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Seltene Momente (4)

Neulich morgens nach langer Zeit mal wieder so ein seltener Moment: Vor dem Kiosk zähle ich mein vielmünziges Kleingeld und komme auf exakt 2 Euro 40. Was mich sehr erfreut, denn genau so viel kostet zur Zeit der ´Tagesspiegel´, den zu kaufen ich gerade im Begriff bin. Die Zeitung also raus aus dem Ständer und rein damit in den Laden, um zu bezahlen: „Ich hoffe, es stimmt.“ Die Verkäuferin zählt nach und  schaut einen Augenblick lang unentschlossen. Vermutlich überlegt sie, ob sie mir die Wahrheit sagen soll. Denn: Es fehlt ein Cent. Ich habe mich verzählt. Die Verkäuferin aber erläßt ihn mir. Kwasi Glückscent.

Sein Freund, der Ball

Daß der Ball Beckenbauers Freund war, ist bei jedem Blick auf ihn als Spieler offenkundig. Auch in späteren Jahren, nach seiner aktiven Zeit, war es innig, das Verhältnis zwischen Ball und Beckenbauer.  Beckenbauer am Ball – das sah immer elegant aus.

Da aber alles, alles vorbei geht, endete auch das. Im Zuge meiner intensiven Trauerarbeit stieß ich auf ein Video, das  Franz Beckenbauer im Mai 2021 auf seinem Balkon in Salzburg zeigt. Er spielt mit Hündin Frida, versucht einen Ball für sie zu schießen, was ihm erst im zweiten Versuch gelingt, dann aber immerhin mit dem Außenrist. Sei er auch noch so gezeichnet, drunter macht er es nicht:

Beckenbauer und Schopenhauer

Heute vor einer Woche starb Franz Beckenbauer, natürlich an einem Sonntag, denn er war, so sagte er selbst, ein Mensch, „in dem alle Sonntage vereint sind“.

Montags dann kursierte die Nachricht und traf mich – wie viele, die wesentliche Teile ihres Lebens mit ihm als Fußball-Spieler, Fußball-Trainer, Fußball-Funktionär und  Fußball-Schwadroneur zugebracht haben.

Seither habe ich viel gelesen und gesehen und versucht zu ermessen, was der Beckenbauerfranz nun für einer war. Als fußballspielender Junge habe  ich ihn – wie viele –  bewundert, mich später, als adoleszenter Schnösel – wie viele –  über ihn und sein Schwadronieren lustig gemacht.

Rückblickend und sub specie aeternitatis glaube ich, daß die vielen recht haben, die ihn als Libero wie als Trainer und Impressario für überlebensgroß, für eine Lichtgestalt halten, denn wo er war, war Leichtigkeit und Leichtsinn, gute Laune und Erfolg. Schon fast heiligmäßig, wie ausnahmslos gut die über ihn sprechen, die ihn persönlich kannten. Und traurig zu sehen, wie Schicksalsschläge und Krankheiten schließlich auch eine scheinbar unangreifbare Lichtgestalt erlöschen lassen.

Die Mittwochsausgabe der ´Süddeutschen´ war bei aller Traurigkeit ein Quell der Freude: kluge Beckenbauer-Exegese zog sich durch alle Ressorts. Ich freute mich über Fotosund über Zitate, die mir zeigten, daß Beckenbauer zwar einerseits ein hemmungsloser Vielschwätzer sein konnte, anderseits aber auch ein wirklich witziger Mann mit originellem Blick auf sich und die Welt. Sehr lachen mußte ich zum Beispiel über eine Anekdote, die Rudi Völler von der WM 1990 erzählt. Nach einer Halbzeit, in der Klinsman neben sich stand, soll Beckenbauer als Trainer an seine Spieler appeliert haben:

„Nicht zum Jürgen passen, der spielt heute gegen uns.“

Er war, ja, gut, sicherlich, ein großer Freund der Fußballfloskel, konnte aus Floskeln aber auch die Luft raus lassen. Auf die Frage, wie er als Trainer mit Druck umgehe, antwortete er:

„Ich lass ihn hinten raus.“

Manche Formulierungen Beckenbauers sind so auf den Punkt, so pointiert, als habe sie Gerhard Polt einer seiner Figuren in den Mund gelegt, zum Beispiel der zweite Satz dieser Selbstaussage hier:

„Ich mache ja nur deshalb seit 33 Jahren Fußball, weil ich nichts anderes kann. Wenn ich zum Beispiel einen Schopenhauer lese – ich verstehe ihn nicht.“

Was also soll kann ich sagen? Wenn ich an Franz Beckenbauer denke, dann freu ich mich an einer doch ziemlich hellen, leuchtenden, erleuchteten Gestalt, die nun, es tut ein bißchen weh, der Vergangenheit angehört.

