Alle Beiträge von Sankt Neff

Neulich in Kreuzberg (12)

Feiertags morgens beim Bäcker: Kleiner Junge, etwas  größere Schwester und kleiner Hund an der Leine betreten den Laden. Das Mädchen kramt einen Zettel mit der Brötchen-Bestellung hervor und sagt, bevor es an die Theke tritt, in sehr betimmtem Ton zum Bruder:

„Karl Hugo, halt mal Gecko fest!“

Neulich in Kreuzberg (11)

Glücklich schätze sich, wer Zeit hat, nachmittags das Kino zu besuchen, die NACHMITTAGSVORSTELLUNG.

So neulich ich. „Andrea lässt sich scheiden“ wollte ich sehen und stand an der Kasse des Yorck-Kinos – zusammen mit sehr vielen älteren bis alten Menschen, die allerdings wegen eines anderen, fast gleichzeitig im großen Saal startenden Films gekommen waren. So auch die vor mir stehende ältere bis alte Dame:

„Einmal ´Sterben´, bitte.“

„Das macht 15 Euro.“

„15 Euro? Ist das mit Aufpreis?“

„Ja, ´Sterben´ hat Überlänge.“

Lektionen (9)

„Hab kein Ziel im Leben. Spazier einfach los, und sei fröhlich.“

(Daniel Libeskind, Was ich gern früher gewusst hätte)

*

Heimatgedicht

 

Ich gehe spaziern auf der Erdoberfläche

und schaue ins Weltall hinaus.

Und wenn ich mir dabei Gedichte vorspreche,

dann fühl ich mich fast wie zuhaus.

Infantilhumor

Weiter unten habe ich beschrieben, daß ich bestimmten Formen des Infantilhumors, die andere nur albern finden, sehr zugeneigt bin.

Wenn Frau A. „Alexander Doofbrindt“ statt „Dobrindt“ sagt zum Beispiel oder wenn Politikern auf großen Plakaten Bärte angemalt werden oder Politikerinnen einzelne Zähne geschwärzt: Ich mags.

Für mich darf es sogar noch schlichter sein. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich am Biosupermarkt vorbeilaufe und wieder jemand Hand angelegt hat an die Tafel, um aus einem eh schon beknackten Brötchen-Namen einen noch beknackteren zu machen:

Ich mag die „Kackis“, denn Albernheit entlastet.

Nudeln für alle!

Früher, also weiter unten, habe ich hier schonmal beschrieben, warum ich, gründete ich eine Partei, mit dem Slogan

„Nudeln für alle!

in den Wahlkampf ziehen und damit vermutlich locker jede Fünf-Prozent-Hürde nehmen würde.

Relativ nah kommt dieser Idee jetzt eine der zur Europa-Wahl antretenden Parteien, die auf ihre Plakate

„Für mehr Eis“

geschrieben hat. Im Kleingedruckten ist der klimapolitische Hintersinn dieses Slogans formuliert. Den hat meiner nicht. Dafür steht

„Nudeln für alle!“

für Lebensfreude, Gleichheit, Gerechtigkeit. Und diese Werte sind ja auch ein bißchen was wert. Finde ich.

Nicht mehr zwanglos

Jetzt, wo er offenbar für immer geschlossen hat, bin ich umso froher, daß ich dem Kreuzberger Swingerclub „Zwanglos III“ schon vor Jahren ein lyrisches Denkmal gesetzt habe. Als wir hierher zogen, hieß er noch „Zwielicht III“, wechselte dann irgendwann diskret den Namen. Jahrelang spazierten wir an ihm vorbei, versuchten uns vorzustellen, was in diesem Ecklokal wohl vor sich ging. So ganz genau aber wollten wir es auch wieder nicht wissen. Die permanente Anwesenheit dieser Institution hielten wir für eine Selbstverständlichkeit. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Zwangloses Gedicht

 

Warum heißt der Swingerclub da vorne „Zwanglos III“

und nicht einfach „Zwanglos“ oder eben „Zwanglos II“?

Gibt es wirklich drei von dieser Sorte in der Stadt,

weil das Swingerpärchen nunmal gerne Auswahl hat?

Gehn wir heut ins „Zwanglos“ oder lieber „Zwanglos II“?

Keins von beiden, diesmal feiern wir im „Zwanglos III“.

Denn dort soll es noch ein bißchen geiler sein als im

„Zwanglos“ und im „Zwanglos II“, sagen Tim und Kim.

