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Jüngling von Memling

Diesen Jüngling von Hans Memling entdeckte ich in einem Museum in Bergamo.  Mir gefiel der leicht verhangene Blick, mich berührte die Hand, die im Original unten auf dem Rahmen aufliegt. Außerdem erinnerte mich der Jüngling an Freund Andreas in jungen Jahren. Ich kaufte also die Karte und sandte sie ihm nach Köln, versehen mit der Behauptung: „Das bist doch Du!“

Einige Tage später  antwortete Freund Andreas per SMS: „Stimmp.“ Angehängt war ein Foto der Karte. Er hatte sie so frisiert,  daß der Jüngling ihm noch mehr ähnelte als sowieso schon:

Nochmal Neues aus der Wortspielhölle (2)

Ich glaubte wirklich, alle Wortspiele von Frisören zu kennen: von „Hairport“ über „Haar-Scharf“ und „Schnittstelle“  bis zu „VorHair – NachHair“.  Als ich aber nun gestern in Spreenähe am anderen Ende von Kreuzberg unterwegs war, mußte ich mich eines Besseren belehren und von einem Salon namens

„haarspree“

erschüttern lassen.  Wenn das so ist, dachte ich, als ich die Braterei „Burgermeister“ passierte, mich originell wähnend, dann wird es spätestens jetzt aber auch Zeit für einen

„Wut-Burger“.

Kurzrecherche gerade im Netz ergab: Auch dieses Wortspiel ist natürlich schon gemacht und erledigt und mausetot.

Ein ganzes Leben als Blues

Nicht alles, was Helge Schneider in den letzten Jahren auf der Bühne oder im Fernsehen fabrizierte, gefiel mir.  Manches erschien mir zu routiniert: Witze über Peter Maffays Körpergröße, Nenas Schminke, sogar die  ursprünglich mal sehr lustige Udo Lindenberg-Parodie hatte ich über.

Im Netz fand ich jetzt eine Aufnahme aus der jüngeren Vergangenheit, die mich wieder sehr lachen machte: einen komischen Blues. Er kombiniert  Helge Schneiders musikalische Virtuosität – hier als Gitarrist und Sänger – mit einem Text, der klischeehafte Versatzstücke dieses Genres so kunstvoll daneben arrangiert, daß sie sich selbst ad absurdum führen, gleichzeitig aber auch ein ganzes Künstler-Leben sehr gültig und eben lachenmachend zusammenfassen:

„Yeah I was born

Yes I was born

Yes I was born one day with a birth

I woke up this morning

I woked up this morning

Yes I woke up this morning

And I was born

I woke up this morning to be

My Mama and my Papa

My Mama and my Papa were my parents

My Mama and my Papa were my parent and I was them their child

And now I´m sitting here and play guitar.“

Und hier  für zum Kucken und zum Hören mit Timing und Pausen und allem:

Helge Schneider: „I was born“

Kompliment, unbekannter Sprayer,

für Dein Graffito, das ich neulich am S-Bahnhof Berlin-Halensee staunend erblickte:

„Fick die Polizei“.

Ich kannte bislang nur, von anderen Wänden und aus einschlägigen Rap-Texten, die englischsprachige Variante „Fuck the police“, die mir im Vergleich zu Deinem Slogan jetzt aber geradezu dumpf und stumpf anmutete, während „Fick die Polizei“ sehr hell und licht, fast kindlich klingt, durch den einwandfreien Trochäus auch rhythmisch ansprechend, so daß ich im Vorbeifahren sogleich ein gutgelauntes, unschuldiges Liedchen anzustimmen geneigt war:

„Eins und eins macht zwei – Fick die Polizei“.

War das in Deinem Sinne?

Mohren zu Möhren

Es stört mich nicht, daß die Mohren-Apotheke in der Kreuzberger Grimmstraße Mohren-Apotheke heißt. Aber natürlich gibt es Menschen, die das stört. Und die haben sich eine sehr einfache, aber wirkungsvolle und lustige Art des Widerstands einfallen lassen. So wurde aus dem vermeintlich bösen Wort mit geringsten Mitteln ein liebes:

Möhren-Apotheke

Schön wäre es, wenn es auch für andere ideologisch aufgeheizte Konflikte ähnlich heiter-gelassene Lösungs-Vorschläge gäbe. Ja, das wäre schön.

Tätowationen

Es gab mal eine Zeit, da waren nur Matrosen, Knackis und Vollprolls tätowiert. Und noch nicht, wie heute, nahezu jeder.

Als ich Ende der 80er Jahre meinen Zivildienst bei der Johanniter Unfallhilfe ableistete, fuhr ich gelegentlich gemeinsam mit einem hauptamtlichen Kollegen namens „der Schörk“ im Krankenwagen. Ich vermute, daß „Schörk“ sein Nachname war. Genau weiß ich es nicht. Für uns Zivildienstleistende jedenfalls hieß er nur „der Schörk“.

