu.
Vor zehn Jahren hat die tolle Sängerin Lisa Bassenge den Song interpretiert. Er ist zu finden auf dem überhaupt sehr guten Album „Nur fort“ und als Live-Version hier:
Als ich die Klassenarbeit der Tochter (kürzlich noch known as Töchterchen) über Friedrich Schillers Ballade „Der Handschuh“ las, stieß ich auf den Satz:
„Aber im entefeckt hat er es heil überstanden und hat Fräulein Kunigund gezeigt, das er so eine Frau nicht möchte.“
Nachdem ich mich zu Ende gefreut hatte über die kreative Schreibweise, fiel mir auf, daß ich der Formulierung „im Endeffekt“ lange nicht begegnet war. Sie scheint ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Früher war sie untrügliches Erkennungszeichen für Menschen ohne Gefühl für Sprache. Im Umlauf befanden sich zeitgleich auch die nicht ganz so schlimmen Synonyme „schlußendlich“ und „letztendlich“, merkwürdigerweise alles so Doppelmoppel-Konstruktionen.
Heute aber sind sie weitgehend verschwunden zugunsten der Wendung „am Ende des Tages“, die ja letztlich nichts anders bedeutet als „letztlich“. Aber das ist den high performern natürlich zu schlicht, schlicht nicht wichtigtuerisch genug. Sollen sie reden, wie sie wollen oder müssen in ihren Kreisen. Im entefeckt verraten sie sich selbst.