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Zementmischer (16)

Silvia Tritto schickt mir aus dem Urlaub im Aosta-Tal dieses schicke Fundstück hier:Der Zementmischer steht vielleicht auch deshalb unterm Dach, weil es draußen ganz schön verschneit ist:Kurioserweise habe auch ich mich in der Weihnachtszeit im Aosta-Tal aufgehalten. Bei der oft mühseligen Suche nach Schaubarem stieß ich auf Netflix auf einen extrem empfehlenswerten Spielfilm, der zu weiten Teilen im Aosta-Tal spielt:

„Le Otto Montagne“ gibt es natürlich auch mit deutschen Untertiteln oder synchronisiert. Silvia zu Ehren aber habe ich hier den italienischen Original-Trailer ausgesucht. Der Film erzählt von der Freundschaft zweier Jungen – dann Männer – über mehrere Jahrzehnte hinweg, lakonisch und in schöner Langsamkeit. Nach zweieinhalb Stunden ließ er mich zugleich traurig und glücklich zurück – und so beeindruckt, daß ich ihn wenige Tage später gemeinsam mit Frau A. gleich noch einmal schaute.

Als Silvia mir ihre schicke Betoniera schickte, revanchierte ich mich mit dieser Film-Empfehlung. Die aber Eulen ins Aosta-Tal trug. Denn wie sich herausstellte, hat Silvia die „Acht Berge“ schon mehrfach gesehen. Es ist ihr Lieblingsfilm. Wundervoll, wie sich mitunter alles zu allem fügt.

Platz für Notizen

Ich mochte immer den „Raum für persönliche Notizen“, hinten in den kleinformatigen Taschenkalendern, die wir früher in der Rosen-Apotheke geschenkt bekamen. Vermutlich habe ich auf diesen leeren Seiten nie etwas notiert, aber möglich gewesen wäre es. Und ich mochte eben die Möglichkeit.

Daran muße ich denken, als ich vor einigen Tagen in der ´Süddeutschen´ diese Todesanzeige hier entdeckte:Was mag der Grund gewesen sein für diese ungewöhnliche Gestaltung? Frau A. vermutet, die Freunde und Begleiter hätten nichts Freundliches zu sagen gewußt. Das glaube ich nicht. Sondern vielmehr, daß der Kameramann und Flaneur auch ein Mann mit Humor gewesen ist, der in der Bekanntmachung seines Todes nichts Besinnliches, Eitles, Hohles sehen wollte und sich die Anzeige deshalb genau so gewünscht hat – ein letzter Witz sozusagen. Vielleicht aber verhält es sich ganz anders mit dieser sehr speziellen Todesanzeige. Auch diese Möglichkeit mag ich.

Auch du!

Auf dem Weihnachtsmarkt in Schmerwitz freue ich mich zunächst zu lesen, daß auch ich aus wunderschönen kleinen Detail´s bestehe. Dann aber frage ich mich: Wieso glaubt man hier, mir das bestätigen zu müssen? Hernach beschließe ich weihnachtlich gestimmt, den Sinnspruch nicht als perönliche Beleidigung aufzufassen. Denn schließlich steht dort nicht:

Jeder Mensch

besteht aus

WUNDERSCHÖNEN

Kleinen

DETAIL´S

selbst Du!

Wieder in Wien (6)

Ich will nicht angeben. Aber ich muß.

Denn eine höhere Macht befahl mir, von dem Ereignis zu berichten, dessentwegen ich von einem Tag auf den anderen wieder nach Wien reisen mußte.

Vor zwei Jahren lernte ich im Wiener Café Weimar den österreichischen Fotografen Sepp Dreissinger kennen, der von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek und Stefanie Sargnagel viele berühmte Landsleute porträtiert hat. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, für sein neues Buch mit gesammelten Porträts einen Text beizusteuern. Hatte ich natürlich. Erst schrieb ich einen über Josef Hader. Der aber wollte dem Sepp Dreissinger nicht so recht passen. Dann schrieb ich einen zu einem Portät von Harry Rowohlt. Der war recht.

