Da bist du im Kino und weißt neben dir im Dunkeln deine Frau, bist absorbiert vom Spiel des Lichts auf der Leinwand, bis du unvermittelt einen Hauch spürst an deinem rechten Ohr, einen Hauch, der sich in drei unerhört schlichtschöne Wörter wandelt: Sei mir gut.
Defekt (4)
In diesem Fall ist nicht nur die Kaffemaschine in der Kantine defekt, sondern auch die Orthographie: zwei Wörter, zwei Fehler. Worüber ich mich keineswegs lustig machen will. Im Gegenteil, ich finde die Kombination aus Rechtschreibschwäche, Mädchenschrift und dem Bemühen um gehobene Ausdrucksweise („defekt“ statt „kaputt“ oder „geht nicht“) ausgesprochen niedlich.
Hier und da
Der olle Kapielski, dessen Bücher ich wieder und wieder lesen kann, vor allem wenn mir die Lust auf Romangedöns wie Handlung, Beschreibung und Dialog fehlt, der olle Kapielski also hat in „Mischwald“ (S. 121) die Ambivalenz vons Janze vortrefflich auf den Strichpunkt gebracht:
„Das Dasein ist ja doch sehr interessant und unbegreiflich schön; wenn nur das schnöde Hiersein nicht wäre.“
*
Sehr interessant und unbegreiflich schön aber auch die noch lakonischere Zusammenfassung des Dahierseins, die mir Freund Andreas elektropostalisch zukommen ließ:
„Das Hiersodaseinso immer. Tz.“
*
Hintanstellen möchte ich mich mit einem Zweizeiler namens „Daseinsfreude“:
Und wenn ich schon mal hier bin: so in die Welt geworfen,
erfreu ich mich: zum Beispiel der Schönheit des Amorphen.
Lehrstunde beim Laufen
Mit einem Anflug von Hochmut
zieh ich locker vorbei
an dem langsamen Läufer
zu meiner Linken.
Im selben Moment
zu meiner Rechten
ein sehr schneller Läufer,
der locker vorbeizieht – und mich lehrreich zurückläßt:
mit einem Anflug von Demut.
Das schlafende Kind
In dem überhaupt ziemlich guten Roman „Die Glücklichen“ bringt Kristine Bilkau ziemlich gut ein Phänomen auf den Punkt, das den meisten Eltern kleiner Kinder vertraut sein dürfte:
„Das schlafende Kind gibt seine Schönheit ganz und gar preis. Es fordert nichts, es will nicht gefüttert, gewickelt oder unterhalten werden, es läuft nicht davon, kann sich nicht wehtun und weint nicht, es kann nicht stürzen und nichts umreißen, das Kind kommt nicht auf komische Ideen, schreit nicht und sträubt sich nicht, auch sein Wille schläft. Während sie Matti so betrachtet, öffnet sich etwas in ihr, nichts stört dieses Gefühl von Liebe. Wie eingezwängt das Gefühl im Alltag doch ist, erdrückt zwischen den unzähligen Handgriffen, dem Aufpassen und in Stellung sein. Doch während der Schlafstille kommt das Gefühl in seiner ganzen Größe zum Vorschein, es kann weiter anwachsen, nichts stört. Sie drückt ihre Nase an seine Wange.“ (S. 252 f.)
*
Die Konfrontation mit dem schlafenden Kind – vor ein paar Jahren habe ich versucht, sie als „Mutprobe“ zu beschreiben:
Geh nachts nochmal rüber,
schalte das Licht an im Flur,
schleich in das halbdunkle Zimmer
und schau, wie es daliegt,
dein Kind,
daliegt und atmet,
schau auf seine geschlossenen Lider
und versuche sie auszuhalten,
diese unerträgliche Zartheit.
Liegen lernen (2)
Das vielbeschworene GUTE BUCH!
Es will und soll gelesen werden. In aller Ruhe, im Liegen, mit aller Zeit der Welt für viele, viele Seiten.