Zementmischer (16)

Silvia Tritto schickt mir aus dem Urlaub im Aosta-Tal dieses schicke Fundstück hier:Der Zementmischer steht vielleicht auch deshalb unterm Dach, weil es draußen ganz schön verschneit ist:Kurioserweise habe auch ich mich in der Weihnachtszeit im Aosta-Tal aufgehalten. Bei der oft mühseligen Suche nach Schaubarem stieß ich auf Netflix auf einen extrem empfehlenswerten Spielfilm, der zu weiten Teilen im Aosta-Tal spielt:

„Le Otto Montagne“ gibt es natürlich auch mit deutschen Untertiteln oder synchronisiert. Silvia zu Ehren aber habe ich hier den italienischen Original-Trailer ausgesucht. Der Film erzählt von der Freundschaft zweier Jungen – dann Männer – über mehrere Jahrzehnte hinweg, lakonisch und in schöner Langsamkeit. Nach zweieinhalb Stunden ließ er mich zugleich traurig und glücklich zurück – und so beeindruckt, daß ich ihn wenige Tage später gemeinsam mit Frau A. gleich noch einmal schaute.

Als Silvia mir ihre schicke Betoniera schickte, revanchierte ich mich mit dieser Film-Empfehlung. Die aber Eulen ins Aosta-Tal trug. Denn wie sich herausstellte, hat Silvia die „Acht Berge“ schon mehrfach gesehen. Es ist ihr Lieblingsfilm. Wundervoll, wie sich mitunter alles zu allem fügt.

Platz für Notizen

Ich mochte immer den „Raum für persönliche Notizen“, hinten in den kleinformatigen Taschenkalendern, die wir früher in der Rosen-Apotheke geschenkt bekamen. Vermutlich habe ich auf diesen leeren Seiten nie etwas notiert, aber möglich gewesen wäre es. Und ich mochte eben die Möglichkeit.

Daran muße ich denken, als ich vor einigen Tagen in der ´Süddeutschen´ diese Todesanzeige hier entdeckte:Was mag der Grund gewesen sein für diese ungewöhnliche Gestaltung? Frau A. vermutet, die Freunde und Begleiter hätten nichts Freundliches zu sagen gewußt. Das glaube ich nicht. Sondern vielmehr, daß der Kameramann und Flaneur auch ein Mann mit Humor gewesen ist, der in der Bekanntmachung seines Todes nichts Besinnliches, Eitles, Hohles sehen wollte und sich die Anzeige deshalb genau so gewünscht hat – ein letzter Witz sozusagen. Vielleicht aber verhält es sich ganz anders mit dieser sehr speziellen Todesanzeige. Auch diese Möglichkeit mag ich.

Auch du!

Auf dem Weihnachtsmarkt in Schmerwitz freue ich mich zunächst zu lesen, daß auch ich aus wunderschönen kleinen Detail´s bestehe. Dann aber frage ich mich: Wieso glaubt man hier, mir das bestätigen zu müssen? Hernach beschließe ich weihnachtlich gestimmt, den Sinnspruch nicht als perönliche Beleidigung aufzufassen. Denn schließlich steht dort nicht:

Jeder Mensch

besteht aus

WUNDERSCHÖNEN

Kleinen

DETAIL´S

selbst Du!

Wieder in Wien (6)

Ich will nicht angeben. Aber ich muß.

Denn eine höhere Macht befahl mir, von dem Ereignis zu berichten, dessentwegen ich von einem Tag auf den anderen wieder nach Wien reisen mußte.

Vor zwei Jahren lernte ich im Wiener Café Weimar den österreichischen Fotografen Sepp Dreissinger kennen, der von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek und Stefanie Sargnagel viele berühmte Landsleute porträtiert hat. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, für sein neues Buch mit gesammelten Porträts einen Text beizusteuern. Hatte ich natürlich. Erst schrieb ich einen über Josef Hader. Der aber wollte dem Sepp Dreissinger nicht so recht passen. Dann schrieb ich einen zu einem Portät von Harry Rowohlt. Der war recht.

Im November war es dann so weit: Das prachtvolle Buch konnte nach längerem Hin und Her erscheinen, und Sepp Dreissinger kündigte mir in einer Email by the way an, am 30. November gebe es im Wiener Café Prückel eine Buchpremiere

“mit ihrem Text (gelesen von klaus maria brandauer!)“

Hatte ich richtig gelesen? Ich war mir nicht sicher.  Und fragte sicherheitshalber nochmal nach.