Im November war es dann so weit: Das prachtvolle Buch konnte nach längerem Hin und Her erscheinen, und Sepp Dreissinger kündigte mir in einer Email by the way an, am 30. November gebe es im Wiener Café Prückel eine Buchpremiere

“mit ihrem Text (gelesen von klaus maria brandauer!)“

Hatte ich richtig gelesen? Ich war mir nicht sicher.  Und fragte sicherheitshalber nochmal nach.

„genauso ist es! der brandauer, das hat er mir heute bestätigt, wird auch ihren text lesen! er freut sich schon drauf! also dann, auf nach wien …“

Auf nach Wien, wo ich im Theater unterm Café Prückel einen – zumindest für mich – denkwürdigen Abend erleben durfte mit Auftritten von Stefanie Sargnagel, Anne Bennent, Otto Lechner, Al Cook und eben Klaus Maria Brandauer:

Auch bei der Aftershow kam es noch zu eindrucksvollen  Szenen. Hier balanciert Anne Bennent das ganz schön schwere Buch von Sepp Dreissinger:Hier läßt sich der stolze Autor mit dem freundlicherweise zu allem bereiten Schauspieler fotografieren:Hier hat der stolze Autor einen ersten Blick in das ganz schön dicke Buch geworfen:Und hier könnt auch Ihr es bestellen:

„365 Portaits“ von Sepp Dreissinger

Jedenfalls: Mein sechster und kürzester Aufenthalt in Wien: Ab sofort unvergesslich!

Wieder in Wien (5)

Das Hochgefühl, wieder in Wien sein zu dürfen, nur getrübt von der Erkenntnis, daß das Hotel Drei Kronen in der Schleifmühlgasse vor kurzem geschlossen hat. Bei bisherigen Besuchen war es immer meine Homebase. Ich mochte den sehr verbindlichen Rezeptionisten, die Patina des Treppenhauses, die weitläufigen Etagen, den Frühstücksraum samt nicht so tollem Frühstück und vor allem natürlich die Lage zwischen Naschmarkt und Café Anzengruber. Schlimm, daß nichts für immer ist.

*

In der Schleifmühlgasse sehe ich einen stämmigen, grauhaarigen Mann mit seiner Familie aus einem Geschäft treten. Auf der Straße zieht dieser keineswegs Heruntergekommene einen Flachmann aus der Tasche und nimmt einen Schluck. Sieht man heute auch nur noch selten.

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Beim Umdrehen nach einer schönen Wienerin auf dem Naschmarkt  fast in Hundescheiße getreten.

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Die Café-Buchhandlung „phil“ in der Gumpendorfer hat sich zur Laptop-freien Zone erklärt und empfiehlt ihren Gästen Gespräche und Lektüre.  Das tut dem Laden gut.  Er ist auch nicht mehr ganz so überfüllt. Selbst Nicht-Hipster wie ich finden einen Platz.

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Auf dem Weg zu der Veranstaltung, von der im nächsten Kapitel die Rede sein wird, im winterlich dunklen Wien vorbei an der festlich beleuchteten Staatsoper. Neben mir ein junger Mann, der zu seinen Begleitern sagt:

„Respekt für die Eisdiele, daß sie immer noch auf hat.“

*

Am nächsten Morgen schön verkatert wieder im Café Sperl und wieder neben dem Billiardtisch, auf dem eine großzügige Auswahl an Zeitungen ausliegt.  Eine Plakette sagt mir, daß dieser Tisch einst gefertigt wurde von der

KAIS. u. KÖN. HOF-BILLIARD-FABRIK

SEIFERT & SÖHNE

Wundervoll, daß es sowas mal gab.