Andererseits aber sind da gleich zu Beginn auch viele, viele Namen. Fremde Namen, die auseinanderzuhalten nicht immer einfach ist, ein bißchen anstrengend, wenn nicht gar sanft ermüdend. Es spricht doch eigentlich auch nichts dagegen, denkt sich der Mann, der Jörg heißt, auf dem Bild, das nicht gestellt ist, schon leicht verlangsamt, es spricht doch eigentlich auch nichts dagegen, erst ein bißchen zu dösen und dann später mit neuer Kraft und frischer Konzentrationsfähigkeit…
Was schön ist (4)
Da radelst du am Kanal entlang, den Ipod in der Jackentasche, die Kopfhörer im Ohr und die Musik genau richtig laut: nämlich so, daß du einerseits das verheißungsvolle Intro von Björks Lied „Jóga“, andererseits aber auch noch hören kannst, wie auf der Wiese die Krähen krähen. Kultur und Natur mischen ihre Klänge in deinem Kopf völlig organisch und wie geprobt: Die Vögel verstummen exakt in dem Moment, in dem die Sängerin zu singen beginnt.
Ein Ende finden
Heute mal eine Plauderei aus dem Nähkästchen des Sohns einer Schneiderin.
Über Wochen bemühte ich mich, eine kleine Beobachtung aus dem sommerlichen Süd-Brandenburg in Form zu bringen:
Ich laufe in sonntäglicher Ruhe an einem kleinen Hof zwischen Klausdorf und Sperenberg vorbei, wo lauthalsige Radio-Musik die Gänse bedudelt: „Club Tropicana“ von Wham.
Nach einigen Tagen vergeblicher Versuche, verwarf ich das Haiku als geeignete Form und verlegte mich auf vierhebige Verse mit Paarreimen. Das flutschte dann auch gut und recht schnell waren sechs Strophen verfertigt:
Club Tropicana
Ist Sonntag und die Welt liegt still,
so still wie ich sie haben will.
Ich laufe leichthin übers Feld
und freue mich der stillen Welt.
Erst übers Feld, dann durch den Wald
zu einem Hof. Und dort beschallt
ein Lautsprecher den Gänsestall:
George Michael singt, es weht der Schall
„Club Tropicana“ übers Land.
Die Gänse wiegen sich charmant.
Ich höre lang noch, wie es schwingt
– bis wieder Stille um mich klingt.
So weit, so gut. Allein: Die letzte Strophe hinterließ ein zwar nur latentes, aber doch konstantes Unbehagen und Mißfallen. Im Laufe der nächsten Tage entstanden deshalb zehn Varianten des Schlusses:
Variante 1
Das Lied begleitet mich ein Stück,
dann kehrt die Stille still zurück.
Variante 2
Das Lied begleitet mich ein Stück
– Fade out: Die Stille kehrt zurück.
Variante 3
Im Gehen langsames Fade out,
dann wird die Stille wieder laut.
Variante 4
Ich nehm das Lied ein Stückchen mit,
dann wieder Stille Schritt für Schritt.
Variante 5
Das Lied wird leiser Schritt für Schritt,
dann läuft die Stille wieder mit.
Variante 6
Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,
dann siegt die Stille Schritt für Schritt.
Variante 7
Ein Stückchen läuft das Lied noch mit,
dann schwillt die Stille Schritt für Schritt.
Variante 8
Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,
dann wird es stiller Schritt für Schritt.
Variante 9
Das Lied läuft noch ein Weilchen mit,
dann still und stiller Schritt für Schritt.
Variante 10
Das Lied wird leiser mit der Zeit,
dann macht sich wieder Stille breit.
Bis ich mich letztlich entschied aus einer Schluß-Strophe zwei zu machen. Und also zufrieden war:
Club Tropicana
Ist Sonntag und die Welt liegt still,
so still wie ich sie haben will.
Ich laufe leichthin übers Feld
und freue mich der stillen Welt.
Erst übers Feld, dann durch den Wald
zu einem Hof. Und dort beschallt
ein Lautsprecher den Gänsestall:
George Michael singt, es weht der Schall
„Club Tropicana“ übers Land.
Die Gänse wiegen sich charmant.
Das Lied läuft noch ein Stückchen mit,
wird langsam leiser Schritt für Schritt.
Ein sehr allmähliches Fade out:
Kein schöner Land ganz ohne Laut.
20 Uhr 18
Meine Armbanduhr hat den Geist aufgegeben. Um Geld zu sparen und mich dem Diktat der Zeiteinteilung zu entziehen, habe ich mich gegen den Kauf einer teuren neuen entschieden. Stattdessen werde ich mir kostengünstig meine Lieblings-Uhrzeit auf das Handgelenk tätowieren lassen.