Tim und Kim sind regelmäßig Gast im „Zwanglos III“,

Früher gingen sie ins „Zwanglos“, dann ins „Zwanglos II“,

jetzt nur noch ins „Zwanglos III“. Auch heute sind sie hier.

Tim und Kim und ich und du – das macht doch schonmal vier.

Wichtig ist das Swinger-Motto „Alles kann, nichts muß.“

Wenn die Kim, was selten ist, nicht will, ist eben Schluß.

Ab und zu, ganz selten, nämlich sagt auch Kim mal „Nee.“

Läßt den Dark Room Dark Room sein, ißt Spargel am Buffet.

Spargel am Buffet, ganz zwanglos, freier noch als frei

geht es zu im Swingerclub da vorne: „Zwanglos III“.

Zementmischer (19)

Wenn der Familienausflug aufs Land eh schon einigermaßen idyllisch anmutet, du dann aber zu allem Überfluß noch zufällig dieses heiligmäßige Dreigestirn aus Zementmischer, pittoresker Tonne und schwarzweißer Katze (hinten links neben den Steinen) passierst,dann, ja dann, solltest du zumindest ein klein wenig dankbar sein für die Epiphanien des Sonntags.

Eine ähnlich umwerfende Manifestation des Fastgöttlichen fotografierte Freund Andreas früh im Frühling in der Eifel. In diesem Fall sind Birke, Katze und Kirche trinitatisch vereint:

Kühe (7)

Am 2. Juli 1874 befindet sich Gustave Flaubert am Rigi in der Schweiz, dessen Besteigung Mark Twain einige Jahre später sehr komisch beschreiben wird. Flaubert mag die Alpen nicht, ist genervt von den anderen, „mit  Spazierstöcken und Fernrohren“ ausgerüsteten Reisenden, langweilt sich „auf gigantische Weise“.  Und so schreibt er an Iwan Turgenjew:

„Gestern war ich versucht, aus menschlichem Gefühl und Mitteilungsbedürfnis drei Kälber zu umarmen, die ich auf einer Weide traf.“

Wiglafs Wigwam (12)

Heute vor fünf Jahren starb Wiglaf Droste. In der Edition Tiamat ist gerade eine sehr lesenswerte Biographie von Christof Meueler erschienen: „Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste“. Darin kommen viele seiner Freundinnen und Weggefährten zu Wort. So entsteht das angemessen ungeschönte Bild eines nicht sehr langen, aber ziemlich prallen, auch widerspruchsreichen Lebens. Und auf Seite 198 fand ich ein  Zitat, das Drostes Lebensfreude, wenn nicht gar -gier großartig auf den Punkt bringt. Es stand auf dem Cover der ersten Ausgabe der auch hier schon gestreiften Zeitschrift „Häuptling Eigener Herd“:

„Miteinander plaudern, durcheinander trinken, aneinander vorbeireden, ineinander verkauen, durcheinander lachen, übereinander herfallen.“

Nochmal Sargnagel

2016 besuchte Stefanie Sargnagel im Auftrag der ´Zeit´ die Bayreuther Festspiele. In ihrem Text ging es nur am Rande um Oper und Musik. Im Zentrum ihres komischen Blicks standen die Begleitumstände: die Hinfälligkeit der Festival-Besucher, die in Krankenbetten auf den Grünen Hügel geschoben werden, die Brötchen- und Sekt-Exzesse am Buffet vor Opern-Beginn, die Nervosität ihres Feundes Martin Witzmann, der sie mit beruhigendem Hoden-Streicheln im Hotel-Aufzug begegnet.

Wie zu erwarten war, reagierten die Leserinnen und Leser empört. Wie zu erwarten war, drohten sie mit Abo-Kündigungen. Eine Auswahl der Reaktionen dokumentiert Stefanie Sargnagel in „Statusmeldungen“. Diese hier hat mich beschäftigt:

„Der Artikel von Frau Sargnagel über Bayreuth war für mich der absolute Tiefpunkt an Niveau- und Geschmacklosigkeit.“

Müßte es nicht eigentlich „der absolute Höhepunkt an Niveau- und Geschmacklosigkeit“ heißen? Das will ich meinen, denn: Wenn Niveau- und Geschmacklosigkeit auf dem Tiefpunkt sind, wäre das doch etwas Gutes. Und so hat es die empörte Stimme sicher nicht gemeint.