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In der Albertina Modern stelle ich fest: Ich mag die Farben auf den Gemälden von Maria Lassnig. Ich höre einen Museumswärter, der sich mit einer Kollegin unterhält und seine Aussage abrundet mit einem gedankenvoll wienerischen

„Von dem her…“

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Beim Bagelessen im „Blueorange“ schnappe ich noch eine wertvolle österreichische Formulierung auf. Der junge Mann, der sein weibliches Gegenüber volltextet, sagt:

„Ich habe ur-schlecht geschlafen.“

Wieder in Wien (4)

Da landest du morgens um 8h15 in Schwechat, nimmst die Bahn, vorbei am Zentralfriedhof, bis zur Stadtmitte, wo du umsteigst in die U 4 Richtung Hüttelsdorf, darfst zum einen einer Wienerin lauschen, die im charmanstesten Wienerisch in ihr Handy parliert, sonst stört es dich, hier liebst du es, zum anderen der tiefhumanen Durchsage „Seien Sie achtsam: Andere brauchen Ihren Sitzplatz vielleicht notwendiger.“, steigst aus an der Kettenbrückengasse, spazierst über den noch menscheneeren Naschmarkt, biegst ab in die Girardigasse und betrittst in der Gumpendorfer Straße das Café Sperl, wo dich die Kellnerin wider Erwarten zuvorkommend behandelt, dir sogar einen Fensterplatz auf herrlich durchgesessenem Polster anbietet und später unaufgefordert einen zweiten Großen Braunen bringt, um dich dann beim Abräumen lächelnd zu fragen:

„Hats gepaßt?“

Was soll ich sagen?

Aber sowas von!Und ob!!Unbedingt!!!

Halluzinationen

Frau A. und ich litten und leiden unter den selben Halluzinationen zweierlei Art:

Früher, als die Kinder klein waren, glaubten wir, gelegentlich, vorzugsweise nachts,  sie schreien zu hören, obwohl sie es nicht taten. Akustische Halluzinationen also, die sich vermutlich mit unserer permanenten Alarmbereitschaft damals erklären lassen.

Jetzt leiden wir unter visuellen: Wir glauben den Kater im Raum zu sehen, vorzugsweise vorbeihuschend, obwohl er gerade ganz woanders ist. Dahinter steckt Katzen-Magie, ihre Fähigkeit, sich geräuschlos von A nach B zu bewegen, deshalb von uns oft unbemerkt. Was auch dazu führen kann, daß wir das arme Tier versehentlich im Schrank einsperren. Der Kater ist selten dort, wo man ihn vermutet.

Morgendlicher Dialog (2)

Vater weckt Tochter um  7 Uhr 30 so zart wie möglich:

Guten Morgen, Süße.

Ich wußte, Du würdst.

Bitte?

Ich wußte, Du würdst.

Beim zweiten Mal verstehe ich sie zwar akustisch. Was aber will sie mir sagen? Daß sie wußte, ich würde sie wecken? Könnte sein. Genau aber weiß ich es nicht, und das ist auch gut so. Denn ich mag diese leicht rätselhaften Dialoge am Morgen mit meinem Gerade-so-noch-Kind im Halbschlaf.

Der Kölner Dom, der alte Arsch

Was war das doch für eine Freude und ein Glück neulich nachmittags in Köln, Nähe Neumarkt, gemeinsam mit Andreas Opitz, Birgit Schlenther alias Klara und Meinrad Jungblut alias PeterLicht ein Auswärtsspiel von „Menschen auf Stühlen“ zu bestreiten.Zwei Dutzend sympathischster Zuhörererinnen und Zuschauer bedeuteten „ausverkauftes Haus“. Es gab Gedichte, Gesang, Gitarre, Roman – und Faxen.  Hier reinszeniert PeterLicht eine wahre Begebenheit: ein trunkener Mann lehnt nachts am Kölner Dom und beschimpft ihn, u.a. als alten Arsch.Dieses denkwürdige Schauspiel floß später in das unvergängliche „Lied gegen die Schwerkraft“ ein, in dem dann eben auch die Schwerkraft („überbewertet“), die Sonne („gelbe Sau“) und der Himalaya („da kann ich mich drüber aufregen“) endlich mal und hochverdient ihr Fett abkriegen.