Der Schörk war ein unglaublich fetter, schwabbeliger Mann mit unansehnlicher Dauerwelle. Am rechten Handgelenk trug er eine Rolex, auf dem linken den Schriftzug „Uschi“. Das ist die erste Tätowierung, an die ich mich erinnern kann.

Einmal saß ich neben dem Schörk auf dem Beifahrersitz. Er hatte die Hände am Steuer, rechts Rolex, links „Uschi“. Im Radio lief eine Schnulze. Und plötzlich fing der Schörk, die Ausgeburt des Grobschlächtigen und Unsensiblen, fing der Schörk ganz vorsichtig und schüchtern an mitzusingen, mit einer eher hohen, beinah schönen Stimme sang der fette Schörk sehr zart:

„Mon Amour“.

Nicht viel später erlebte ich einen Auftritt von Helge Schneider. In einer seiner mäandernden Geschichten phantasierte er über die Tätowierung eines Mannes. Helge Schneider sagte „Tätowation“. Die Tätowierung des Mannes war – ganz anders als damals üblich – kein Anker, kein Herz, keine „Uschi“, sondern ein grotesk elaboriertes Kunstwerk. Ein Hochhaus mit 30 Stockwerken und unendlichen Details, die Helge Schneider unter unserem hysterischen Gelächter ausschmückte. Ich erinnere mich noch, daß aus einem Fenster in der 27. Etage ein Pferd rauskuckte.

Heute gibt es solch grotesk elaborierte Tätowierungen in echt. Kleinteilige Gemälde oder absurde Textmengen auf großer Fläche.

An einem warmen Frühlingstag stehe ich in der U-Bahn in der Nähe einer jungen Frau: kurze, blonde Haare, Kopfhörer, ein grünes Sommerkleid, das viel Haut frei läßt. Als sie vor mir aussteigt, sehe ich, daß die linke Seite ihres Rückens tätowiert ist: mit recht klein geschriebenem Text, in Strophenform, Schreibschrift, rechtsbündig. Ich pirsche mich heran und erkenne die ersten Zeilen:

„Meine Ruh ist hin,

Mein Herz ist schwer;

Ich finde sie nimmer

und nimmermehr.“

Es folgen auf dem unbekleideten Teil ihres Rückens noch zwei weitere Strophen aus „Gretchen am Spinnrad“, dann Kleid über unterem Rücken und Hintern, dann auf dem hinteren linken Oberschenkel die letzte Strophe:

„Und küssen ihn,

So wie ich wollt,

An seinen Küssen

Vergehen sollt!“

Das Gedicht aus „Faust I“ hat insgesamt zehn Strophen, vier davon sind sichtbar auf den entblößten Hautpartien. Ich bin mir nicht sicher, ob die übrigen sechs auf die bedeckten auf unterem Rücken und Hintern passen.

Möglicherweise haben die junge Frau oder auch der Tätowierer den Goethe-Text gekürzt. Ich weiß es nicht und werde es leider auch nie erfahren. Was ich aber weiß und hier nicht verschweigen darf: daß auf dem hinteren rechten Oberschenkel der bildungsbeflissenen Frau, also gleich gegenüber von Gretchen am Spinnrad, noch ein anderes Tatoo zu sehen war: eine süße, kleine Mickey Maus.

Als die junge Frau im grünen Sommerkleid entschwindet, freue ich mich über die perfekte Symbiose auf ihrer Haut aus

Goethe und Disney,

E und U,

alter und neuer Welt,

comme ci und comme ça,

Rolex und „Uschi“.

Kühe (2)

Mein uckermärkischer Gewährsmann Jörg M. hat seit ein paar Jahren im kleinen Ort Sternhagen ein schönes Haus aus Holz. In der Nähe seines Grundstücks befindet sich ein Bauernhof mit Viehwirtschaft .  Kühe und Kälber stehen gemeinsam auf der Weide.  Wenn der Bauer aber beabsichtigt, Kälber zu verkaufen, macht er das so:

Eines Abends treibt er alle Tiere zusammen in den Stall.  Das ist dann ein großer Zug durchs Dorf. Am nächsten Morgen bringt er die Kühe  zurück auf die Weide und läßt die Kälber auf dem Hof, damit er sie widerstandslos zum Käufer bringen bzw. von diesem abholen lassen kann.   Wären die Kühe dabei, würden sie den Abtransport  nicht zulassen.

Fatalerweise kapieren es die Kühe jedes Jahr zu spät: Sobald sie bei der nächsten Rückkehr in den Stall merken, daß ihre Kälber weg sind, schreien sie vor Leid ohrenbetäubend und tagelang und laut Jörg so schrecklich, daß er in dieser Zeit seine Fenster nicht öffnen kann.