„genauso ist es! der brandauer, das hat er mir heute bestätigt, wird auch ihren text lesen! er freut sich schon drauf! also dann, auf nach wien …“

Auf nach Wien, wo ich im Theater unterm Café Prückel einen – zumindest für mich – denkwürdigen Abend erleben durfte mit Auftritten von Stefanie Sargnagel, Anne Bennent, Otto Lechner, Al Cook und eben Klaus Maria Brandauer:

Auch bei der Aftershow kam es noch zu eindrucksvollen  Szenen. Hier balanciert Anne Bennent das ganz schön schwere Buch von Sepp Dreissinger:Hier läßt sich der stolze Autor mit dem freundlicherweise zu allem bereiten Schauspieler fotografieren:Hier hat der stolze Autor einen ersten Blick in das ganz schön dicke Buch geworfen:Und hier könnt auch Ihr es bestellen:

„365 Portaits“ von Sepp Dreissinger

Jedenfalls: Mein sechster und kürzester Aufenthalt in Wien: Ab sofort unvergesslich!

Wieder in Wien (5)

Das Hochgefühl, wieder in Wien sein zu dürfen, nur getrübt von der Erkenntnis, daß das Hotel Drei Kronen in der Schleifmühlgasse vor kurzem geschlossen hat. Bei bisherigen Besuchen war es immer meine Homebase. Ich mochte den sehr verbindlichen Rezeptionisten, die Patina des Treppenhauses, die weitläufigen Etagen, den Frühstücksraum samt nicht so tollem Frühstück und vor allem natürlich die Lage zwischen Naschmarkt und Café Anzengruber. Schlimm, daß nichts für immer ist.

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In der Schleifmühlgasse sehe ich einen stämmigen, grauhaarigen Mann mit seiner Familie aus einem Geschäft treten. Auf der Straße zieht dieser keineswegs Heruntergekommene einen Flachmann aus der Tasche und nimmt einen Schluck. Sieht man heute auch nur noch selten.

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Beim Umdrehen nach einer schönen Wienerin auf dem Naschmarkt  fast in Hundescheiße getreten.

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Die Café-Buchhandlung „phil“ in der Gumpendorfer hat sich zur Laptop-freien Zone erklärt und empfiehlt ihren Gästen Gespräche und Lektüre.  Das tut dem Laden gut.  Er ist auch nicht mehr ganz so überfüllt. Selbst Nicht-Hipster wie ich finden einen Platz.

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Auf dem Weg zu der Veranstaltung, von der im nächsten Kapitel die Rede sein wird, im winterlich dunklen Wien vorbei an der festlich beleuchteten Staatsoper. Neben mir ein junger Mann, der zu seinen Begleitern sagt:

„Respekt für die Eisdiele, daß sie immer noch auf hat.“

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Am nächsten Morgen schön verkatert wieder im Café Sperl und wieder neben dem Billiardtisch, auf dem eine großzügige Auswahl an Zeitungen ausliegt.  Eine Plakette sagt mir, daß dieser Tisch einst gefertigt wurde von der

KAIS. u. KÖN. HOF-BILLIARD-FABRIK

SEIFERT & SÖHNE

Wundervoll, daß es sowas mal gab.

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In der Albertina Modern stelle ich fest: Ich mag die Farben auf den Gemälden von Maria Lassnig. Ich höre einen Museumswärter, der sich mit einer Kollegin unterhält und seine Aussage abrundet mit einem gedankenvoll wienerischen

„Von dem her…“

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Beim Bagelessen im „Blueorange“ schnappe ich noch eine wertvolle österreichische Formulierung auf. Der junge Mann, der sein weibliches Gegenüber volltextet, sagt:

„Ich habe ur-schlecht geschlafen.“

Wieder in Wien (4)

Da landest du morgens um 8h15 in Schwechat, nimmst die Bahn, vorbei am Zentralfriedhof, bis zur Stadtmitte, wo du umsteigst in die U 4 Richtung Hüttelsdorf, darfst zum einen einer Wienerin lauschen, die im charmanstesten Wienerisch in ihr Handy parliert, sonst stört es dich, hier liebst du es, zum anderen der tiefhumanen Durchsage „Seien Sie achtsam: Andere brauchen Ihren Sitzplatz vielleicht notwendiger.“, steigst aus an der Kettenbrückengasse, spazierst über den noch menscheneeren Naschmarkt, biegst ab in die Girardigasse und betrittst in der Gumpendorfer Straße das Café Sperl, wo dich die Kellnerin wider Erwarten zuvorkommend behandelt, dir sogar einen Fensterplatz auf herrlich durchgesessenem Polster anbietet und später unaufgefordert einen zweiten Großen Braunen bringt, um dich dann beim Abräumen lächelnd zu fragen:

„Hats gepaßt?“

Was soll ich sagen?

Aber sowas von!Und ob!!Unbedingt!!!