Komische Schmerzen

Daß es die ´Titanic´ weiterhin geben wird, ist für alle Menschen mit Sinn für satirische Aufklärung, Nonsens, Cartoons und Comics ein Segen, für mich darüber hinaus aber auch, weil so erstmals ein Text von mir in der Rubrik „Humorkritik“ erscheinen konnte, nachzulesen im aktuellen Heft oder eben hier:

Komische Schmerzen

Im 19. Jahrhundert an Syphilis zu erkranken, war sicher nicht lustig. Deshalb fallen Alphonse Daudets Notizen über sein Leiden und Sterben an dieser „Lustseuche“ und „Franzosenkrankheit“, auf deutsch veröffentlicht unter dem Titel „Im Land der Schmerzen“, nicht primär ins komische Fach. Trotzdem hält der schmale Band einige Gründe zu – überwiegend mitfühlendem – Grinsen bereit, etwa wenn der für sein vielseitiges Sexualleben bekannte Autor von einem Traum erzählt, in dem ihn das Jüngste Gericht wegen des „Verbrechens der Sinnlichkeit“ zu dreitausendfünfhundert Jahren in der Hölle verurteilt. Um der schmerzhaften irdischen Strafe zu entkommen, unterzog sich Daudet mindestens eigenwilligen Behandlungsmethoden: ließ sich ein aus Meerschweinchen gewonnenes Wundermittel spritzen, bis dem Arzt die Meerschweinchen ausgingen, und baumelte in der trügerischen Hoffnung auf Linderung minutenlang an einem Kiefergurt.

Die Komik der Notizen ist auch in der gnadenlosen Präzision begründet, mit der Daudet die Aufenthalte in diversen Heilstätten und seine Leidensgenossen beschreibt. Die nur eingeschränkt möglichen Gespräche: „Man erinnert sich an keinen einzigen Namen; ständig sucht man; viele Gesprächspausen in der Unterhaltung. Bis zu zehn, um auf das Wort ´industriell´ zu kommen.“ Und die Mahlzeiten: „Es war mir verhaßt, meinen Tischnachbarn beim Essen zuzusehen; die zahnlosen Münder, das entzündete Zahnfleisch, die Spitze der Zahnstocher in den Tiefen der Backenzähne, die einen kauen auf einer Seite, die anderen rollen ihren Bissen hin und her, und dann die Wiederkäuer, die Nager, die Reißzähne!“

Die zumindest antiquarisch immer noch greifbare Ausgabe des Bremer Manholt-Verlags bietet als Bonus ein Vorwort und zahlreiche Fußnoten von Julian Barnes, die very british an keiner kuriosen Anekdote vorbeikönnen. Barnes zitiert den für seine unverblümten Diagnosen berüchtigten Arzt Jean-Martin Charcot: „Ihre Lage ist die eines Mannes, der in der Scheiße sitzt, während sich über seinem Kopf ein Säbel hin- und herbewegt. Sie können entweder ganz in die Scheiße eintauchen oder sich enthaupten lassen.“ Und er ergänzt die Erinnerungen des kranken Mannes um eine denkwürdige Episode: „Daudet war so kurzsichtig, daß er einmal in dem festen Glauben, es handele sich um Edmond de Goncourt, eine Viertelstunde mit einer über den Stuhl geworfenen Decke redete.“

Immerhin komische Nebenwirkungen also. Und selbst die unlustigen, langwierigen Qualen des Syphilitikers bekommt Daudet noch pointiert gepackt: „Man muß viele Tode sterben, ehe man stirbt.“